Werner Schneyder mit Angelika Hager

"Kann was”: Zum Tod von Werner Schneyder

Der Kabarettist, Autor und Schauspieler verstarb vergangenen Sonntag im 83. Lebensjahr.

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So lebendig muss man erst einmal sein beim Sterben wie der Schneyder.

Raus aus dem Wirtshaus, dicht mit Plänen, Pointen und hoffentlich ein paar Achterln, ist er uns abgehauen. Seine letzte Mahlzeit in einem kroatischen Fischlokal in Wien war ein Drachenkopf. Auch das ist fast poetisch. Es ist sicher, dass der leidenschaftliche Atheist sich über diese Form des Abgangs diebisch gefreut hätte. Und sich dafür eigentlich noch einen monumentalen Schlussapplaus erwartet hätte. Ja, er hat einen künstlerisch einwandfreien Profi-Tod hingelegt, das war keine Amateur-Angelegenheit, mit wochenlangem Gesieche.

Man kann es sich natürlich nicht aussuchen, hätte er vielleicht noch angemerkt, „aber mein Lebtag” (das war eine Phrase, die er gern zum Einsatz brachte) wollte er tatsächlich nichts anderes, als im Besitz seiner Kräfte, seiner Würde, seines Geistes abtreten. Das Trauma des Ausgeliefertseins und Fremdbestimmtseins saß tief: den qualvollen und aussichtlosen Kampf den seine an Krebs erkrankte, über alles geliebte Frau Ilse auszufechten hatte, verglich er „mit dem Sitzen in einer Todeszelle von unbekannter Dauer, aber gewissem Ausgang”.

2004 starb sie und empfand es als Gnade. Seiner Wut über die Medizinindustrie, die für ein wenig Lebensverlängerung seine Frau und die Mutter seines Sohnes Achim unvorstellbaren Schmerzen und Torturen ausgeliefert hatte, war groß und wuchtig. So wuchtig, dass er sie 2008 in den Band „Krebs - eine Nacherzählung” kanalisierte, was manche der gemeinsamen Freunde ob der wahrhaftigen Schonungslosigkeit merklich irritiert hatte.

Infernalische Zärtlichkeit

„Es machte nur Sinn, es ungeschönt und ohne Aussparungen zu erzählen”, rechtfertigte er sich nicht, denn „der alte Schneyder”, wie ihn sein Sohn Achim nannte, war kein situationselastischer. Rechtfertigungen und Meinungsumwälzungen hatte er nicht in seinem Verhaltenskodex einprogrammiert. Er hatte einfach Charakter, aber dennoch durchaus auch ein Faible für „erlebte Charakterlosigkeit aus nächster Nähe” bei anderen, weil sie einem „das Sehen und Begreifen erleichtert". Für Feinde auf Augenhöhe besaß er sowas wie eine infernalische Zärtlichkeit. Ich durfte einmal Zeuge werden, wie die zwei sich einander nicht grünen Giganten Gerhard Bronner und Werner Schneyder nachts um zwei in Bela Korenys legendärer Broadway-Bar zufällig begegneten.

Es kam zu einem Nahkampf am Klavier, wo man einander aufstachelte und damit auch zur Höchstform katapultierte. „Kannst ’Because of you'?” wollte der Schneyder gegen drei Uhr wissen und der Bronner seufzte in radioperfektem Timbre nur zurück: „In welcher Tonart hätten wir's denn gern?” „Ich kann ihn nicht leiden, aber er ist leider gut”, gab sich der Schneyder damals geschlagen. Als ich ihm später erzählte, dass der alte Bronner zur Premiere seines Stücks „Galanacht” in den Rabenhof kommen wolle, brüllte er nur ins Telefon: „Unter gar keinen Umständen und auf keinen Fall! Der macht mir nur alles mies.” Er konnte durchaus auch wahnwitzig kindisch sein.

Ansonsten war er verschwenderisch mit seiner Zuwendung für nachkommende Talente und die neuen Generationen im Spaß-mit-Intelligenz-Geschäft; mit der Disziplin eines Trüffelschweins ging er in alle nur erdenkliche Premieren und schlug stets die Haken zusammen, wenn ihm ein Neuer und Nachdrängender gefiel: „Kann was!” Talentneid besaß er keinen, schließlich hatte er, was Spieltrieb, Wortakrobatik und Stimmgewalt betraf, von allem so reichlich bekommen, dass sie eigentlich in gar kein einzelnes Künstlerleben passen konnten, allerhöchstens Futterneid. Er arbeitete ununterbrochen, zuletzt schrieb er an einem Theaterstück - „völlig egal, ob es je aufgeführt wird.” Was natürlich eine Lüge war.

Der Schneyder war ein Hedonist bis zum Anschlag und einer der wenigen Menschen, die beim ausufernden Verzehr einer Mahlzeit bereits von den kommenden Nahrungsaufnahmen ins präventive Schwärmen gerieten. Das verdankte er der Anna Berzkowitsch, der geliebten Großmutter, der er auch in einem seiner letzten Bücher, ein ganzes Kapitel widmete: Sie hätte ihn schon früh zum Meisteresser ausgebildet und für seine späteren Gastgeber gab es für die kredenzten Speisen nur eine Höchstnote: „Das kommt der Anna Berzkowitsch in die Nähe!” Das Buch hieß übrigens „Gespräch unter zwei Augen”, was als Indiz der Schneyderschen Monomanie zu werten sein darf. Er konnte es aber durchaus auch nehmen, wenn man ihm nach eineinhalbstündigen Zuhören flüsterte: „So, jetzt kannst du mich einmal fragen, wie es mir geht.” Da lächelte er sich milde zu und sagte in die Richtung seines Gegenübers: „Hast du übrigens von mir den Text daunddort gelesen? Ach und danke, dass du mich in der und der Kolumne zitiert hast.”

"Ich empfehle das reine Belohnungstrinken"

Mit seinem Aphorismus „Einsamkeit ist Belästigung durch sich selbst” war man schön öfter hausieren gegangen. Wenn man mit ihm essen durfte, musste natürlich auch getrunken werden. Schon in Jugendjahren hatte ihm, dem damaligen Werbetexter und Journalisten, ein Arzt gesagt: „Es ist sinnlos, Ihnen zu sagen, halten Sie sich vom Alkohol fern. Mein Rat: Trinken Sie einfach nur das Beste.” Das war eines der vielen Dinge, die man von ihm lernen konnte. Allerdings galt ein ehernes Gebot:„Ich empfehle das reine Belohnungstrinken. Beim Arbeiten sollte Alkohol tabu sein.“ Als abschreckendes Beispiel dient ihm kein Geringerer als Goethe: „Der hat doch einige grottenschlechte Gedichte geschrieben, die nur durch die drei bis vier Flaschen Wein täglich zu erklären sind.“ Andererseits, führt er dann wieder an, hinterließ Goethe bekanntlich auch einige durchaus solide Werke, wurde 83 Jahre alt und hielt knapp vor seinem Tod um die Hand einer Neunzehnjährigen an. Solche Dinge wusste der Schneyder, er beutelte sie nachgerade aus dem Ärmel, ohne je in die Gefahr des Besserwissers zu kommen.

Unsere letzte Begegnung war bei einem herrlichen Essen im Hause der langjährigen profil-Mitglieder Aniko und Robert Buchacher am 30. Jänner, der Schneyder köpfelte mehrmals in Anikos legendäres Krautfleisch, rezitierte Kästner-Gedichte, die sich um das schale Gefühl in allzu langen Beziehungen drehten, intonierte Operetten-Lieder mit solcher Verve, dass sie einem die Tränen in die Augen quetschte, und erzählte, dass einer seiner Lieblingsfeinde (neben Bronner, Thomas Bernhard, Michael Schottenberg undundund), nämlich André Heller, den er für einen Blender und kreativen Dieb hielt, ihm vor kurzem in der Weihburggasse begegnet ist und ihn mit erhobenen Händen wissen ließ: „Ich segne dich!” Der Schneyder schüttelte nur den Kopf und sagte: „Jetzt wird uns der auf seine alten Tage auch noch religiös...” Diese Gefahr bestand beim Schneyder nie. Und auch dafür sind wir ihm dankbar.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort