Jack Unterweger im weißen Anzug vor Aktgemälde posierend
True Crime

Warum Frauen auf Mörder fliegen

Vor 30 Jahren erhängte sich Österreichs bislang einziger Serienkiller Jack Unterweger in seiner Zelle. Die Strafverteidigerin Astrid Wagner hebt bis heute den weißen Anzug ihres Geliebten auf. Eine Geschichte über die Faszination, die Gewaltverbrecher hinter Gittern auf Frauen ausüben können.

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Die Erotik des Wäschewaschens für einen Mörder käme „einem Akt der Zärtlichkeit“ gleich, lässt uns die Autorin Astrid Wagner wissen: „Es ist schön, dass seine Wäsche in meiner Wohnung ist.“ Solche „Hausfrauenpflichten“ seien fast ein Ersatz für „eine Berührung“. Es gibt einige Stellen in dem anlässlich des 30-jährigen Todestags neu bearbeiteten, autobiografischen Buchs „Liebe, Mord & Zweifel” (Untertitel: „Die wahre Geschichte der letzten Frau im Leben des Jack Unterweger“), die befremdend schwärmerisch erscheinen. Doch das Ritual des „Wäschekommandos“ beleuchtet diese bizarre Beziehung besonders griffig. Was im Buch nur angedeutet wird, sind die kleinen Aufmerksamkeiten, die sich der damals 42-jährige Serienmörder Jack Unterweger und die 30-jährige Juristin Astrid Wagner in den Wäschepaketen versteckt zukommen ließen: mit Bändchen vertäute Schamhaare, zusammengeknüllte Liebesbotschaften wie „Ja, es sind schmerzliche Sehnsüchte, aber trotzdem bin ich glücklich“ (sie) oder „Deine Augen … ich habe mich darin verloren“ (er).

Angst, dass sie durch solche späten Bekenntnisse ihre Seriosität als Strafverteidigerin demontieren könnte, hat Wagner keine: „Ich finde es absolut positiv, wenn Menschen ihre Gefühle zeigen. Ich will mich nicht verstellen.“ Auftakt für die Gitter-Romanze war ein Brief, den Wagner 1992 an den frisch Inhaftierten geschickt hatte, nachdem dessen erster Selbstmordversuch in der Zelle in den Nachrichten kommentiert worden war: „Sie sollten wissen: Es gibt noch durchaus Menschen in diesem Land, die Sie nicht vorverurteilt haben.“ Die Antwort: „Danke für die bestärkenden Worte! Mehr, wenn ich wieder Kraft habe.“ Er hatte bald wieder Kraft. „Es hatte schon kurz nach meinem ersten Besuch etwas von einer Romeo-und-Julia-Geschichte“, erzählt Astrid Wagner, die mit ihrem Faible für brutale Fälle als Strafverteidigerin und ihren exzentrischen Selbstinszenierungen in den sozialen Medien ein Unikat unter Österreichs Rechtsanwälten darstellt. 

„Die Erotik der Unerreichbarkeit spielte natürlich mit. Wir waren uns ja auch wiederum ganz nah, ich hab nur ein paar Gassen entfernt von der Justizanstalt gewohnt. Wäre der Jack ein ganz normaler Nachbar gewesen, hätte er mich wahrscheinlich gar nicht gereizt. Ich hab mit Sicherheit so ein Helfersyndrom.“ Und natürlich hat das „Verwegene“ an ihm für „die Tochter aus bürgerlichen Verhältnissen“ seine Wirkung getan: „Es ist ähnlich wie bei meiner Katze Sissi. Die lebt mit dem braven Kater Gustl, aber wenn sie im Zoo von einer Wildkatze angefaucht werden würde, würde es wahrscheinlich mit ihr durchgehen. Das spür ich regelrecht.“ 

Wer in Astrid Wagners Leben gerade die Rolle des Katers Gustl erfüllt, ist nicht bekannt, aber wild waren zuvor schon einige: „Ich habe zum Beispiel, vor meiner Zeit mit Jack, mit einem Mann zusammengelebt, der ein wirklicher Betrüger war. Der hat seinen Eltern zehn Jahre lang erzählt, dass er Jus studiert, aber keine einzige Prüfung gemacht.“

Einige der Unterweger-Adorantinnen habe sie im Auftrag des „süßen Jack“ besucht und auch anonymisiert in ihrem Buch beschrieben: „Da gab es unter vielen anderen eine Klosterschwester, die ihm immer wieder Selbstgebackenes schickte, eine Burgtheater-Schauspielerin, eine tätowierte Fotografin aus Deutschland, biedere Hausfrauen, die Bibelsprüche klopften, reiche und gelangweilte Ehegattinnen, die so versuchten, sich einen Kick zu verschaffen, Krankenschwestern, höhere Töchter, da war alles dabei.“ Es ist ein befremdliches Phänomen, das in der Psychologie als Hybristophilie bezeichnet und mit „Zuwendung zu Übeltätern“ übersetzt werden kann: Je grausamer und bekannter ein Verbrecher ist, desto höher die Briefstapel der Abgrund-Groupies.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort