Johnny Depp und Amber Heard: Eine schreckliche Schwärze
Johnny Depp lagerte sein Kokain in einem Vintage-Krug. Seine Sucht trieb ihn so weit, dass er seine damalige Ehefrau verdächtigte, den Stoff in ihrer Vagina versteckt zu halten. Amber Heard hingegen verrichtete ihre Notdurft in seinem Bett und behauptete, die Hündchen wären es gewesen. Sie nannte ihn einen „fetten alten Mann“, er sie „eine wertlose Nutte“. Er wollte von ihr, dass sie ihn mit einem Messer schneide, um sich „von seinen Schmerzen befreien zu können“.
Sie sagt, dass er sie erstmals schlug, als sie über seine Tätowierung „Wino“ (eine Reminiszenz an Depps frühere Freundin Winona Ryder) zu lachen begann. Danach habe er sie kniend und weinend um Vergebung gebeten: „Er sagte immer, ich habe das Monster weggesperrt, der Fucker ist weg, ich bin durch damit!“
In einem spektakulären, live in alle Welt übertragenen Prozess in Fairfax im US-Bundesstaat Virginia geben sich der Hollywoodstar Johnny Depp und seine seit 2016 geschiedene Frau, die Schauspielerin Amber Heard, seit mehr als drei Wochen die sprichwörtliche Kante. Es geht um Verleumdung, häusliche Gewalt in allen Varianten, seelischen Missbrauch, Drogen, Alkohol; Selbstverletzungen, moralische Tiefschläge. Und um den massiven Verdienstentgang, den die öffentliche Schmutzwäsche nach sich zog: Depp warf den Fehdehandschuh und klagte Heard auf 50 Millionen Dollar, diese konterte mit einer Gegenklage von 100 Millionen Dollar. Und viele Millionen Menschen wollen sich das keinesfalls entgehen lassen.
Dass sich die Beziehung zwischen dem Ex-Model und Depp, der Vanessa Paradis, die Mutter seiner Kinder, wegen Heard verlassen hatte, von Anfang an hochexplosiv gestaltete, blieb kein Geheimnis. Noch vor der Hochzeit 2015 hatte Depp an seinen Kumpel, den Schauspieler Paul Bettany, per SMS geschrieben: „Lass uns Amber verbrennen!“ Und fügte danach hinzu: „Lass sie uns ertränken, bevor wir sie verbrennen …“ Und das sind nur ein paar Appetizer von dem schier endlosen Bloßstellungsbuffet zwischen den ehemals „magisch Liebenden“ (so Heard). Das mit dem Verbrennen, so Depp bei einer Vernehmung, täte ihm heute sehr leid. Schwarzer Humor eben. Die im Prozess verlesene Kurznachricht eskalierte übrigens in obszöner Frauenverachtung und weiteren Mordfantasien über seine damalige Verlobte.
Auf „Court TV“, jenem US-Sender, auf dem der ehemalige Staatsanwalt Vinnie Politan in seiner Sendung „Closing Arguments“ in gebotener Aufgeregtheit eine tägliche Prozessbilanz zieht, werden die schlimmsten Vokabeln ausgebeept.
Erste Reihe fußfrei kann die ganze Welt via Live-Streaming seit 12. April Szenen der höllischen Nähe zwischen dem 58-jährigen Hollywoodstar Johnny Depp und seiner 22 Jahre jüngeren Ex-Frau nacherleben.
Die Beziehung scheint wie ein abschreckendes Bilderbuchbeispiel aus dem Ratgeber gegen toxische Beziehungen: Auf beiden Seiten werden Vorwürfe von Mobbing, Abwertung, psychischer und physischer Gewalt erhoben, bei den Attacken gegen Depp kommen noch krankhafte Eifersucht, Kontrollwut und eine schwere Suchtproblematik hinzu. Im paartherapeutischen Jargon fallen solche Beziehungszerstörungstrips, deren Dramaturgie nach der Methode „Zuckerbrot und Peitsche“ verläuft, unter den Begriff „apokalyptische Reiter“.
Die Rollen von Tätern und Opfern befinden sich in solchen Konstellationen häufig in einem Wechselspiel, in dem die Grenzen verschwimmen. Wohlige Voyeurismusschauer und die gesellschaftliche Besessenheit mit Celebrities, deren Bruchlandungen im Unglück für Normalbürger eine entlastende Wirkung und Neidreduktion nach sich ziehen, werden in diesem Schau- und Showprozess in bislang ungeahnte Höhen geführt.
Dass Prominenz „die heißeste Form der Unterhaltung“ ist, wusste der Popkultur-Analytiker Neal Gabler schon vor 30 Jahren, aber in der Echokammer der sozialen Medien multipliziert sich ein weltweites Aufmerksamkeitspotenzial, wie es die früheren Jahrhundertprozesse von O. J. Simpson und Michael Jackson nie auch nur annähernd erreicht hatten. Mit der Reality-Soap „Depp vs. Heard“ (nach einer Woche Pause wird am 16. Mai weiterverhandelt) erreicht das Genre „Stars im Katastrophenmodus“ eine neue Dimension. Im Netz sind die #JusticeForJohnnyDepp-Hashtags inzwischen auf eine Milliarde kulminiert, Tausende Instagram-Accounts mit Namen wie „Johnny Depp Rocks“ posten Statements, die klar von Hass gegen Heard gezeichnet sind. Die Schauspielerin, die nach ihrer Ehe mit Depp zwei Monate lang mit Tesla-Chef Elon Musk zusammen war, feuerte vergangene Woche ihr PR-Team, weil sie es im Vergleich nur auf einen Bruchteil derartiger Sympathiekundgebungen bringt. Das Erstaunliche an dem Gerichtsspektakel ist, dass Depp den Prozess selbst angestrebt und damit in Kauf genommen hat, vor der ganzen Welt „als kokaingetriebener Frauenverprügler“ dargestellt zu werden. Seine Begründung, sich dem dennoch auszusetzen: „Ich habe sonst keine Chance, meine Stimme zu erheben.“
Was bisher geschah, im schnellen Rücklauf: 2016 war die Ehe zwischen Depp und Heard nach nur einem Jahr Bestand geschieden worden. Heard hatte damals sieben Millionen Dollar von Depp erhalten; der Auflage, das Geld verschiedenen Charity-Organisationen zu spenden, ist sie bis jetzt nur zu einem Teil nachgekommen. 2018 veröffentlichte sie in der „Washington Post“ einen Gastkommentar, in dem sie, ohne Depps Namen zu nennen, schrieb, dass sie selbst während ihrer Ehe Opfer von Gewalt wurde und Männer, die den Ruhm und das Vermögen haben, noch immer einfach so davonkämen.
Die britische Boulevard-Zeitung „The Sun“ bezeichnete daraufhin Depp in einer Schlagzeile als „Frauenverprügler“. Depp verlor in Folge seinen 22-Millionen-Euro Job bei Disney für den sechsten Teil von „Fluch der Karibik“ und musste auch seinen Part in dem Harry-Potter-Spinoff „Fantastische Tierwesen“ an Mads Mikkelsen abtreten. Endgültig am Boden lag er, als er seine Klage gegen das Murdoch-Blatt verlor, das ihn daraufhin offiziell als „Frauenverprügler“ bezeichnen durfte. Depp klagte Heard nach ihrem „Washington Post“-Kommentar auf 50 Millionen Dollar Schadensersatz; Heard schritt zur Gegenklage in doppelter Höhe. Seit Mitte April bilden sich nun vor dem Gerichtsgebäude in Fairfax im US-Bundesstaat Virginia immer schon vor Mitternacht kilometerlange Schlangen von nahezu ausnahmslos Frauen, die Depp „emotionale Unterstützung geben wollen“, wie eine gebürtige Peruanerin, die mit ihren beiden Alpakas Trufle und Teddy nahezu tagtäglich vor Ort ist, einer „Court TV“-Reporterin erklärte.
Trotz der neuen Sensibilität gegenüber Gewalt an Frauen im Zuge der #MeToo-Bewegung werden in diesem Verfahren, ungeachtet der jeweiligen Beweisführungen, auch alte Klischees auf beunruhigende Weise belebt. Sie lauten, vielfach variiert, ungefähr so: Heard, die ruhmgeile B-Schauspielerin, die sich mithilfe einer Beziehung zu einem Star der A-Liste „hochschlief“, versucht jetzt ihren ehemaligen Gönner, den vielleicht suchtkranken, aber doch noch immer sehr charmanten alten Knaben Johnny fertigzumachen. Depps Ankunft im Gerichtsgebäude wird verlässlich mit einem Fangekreische bedacht, als ob es sich um einen Red-Carpet-Auftritt vor einer Premiere handle. Und Depp, täglich in einem coolen neuen Anzug, quittiert den Jubel mit der Messias-Geste des Siegers.
Heard, die erst letzten Donnerstag erstmals und unter deutlich sichtbaren Krokodilstränen zu Wort kam, hatte zuvor zwei Wochen lang gelangweilt oder in Regungslosigkeit Johnny Depps Aussagen gelauscht und (als kleine histrionische Farbtupfer) oftmals seine Anzug-Outfits vom Vortag ident kopiert. Keine sehr klugen Schachzüge, um Sympathie zu sammeln, weder vor dem Millionenpublikum noch vor der siebenköpfigen Jury. Voyeurismus pur bediente ihr Team mit der Vorlage eines verwackelten Videomitschnitts, in dem Depp sich zum Frühstück eine halbe Flasche Rotwein in ein Glas goss und danach auf die Küchenschränke eindrosch.
„In seinem Blick sah ich damals nichts als eine schreckliche Schwärze“, kommentiert Heard mit bebenden Lippen einen anderen Vorfall, in dem Depp während eines Flugs volltrunken wie ein Wolf minutenlang zu heulen begann. Eine schreckliche Schwärze liefert auch der Einblick in das Leben dieser beiden Menschen während eines Prozesses, der noch geschätzte drei Wochen dauernd wird. Wir werden uns ein bisschen dafür schämen, aber trotzdem dranbleiben. Der Ausgang des Verfahrens steht schon jetzt fest: Es wird genau zwei Verlierer geben.
Angelika Hager wurde selbst zum „Schau-Junkie“ dieses Prozesses und war dennoch erstaunt, dass derzeit wirklich jeder, quer durch alle Generationen und Schichten, darüber spricht – und dass die meisten „pro Depp“ argumentieren.