Ja zum Wiener Lokal „Schwein“, nein zur vegetarischen Kochlehre
Im neuen Jahr wird Österreich endlich wieder einmal zum internationalen Vorreiter: Am 1. Juli 2025 startet formal die neue dreijährige Ausbildung zur „Fachkraft für vegetarische Kulinarik“. Viele finden das gut – und haben dafür durchaus Gründe. Dass beim Fleischkonsum vieles aus dem Ruder gelaufen ist, lässt sich nicht wegdiskutieren. Bezogen auf das Handwerk des Kochens an sich darf man aber schon auch ein bisschen skeptisch sein.
Ein wesentlicher Teil meiner Ausbildung zum Koch wäre weggefallen, wäre ich nie mit Dingen wie der richtigen und – ja, so was gibt es – sinnvollen Verarbeitung von Fleisch in Berührung gekommen. Mein Respekt vor dem Tier und das Ablegen mancher Selbstverständlichkeit ist dadurch definitiv größer geworden. Ich verstehe jeden, der diese Sicht der Dinge ablehnt. Aber muss der Akt des professionellen Kochens immer etwas ins eigene Weltbild Passendes, Bequemes sein?
Egal wie man diese Frage beantwortet – in der Wiener Siebensterngasse ist man seit vergangenem Herbst schon einen Schritt weiter: Im neuen Restaurant „Schwein“ trägt man das Fleisch im Namen, setzt aber ausschließlich auf vegetarische Küche. Das geht also offenbar auch ohne Spezialausbildung – und darf deshalb auch gerne als Lehrstück für den gemeinen Schnitzelbrater dienen.
Das Lokal selbst ist sehr schön geworden, die Beleuchtung sogar spektakulär. An der Wand beobachtet ein riesiges Holzschwein die Gäste. Zum Essen gibt es trotzdem eine „All Day Breakfast Soup“ (Bild oben). Die Miso-Suppe mit Shiitake-Pilzen und Spinat marschiert dank Sesam sehr ins Süße, ein bisschen mehr Power hätte nicht geschadet. Kraft braucht man dann beim Bao Bun (Bild unten), denn die Küche zitiert ein schwedisches Möbelhaus-Feeling: Der Gast darf den Bun bei Tisch selbst mit Rotkraut, einem würzig-scharfen Mandarinen-Jalapeño-Chutney, Koriander und intensiv gerösteten Seitlingen zusammenbauen.
Das vegane „Gochujan Cauliflower Steak“ (Bild unten) schreckt nicht davor zurück, die koreanische Chili-Gewürzpaste Gochujang auch tatsächlich anzuwenden, sportlich scharf der ganze Karfiolkopf-Querschnitt. Dass man diesem auch noch Karfiol-Creme hinzufügt, leuchtet erst nicht ganz ein, wird aber durch ein erfrischendes Petersilien-Zitronen-Salat-Gegengewicht doch schlüssig. Und für Menschen, die aufgrund akuten Fleischverzichts Angst haben, die mühsam aufgebauten Gains zu verlieren: Kichererbsen sorgen für die Proteinlieferung.
Dass „vegetarisch“ nicht immer gleich „gesund“ bedeutet, beweist die frittierte „Schwein’s (fried) Lasagne“ (Bild ganz oben). Ich strenge mich ernsthaft an, hier irgendetwas zu finden, das auch nur entfernt an ein Gratin geschweige denn an eine Lasagne erinnert. Gut, das gebackene Gemüse, das hier auf dem Teller liegt, ist schwer in Ordnung. Aber die Bezeichnung Lasagne führt doch sehr in die Irre, auch wenn das eine Schwein’sche Eigeninterpretation sein soll: Die Zucchini wurde mit viel Provola-Käse vermengt und dann frittiert, dazu kommt dann noch ein Klecks der libanesischen Aioli Toum und ein Babyspinat-Salat – vergnüglich.
Man hat schon echt Schwein, dass es Lokale wie das „Schwein“ gibt: Sehr gutes Essen, sehr netter Service, niedrige Preise, Fleisch geht einem hier so was von gar nicht ab. Hätte ich als klassisch ausgebildeter Koch jede Idee gehabt, die dort so auf die Teller kommt? Eher nicht. Und das zeigt vielleicht das Problem: Die vegetarische Kochkunst spielte damals, wahrscheinlich auch aus Nachfragegründen, eine zu geringe Rolle. Die Lösung dafür wäre wohl eher, diesen Teil innerhalb der klassischen Ausbildung aufzuwerten. Aber jetzt können halt alle das tun, was ihnen entspricht – und zwar ausschließlich. Das kann auch ein Zugang zur Welt sein.
Stimmung: Sehr leger und trotzdem stylish
Empfehlung: Auch Fleischtiger sollten einen Besuch wagen
Preisverhältnis: Frühstück: 7,90 bis 13,50 Euro, Vorspeisen: 7,90 bis 12,50 Euro, Hauptspeisen: 13,90 bis 14,90 Euro, Dessert: 7,90 bis 8,90 Euro
Schwein, Siebensterngasse 31, 1070 Wien, schwein.wien