Ein Paar, das sich leidenschaftlich küsst
Tinder-Trauma, Bumble-Burnout, Hinge-Hangover

Kaputt durch Online-Dating: Wie die Liebe wieder schön wird

Nach mehr als einer Dekade Online-Dating leiden viele Menschen an digitalem Liebesfrust. Und trennen sich von ihren Apps, um sich wieder ins analoge Leben zu stürzen. Die Liebe braucht einen Relaunch. Aber wo findet man sie überhaupt noch?

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Der hormonelle Geschwindigkeitsrausch war groß und stark, aber die Katerstimmung danach hat es auch ganz schön in sich. Nach einem guten Jahrzehnt, in dem mehr als die Hälfte aller Beziehungen online geknüpft wurden, macht sich gerade eine Laune breit, wie man sie allenfalls von einem flauen One-Night-Stand mit null Bock auf Wiederholung kennt. Vorbei die Euphorie der frühen Tinder-Jahre, „wo du am Klo sitzend in einem Häschenpyjama heiße Typen matchen und später treffen konntest, die du sonst nie kennengelernt hättest“, so eine einstige „Tinderella“ über ihre damaligen Erfahrungen.

„Plötzlich war es so einfach, eine Tussi klarzumachen, wie beim Online-Dienst eine Pizza Diavolo zu bestellen“, beschreibt ein User die männliche Perspektive auf die goldenen Tinder-Zeiten, die sich jetzt zu Ende neigen.

Statistiker und Soziologen registrieren schon seit 2023 einen massiven Exitus aus den großen Dating-Apps. Den deutlichsten User-Schwund fährt gegenwärtig „der brutalste Fleischmarkt“ (eine Ex-Userin) und immer noch ungebrochene Marktführer ein: Tinder, auf Deutsch Zunder, jene Dating-App, die 2012 lanciert wurde und nur drei Jahre später bereits mit 50 Millionen Usern auffahren konnte. Spitzenwerte verbuchte Tinder 2020, im ersten Jahr der Corona-Lockdowns, mit 73 Millionen Menschen, die sich täglich ins Glück wischen wollten. In Österreich „tindern“ aktuell geschätzte 360.000 Menschen. Was die Geschlechterverteilung betrifft, geht man weltweit davon aus, dass 75 Prozent der Tinder-User Männer sind, die mehrheitlich auf unkomplizierte Sexdates aus sind. Weltweit wischen sich aktuell täglich 42 Millionen Menschen durch diesen vermeintlichen Supermarkt der Möglichkeiten, der in Wahrheit aber wohl „ein Loser-Friedhof“ geworden ist. „Dort sind inzwischen vor allem echt derbe Personen unterwegs“, meint die 26-jährige Journalistin Alice, die den weltweiten Baggerplatz Nummer eins längst hinter sich gelassen hat und stattdessen auf die alternativen Plattformen Hinge und Bumble gewechselt ist: „Tinder ist extrem tief und sexuell explizit. Wer dort nach etwas Ordentlichem sucht, der oder die ist sowieso verloren.“

Drop-out am Dating-Markt

Damit verflüchtigt sich aber auch die Lust am Swipen und Matchen immer mehr. In Großbritannien verzeichnete der nationale Online-Report Ofcom im vergangenen Jahr eine Dropout-Quote von 16 Prozent unter den zehn angesagtesten Dating-Apps. Für Österreich existieren diesbezüglich keine belastbaren Zahlen. Laut dem jüngsten Bericht „Familien in Österreich“, der auf dem „Generations and Gender Programme“ der Vereinten Nationen beruht, haben elf Prozent der bestehenden heterosexuellen Paare (zwischen 18 und 59 Jahren) sich online kennengelernt, in queeren Beziehungsformationen war es etwas weniger als die Hälfte. 72 Prozent der Österreicher leben aktuell in festen Beziehungen, während das Leben im klassischen Zweisamkeitsmodell unter den 18- bis 29-Jährigen nur mehr für etwa 50 Prozent ein Thema ist.

Der aktuelle Geschäftsgang der großen Dating-Apps ist für deren Betreiber mehr als alarmierend. Nach Tinder rasselten in Großbritannien, dem nach den USA profitabelsten Markt und Europa-Führer im Bagger-Gewerbe, die Apps Bumble und Hinge am heftigsten nach unten. Im vergangenen November berief die Kuppler-Supermacht „Match Group“ mit Hauptsitz in Texas, die hinter 25 Dating-Portalen wie Tinder, OkCupid, Plenty of Fish oder Hinge steht, in vorauseilender Besorgnis eine Investorenversammlung ein – die erste seit der Gründung der Gruppe 2015. Laut der britischen „Financial Times“ hat die Match Group (sie wird heute mit acht Milliarden Dollar bewertet) nur mehr ein Fünftel ihres Werts von vor drei Jahren. Bumble und die besonders in Lateinamerika populäre App Baboo mussten in den vergangenen fünf Jahren einen Aktiensturzflug von 90 Prozent verkraften. Laut dem „Uninstall Report“ des Unternehmens Appsflyer werden 59 Prozent aller Dating-Apps innerhalb der ersten 30 Tage wieder gelöscht, das ist mit Abstand der höchste Wert unter allen App-Kategorien. Allein Apps, die speziell für die LGBTQ+-Community designt sind, wie Grindr und Squirt, konnten leichte Zuwächse verbuchen.

„Das Online-Dating hat natürlich für uns queere Menschen einen zentralen Vorteil. Denn wo willst du sonst, wenn du im Zillertal lebst, die Chance kriegen, jemanden kennenzulernen?“, erklärt die Kabarettistin Malarina (alias Marina Lacković), die sich in ihrem neuen Programm „Trophäenraub“ auch mit den Abgründen des Online-Datings auseinandersetzt.

Wie erklären sich Forscher und Wissenschafter aber die anhaltenden Schwierigkeiten in der Branche der digitalen Schatzsuche, die noch vor Kurzem als Goldmine unter den digitalen Geschäftszweigen galt? Nach wie vor sind Online-Portale der beliebteste Kuppelplatz, wie der US-Soziologe Michael Rosenfeld an der kalifornischen Stanford Universität in seinen Studien feststellte. Rosenfeld untersuchte die Umstände, unter denen Paarbeziehungen im Zeitraum von 1930 bis 2024 zustande kamen: Während Freunde, Familie und das Jobumfeld sich bis weit nach der Jahrtausendwende als die erfolgreichsten Kuppler erwiesen, änderte sich die Lage in den 2010er-Jahren drastisch: 2019 wurden demnach 46,4 Prozent der Partnerschaften online geschlossen, 2024 waren es sogar 60,8 Prozent.

Natalia Anders

Natalia Anders

ist seit Juni 2023 Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.

Angelika Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.