„Intuitive Begabung für Selbstinszenierungen“

Katrin Unterreiner: „Intuitive Begabung für Selbstinszenierungen

Forscherin Katrin Unterreiner über den Mythos Maria Theresia.

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profil: Eine Frage bleibt auch in allen neueren Biografien Maria Theresias ungeklärt: Warum hat Karl VI., wohlwissend, dass nach dem Tod seines Erstgeborenen und der Geburt von drei Töchtern, kein männlicher Thronfolger mehr zu erwarten ist, Maria Theresia nicht auf ihre Regentschaft vorbereitet? Katrin Unterreiner: Das ist auch mir unerklärlich geblieben, obwohl ich sämtliche Primärquellen erforscht habe. Er hat seine erstgeborene Tochter nicht zu einer einzigen Sitzung mitgenommen, sie sagte selbst später, dass sie ins kalte Wasser gestoßen worden ist. Maria Theresia wuchs typisch so auf, wie es sich für eine Prinzessin gehörte, deren einzige Aufgabe es einmal sein sollte, zu heiraten. Sie lernte mehrere Sprachen, wurde in Tanz und Gesang ausgebildet und lernte kurzweilig zu plaudern. Die einzige Erklärung für Kaiser Karls Versagen, seine Tochter für ihre spätere Position aufzubauen, ist sein überraschender Tod: Er starb mit 55 Jahren an einer Pilzvergiftung und hatte vielleicht noch insgeheim mit der rechtzeitigen Geburt eines Enkelsohns gerechnet.

profil: In Ihrem Buch zitieren Sie den preußischen Gesandten Podewils, der Maria Theresia nach ihrem Amtsantritt attestiert: „Es scheint, als sei sie ärgerlich als Frau geboren zu sein, sie nimmt keinerlei Rücksicht auf ihre Schönheit …“ Unterreiner: Maria Theresia besaß eine intuitive Begabung für Selbstinszenierungen. Sie beherrschte die Kunst der Manipulation. Sie demonstrierte einerseits Stärke, Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein und beeindruckte die Generäle dadurch, dass ihr Kälte, Hitze und Müdigkeit egal waren. Sie war alles andere als eine Zicke. Andererseits wusste sie auch ihre Weiblichkeit einzusetzen und sich als arme Märtyrerin zu inszenieren. 1741 trat sie vor die ungarischen Magnaten, deren Unterstützung sie zur Kriegsführung dringend brauchte, und schloss ihre Rede mit tränenerstickter Stimme. Sie wusste ganz genau, wie sie Beschützerinstinkte erwecken konnte, spielte aber auch ihre weiblichen Reize gerne aus. Sie war in jungen Jahren durchaus hübsch und zeigte sich auch gern ihrem Volk. Je trübseliger die Lage der Monarchie war, desto prunkvoller gekleidet und geschmückt trat sie vor ihre Untertanen.

Sie war keineswegs begeistert, dauernd schwanger zu sein.

profil: Ungewöhnlich bürgerlich verhielt sie sich jedoch in ihrer Ehe mit Franz Stephan von Lothringen. War sie eine solche Romantikerin? Unterreiner: Sie war total verliebt in ihren Mann. Die Heirat war eine glückliche Fügung für sie in einer Zeit, in der Hochzeiten in aristokratischen Kreisen nichts mit Liebe zu tun hatten. Die beiden sind ja mehr oder weniger miteinander aufgewachsen: Sie war sieben Jahre alt, als der „Prinz Lothringen“ im Alter von 15 Jahren an den Wiener Hof kam. Und extrem ungewöhnlich für diese Kreise und die damalige Zeit – sie hatten, als sie verheiratet waren, auch ein gemeinsames Schlafzimmer.

profil: Im Sinne der Habsburgischen „Tu felix Austria nube“-Heiratspolitik erscheint Franz Stephan eher als schwacher Heiratskandidat. Unterreiner: Das stimmt. Franz Stephan von Lothringen war politisch unbedeutend, bar jeder finanzieller Mittel und eigentlich eine nicht adäquate Partie. Karls Berater Prinz Eugen hatte ja eigentlich Friedrich den Großen, den späteren Erzfeind, für sie vorgesehen gehabt. Doch der Kaiser lehnte das von Beginn an ab. Unter dem Druck Europas musste er für die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion einem unbedeutenden Partner den Vorzug geben, sonst wäre die Machtkonzentration zu groß gewesen. Insofern hatte Maria Theresia echtes Glück. Franz Stephan musste als Bedingung auf Lothringen verzichten, denn Frankreich hatte ganz klar gemacht, dass ein potenzieller Kaiser des Heiligen Römischen Reiches unmöglich auch gleichzeitig Herzog von Lothringen sein könne. Das hatte wiederum dessen Mutter empört, die diesen Verzicht als Verrat sah. Er bekam dafür die Toskana, was kein schlechter Tausch war.

profil: Maria Theresia als Superglucke, die gütig lächelnd inmitten ihrer 16-köpfigen Kinderschar sitzt, das ist das Bild, das die Rezeption bestimmt. Wie sehr entspricht der Mythos der Realität? Unterreiner: Sie war keineswegs begeistert, dauernd schwanger zu sein. Sie war extrem kontrollierend, was ihre Kinder betraf, und erteilte ihnen in ihren Briefen seitenweise Anweisungen, wie sie sich zu verhalten hatten. Im Gegensatz zu Franz Stephan, der tatsächlich ein ungewöhnlich liebevoller Vater war. In erster Linie sah sie sich als Regentin, ihre Kinder waren ihr Werkzeuge für den Machterhalt. Fast durchgängig wurden sie ja dann mit Bourbonen verheiratet. Wie schrecklich und unglücklich ihre Leben dann in solchen arrangierten Ehen verliefen, war ihr eher gleichgültig. Da war sie so brutal wie gnadenlos.

Katrin Unterreiner war wissenschaftliche Leiterin der Kaiserappartements in der Wiener Hofburg und Kuratorin des Sisi-Museums. Sie publizierte mehrere Bücher über die Habsburger und arbeitet nahezu ausschließlich mit Primärquellen.

Katrin Unterreiner: „Maria Theresia – Mythos und Wahrheit“, Styria Premium, 192 Seiten, 24,90 Euro.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort