„Kennt ihr eine Frau, die noch nie sexuell belästigt wurde?“
Frauen beantworten 65 Fragen von Männern. Geschlechter-Nachhilfe zum Internationalen Frauentag.
06.03.24
Drucken
Schriftgröße
Beim Reden kommen die Menschen zusammen, und wo sie zusammenkommen, da können sie einander auch verstehen. Oder es zumindest versuchen. Man sollte deshalb beim Miteinander-Reden nie auf das Einander-Zuhören vergessen, und genau darum soll es gehen: ums Fragen und Zuhören – und idealerweise auch ums Lernen.
Am 8. März wird der Internationale Frauentag begangen. Eingeführt wurde er schon im Jahr 1911, damals als sozialistischer Kampftag für die Emanzipation und Gleichberechtigung der Arbeiterinnen. In 29 Ländern – darunter Vietnam, Kasachstan, Burkina Faso und Deutschland (hier aber nur in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern) – handelt es sich um einen gesetzlichen Feiertag, in Österreich finden zu der Gelegenheit etliche größere und kleinere, öffentliche wie private Veranstaltungen statt, bei denen gewiss auch thematisiert wird, wie weit es mit der Gleichberechtigung in diesem Land eigentlich her ist, nämlich nicht ganz so weit, wie es wohl möglich wäre.
profil nimmt diesen Tag zum Anlass für ein Experiment: Männer fragen Frauen – und hören einfach nur zu. In diesem Sinn haben die Männer in der Redaktion im Kollektiv einen Fragenkatalog entworfen, den sie anschließend drei Frauen vorgelegt haben, die hier sozusagen stellvertretend antworten: Anna Thalhammer, Chefredakteurin des profil; Gesellschafts-Ressortleiterin und Autorin Angelika Hager; und die profil-Kolumnistin und Gründerin des Momentum Instituts Barbara Blaha. Es geht um den Stand des Feminismus im Jahr 2024, um Backlashes und gerechte Bezahlung, um Kinderbetreuung, Teilzeitfallen und politische Vorbilder, und immer wieder auch um Lebensrealitäten, von denen Männer nach wie vor zu wenig wissen.
1. Feiert ihr den Frauentag?
Hager: Widerwillig. Man fühlt sich dabei wie unter Artenschutz gestellt – und zwar ganz kurzfristig. Es gibt den Säbelzahntigertag, den Schnabeltiertag und den Frauentag. Und täglich grüßt das Murmeltier.
2. Was hindert Frauen daran, Karriere zu machen?
Blaha: Die Liste ist lang, sie lässt sich kurz zusammenfassen: Männer. Wir kennen die Gründe, warum Frauen im Berufsleben nicht weiterkommen: Sie machen immer noch den Großteil der unbezahlten Arbeit, sie sind mehrheitlich in deutlich schlechter bezahlten Branchen tätig. Und wir leben immer noch in einem Land, in dem sieben von zehn Kindern keinen Betreuungsplatz haben, der mit einem Vollzeitjob vereinbar ist.
3. Müssen Frauen fieser, egoistischer, rücksichtsloser, selbstbewusster sein, um im Beruf so weit zu kommen wie Männer?
Blaha: Sie müssen auf jeden Fall dreimal so viel arbeiten.
Hager: Aber Selbstbewusstsein ist in jedem Fall angezeigt, denn es ist klar, dass Frauen sich bei Lebensläufen oder Bewerbungen oft weit unter ihrem Wert verkaufen, während Männer Pfauenrad schlagend auch kleinste Erfolge riesengroß aufplustern.
4. Sind Frauen insgesamt zu zurückhaltend, wenn es darum geht, sich vorzudrängen, auf ein Podium zu setzen, einen Job zu übernehmen?
Blaha: Man bringt Frauen ein ganzes Leben lang bei, zurückhaltend zu sein, erklärt ihnen: Dräng dich nicht so vor, das ist unsympathisch, so sollst du nicht sein! Und dann heißt es: Kein Wunder, dass sie keine Karriere machen, wenn sie immer so zurückhaltend sind. Das ist perfide.
5. Kann man als Hausfrau und Mutter glücklich sein?
Thalhammer: Mit einer großen Erbschaft: ja.
6. Welche Strategien wenden Männer an, um Gleichstellung zu verhindern?
Thalhammer: Sie haben sehr gute Netzwerke, die auch weniger talentierte Männer nach oben tragen. Männer halten sich seit 2000 Jahren gegenseitig die Steigbügel.
Blaha: Ein wesentlicher Faktor ist aber auch: Männer brauchen keine große Strategie, sie müssen einfach gar nichts tun, um die Gleichstellung zu verhindern. Weil sich dann eben auch nichts ändert.
7. Haben sich Quoten bewährt?
Alle: Ja.
8. In welchen Bereichen sollten weitere verpflichtende Quoten eingeführt werden?
Blaha: Gegenfrage: In welchen Bereichen wollen wir keine Gleichstellung?
9. Ist es der richtige Weg, Mädchen aktiv in „männliche“ Berufe zu bewegen?
Thalhammer: Man kann ihnen zumindest zeigen, dass sie auch dort hinein gehen können, wenn sie wollen. Wir können nicht sein, was wir nicht sehen.
Blaha: Aber es ist leider auch eine Tatsache, dass Branchen, in die mehr Frauen drängen, damit an Ansehen und Gehältern einbüßen. Und dass Frauen in Männerbranchen immer noch weniger verdienen als Männer in derselben Branche. Individuell kann das eine Frau nicht lösen.
10. Im profil gibt es eine Chefredakteurin, eine (von zwei) stellvertretende Chefredakteurin und drei (von sechs) Ressortleiterinnen – haben wir die Gleichberechtigung schon geschafft?
Thalhammer: Gleichberechtigung hat man nie geschafft, weil man immer weiter daran arbeiten muss, zum Beispiel, wenn Stellen nachbesetzt werden müssen. Frauen müssen auch die Möglichkeit haben, weiter aufsteigen zu können. Oft werden in Unternehmen Frauen für Führungspositionen gesucht, ohne dass Frauen im selben Unternehmen in Richtung Führungsposition entwickelt werden. Dann heißt es: Es tut uns wirklich leid, aber wir finden keine geeignete Kandidatin.
11. Was macht eine Chefredakteurin grundsätzlich besser als ein Chefredakteur?
Hager: Die Empathie als eine der Eigenschaften, die man Frauen ansozialisiert hat, ist insgesamt stärker ausgeprägt als bei Männern in Führungspositionen.
Blaha: Frauen sind nicht grundsätzlich besser als Männer, egal ob in Führungsposition oder nicht. Allerdings bringen Frauen Erfahrungen aus ihrer Lebensrealität mit, die hilfreich sein können. In einer deutschen Studie hat sich gezeigt, dass Gemeinden, in denen eine Bürgermeisterin ins Amt kam, sehr schnell die Ausgaben für die Kinderbetreuung gesteigert haben.
12. Wo ist eurer Wahrnehmung nach die Gleichberechtigung bereits erreicht?
Thalhammer: Teilweise vielleicht im Öffentlichen Dienst – was das Grundgehalt betrifft.
Blaha: Die Frage zeigt aber auch schon die Perspektive der Fragenden: Gleichberechtigung ist kein sektorales Ereignis. Die Beamtin mag das gleiche Gehalt haben wie ihr Kollege, aber sie geht trotzdem nach Hause und wird wahrscheinlich mehr unbezahlte Arbeit machen als ihr Mann – und wird vielleicht auf der Straße sexuell belästigt.
13. Arbeitet ihr lieber mit Frauen als mit Männern?
Hager: Das ist mehr eine Charakter- als eine Geschlechterfrage. Aber es gibt schon die Erfahrung, dass Männer sich im Beruf offensiver in Szene setzen und im Eigenmarketing skrupelloser sind.
14. Wie oft seid ihr Opfer von Sexismus?
Blaha: Ist das jetzt der Abschnitt „Opferolympiade“? Wir sollten vielleicht einmal definieren, was Sexismus genau bedeutet. Aber wahrscheinlich erlebt jede Frau in Österreich mehrmals pro Woche Sexismus. Du musst nur ins Internet gehen und es wagen, dort etwas öffentlich zu posten. Dann kannst du die Uhr danach stellen: Drei Sekunden später richtet dir ein Schlaubi-Schlumpf irgendetwas aus, sei es zu deinem Aussehen oder zu deiner Meinung.
Thalhammer: Das Schlimme ist leider: Man gewöhnt sich so schnell daran. Man muss sich oft wirklich an der Nase nehmen und sagen: Das ist jetzt nicht in Ordnung!
15. Wo entsteht Sexismus?
Blaha: Überall, wo ein Machtgefälle oder eine Abhängigkeit besteht. In der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz. Also: überall.
16. Warum leben Frauen länger als Männer?
Thalhammer: Weil sie wesentlich häufiger zum Arzt gehen.
Blaha: Männer haben ein ausgeprägteres Risikoverhalten und sterben deshalb häufiger bei Unfällen. Das schlägt sich in der statistischen Lebenserwartung nieder.
17. Worin sind sich alle Frauen einig?
Alle: Dass es mühsam ist, zu menstruieren.
18. Hilft es der Frauenbewegung, wenn Feministinnen mit Trans-Aktivistinnen darüber streiten, was eine Frau ausmacht?
Hager: Das ist eine Generationenfrage. Bei jungen Frauen sind diese Debatten längst nicht mehr so umstritten wie bei Feministinnen, die in den 1980er-Jahren geprägt wurden.
19. Woran denken Frauen, während Männer ihnen Dinge erklären, die sie schon wissen?
Thalhammer: Dass sie bitte damit aufhören sollen.
Hager: Red’s in ein Sackerl und stell’s mir vor die Tür.
20. Woran scheitert 50/50 im Alltag?
Thalhammer: An der Unwilligkeit des Partners, meist des männlichen.
Blaha: Das ist ja auch nur verständlich: Warum sollte man das wunderbare Privileg aufgeben, jemand zu haben, der für einen die unbezahlte Arbeit erledigt?
Hager: Alice Schwarzer hat einmal gesagt: Ihr müsst Privilegien einfordern! Man muss auch Ultimaten stellen. Manchmal sind Dinge nur zu erreichen, wenn man erwachsene Menschen wie störrische Kinder behandelt.
21. Sollte im Sinne der Gleichstellung die Wehrpflicht auch für Frauen bestehen?
Hager: Nein, wir tragen die Kinder aus.
22. Wie kann man erklären, dass bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 mehr weiße Frauen Donald Trump gewählt haben als Hillary Clinton?
Blaha: Das ist eine schöne Frage, die uns zeigt, dass das Patriarchat eben auch von Frauen mitgetragen wird. Es gibt keinen Automatismus, dass jemand als Frau geboren wird und automatisch Feministin ist. Es ist in dem konkreten Beispiel aber vor allem eine soziale Frage.
23. Was ist euch lieber: ein feministischer Mann als Regierungschef oder eine nichtfeministische Frau?
Alle: Ein feministischer Mann.
24. Ist das Ziel des Feminismus die 50-50-Gleichstellung oder sollten Frauen zumindest in manchen Bereichen eine Zeit lang die Vormachtstellung innehaben?
Hager: Es dauert beim gegenwärtigen Tempo noch ungefähr 287 Jahre, bis wir die Gleichstellung erreicht haben, also fangen wir vielleicht einmal damit an.
Blaha: Steckt in dieser Frage womöglich die geheime Sorge, dass Frauen zu mächtig werden könnten? Johanna Dohnal hat einmal gesagt: Es geht nicht um eine weibliche Zukunft, sondern um eine menschliche Zukunft. Das Patriarchat ist auch für Männer schlecht.
25. Gibt es eine Erklärung, warum sich ÖVP-Ministerinnen mit dem Begriff „Feminismus“ so schwertun?
Hager: Weil sie in der ÖVP sind. Konservative Politikerinnen haben nun einmal ein prinzipielles Problem mit Bewegungen, die den Status quo angreifen. Es gibt da auch einen gewissen Perlenketten-Feminismus: Frauen sollen ruhig im Beruf erfolgreich sein, aber zu Hause bleibt alles beim Alten.
26. Wie ist es möglich, dass nur eine einzige Parlamentspartei eine Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl aufstellt?
Thalhammer: Da müsste man vielleicht einmal die Parteien fragen.
27. Gibt es in der Politik genug lagerübergreifende Frauensolidarität?
Thalhammer: Nein.
28. Die ÖVP stellte die erste Ministerin, die erste Landeshauptfrau, die erste Nationalbankpräsidentin. Zufall? Oder ist die ÖVP doch fortschrittlicher als die SPÖ?
Hager: Sie hat historisch wohl einen stärkeren Zug zur höheren Bildung.
Thalhammer: Und es gibt in der SPÖ immer noch eine stark machoide Struktur.
Blaha: Man sollte beim Blick auf die Frau an der Spitze aber nicht den Rest vergessen. Während der Kanzlerschaft von Angela Merkel betrug der Frauenanteil in der CDU-Fraktion 18 Prozent. Frauen an der Spitze machen noch keinen Feminismus.
29. Ist Giorgia Meloni aus feministischer Sicht eine wichtige Symbolfigur?
Hager: Sie ist eine ganz grausige Symbolfigur, besonders was ihre Attacken gegen Regenbogenfamilien angeht.
30. Was unterscheidet heutige junge Feministinnen von Feministinnen aus der Generation von Elfriede Hammerl oder Alice Schwarzer?
Hager: Mitte bis Ende der 1980er-Jahre lautete die Devise: Wir brauchen den Feminismus nicht mehr, weil wir eh alles erreichen können. Das war ein großer Irrtum, der viel Kraft gekostet hat.
Blaha: Womöglich geht es heute vielen jungen Frauen wieder ganz ähnlich. Sie werden in der Schule überwiegend von Frauen unterrichtet, gehen in Klassen, in denen mehr Mädchen als Buben maturieren, auf den Unis studieren auch deutlich mehr Frauen – und wenn sie dann in die Arbeitswelt einsteigen, stellen sie fest, dass jede dritte Frau am Arbeitsplatz sexuell belästigt wird.
31. Wenn ihr einen Tag lang ein Mann wärt: Was würdet ihr als Erstes tun?
Thalhammer: Uns im öffentlichen Raum bewegen, ohne eine Sekunde lang darüber nachzudenken, ob die Situation gerade sicher ist oder nicht. In der Nacht joggen gehen. Frauen haben dabei immer ein Sicherheitsprogramm laufen und Strategien, um sich selber zu beruhigen: Pfefferspray in der Tasche, Handy am Ohr.
32. Ist Teilzeitarbeit immer eine Falle?
Hager: Nicht für die Frau mit dem großen Erbe.
Thalhammer: Aber es ist natürlich auch eine Frage, für wie lange. Wenn beide Elternteile je 30 Stunden arbeiten – für die Zeit, in der ein Kind zu klein ist für eine längere Fremdbetreuung –, dann geht es sich aus.
Blaha: Falls es sich auch finanziell ausgeht und beide in Jobs arbeiten, die gut genug bezahlt sind.
Hager: Übrigens: Das Wort „Fremdbetreuung“ existiert in anderen Sprachen gar nicht. Da heißt das zum Beispiel „Day Care“ oder „Child Care“. Genauso wie das Wort „Rabenmutter“ nur im Deutschen existiert.
33. Sollte man den Muttertag abschaffen?
Hager: Nein. Das Last-Minute-Blumensträußchen von der Tankstelle würde fehlen.
34. Wie wichtig ist Frausein für eure Identität?
Thalhammer: Ich kenne nichts anderes.
Hager: Ich bin heilfroh, dass ich eine Frau bin. Mannsein stelle ich mir nicht so lustig vor.
35. Wer ist schlimmer: pubertierende Jungs oder alte Machos?
Blaha: Alte Machos. Bei den Jungen kann man noch was machen.
36. Kennt ihr eine Frau, die noch nie sexuell belästigt wurde?
Alle: Nein.
37. Hat die #MeToo-Bewegung den Frauen nur die Möglichkeit geschaffen, sich öffentlich besser gegen sexuelle Übergriffe zur Wehr zu setzen – oder hat sie auch das Verhalten der Männer zum Besseren beeinflusst?
Hager: Letzteres. Und zwar aus männlichem Eigeninteresse. Weil halt klar ist, dass gewisse Dinge heute nicht mehr durchgehen. Was früher unter Kavaliersdelikt gefallen ist, lässt sich heute nicht mehr vertuschen.
Thalhammer: Frauen können es benennen, und Männer haben Angst davor, dass es öffentlich wird. Also ändern sie ihr Verhalten.
Kennt ihr eine Frau, die noch nie sexuell belästigt wurde?
Alle: Nein.
38. Wie kann man Gewalt gegen Frauen verhindern?
Blaha: Schon in der Frühpädagogik beginnen, mehr Männerarbeit machen, stärker in der Prävention aktiv werden. Die Maßnahmen sind schon sehr lange öffentlich bekannt, die Rezepte für Gewaltschutz und Gewaltprävention liegen auf dem Tisch. Man müsste sie nur umsetzen.
39. Ist es sinnvoll, alle Morde an Frauen unter den Begriff „Femizid“ zu stellen?
Blaha: Ja, weil die Kriminalstatistik Gewalt gegen Frauen nicht ausweist. Der Begriff dient dazu, das Problem zu bezeichnen: dass es hier ein Muster gibt. Dass Frauen ermordet werden, weil sie Frauen sind – sehr oft aufgrund gekränkter Männlichkeit.
Hager: Gewalttäter im Gefängnis sagen sehr häufig den Satz: „Ich habe mir nicht mehr anders zu helfen gewusst.“
Blaha: Das wäre auch ein Punkt, an dem das Patriarchat die Männer verkrüppelt – weil sehr viele ein sehr eingeschränktes Set an Möglichkeiten haben, mit ihren Aggressionen umzugehen. Die Debatte „Gewalt gegen Frauen“ ist in erster Linie ein Männerproblem.
40. Wenn man die Geschlechterbeziehungen im Zeitverlauf betrachtet – ist der Feminismus eine Erfolgsgeschichte?
Blaha: Ja. Wenn man sich anschaut, was in 150 Jahren Frauenbewegung weitergegangen ist im Vergleich zu den 12.000 Jahren Patriarchat davor, dann ist das spektakulär. Auch wenn es den vergangenen 15 Jahren vielleicht stagniert.
41. In Österreich bezeichnen sich laut manchen Umfragen rund zehn Prozent der Männer als Feministen – und nicht einmal ein Viertel der Frauen. Habt ihr dafür eine Erklärung?
Hager: Weil „Feminismus“ immer noch mit „frustriert“ und „Männerhasserin“ konnotiert wird. Und weil der Begriff immer noch politisch punziert ist.
42. Ist Feminismus immer „links“?
Thalhammer: Er ist immer fortschrittlich und meistens liberal.
43. Wie sehr ist Feminismus bei Frauen aus sozial benachteiligten Schichten ein Thema?
Blaha: Dass eine Frau, die sich Monat für Monat die Frage stellen muss, wie sie die Miete zusammenbringt, wichtigere Themen hat als das Binnen-I, leuchtet ein. Je härter die materielle Lage, desto unwahrscheinlicher, dass noch Luft für feministische Fragestellungen bleibt.
44. Gibt es auch überbordenden Feminismus?
Blaha: Gegenfrage: Gibt es zu viel Gleichberechtigung?
45. War der Kampf um die „großen Töchter“ in der Bundeshymne wichtiger als das Ergebnis?
Hager: Solange wir einen Gender Pay Gap haben, liegt das auf der Prioritätenliste natürlich eher im Mittelfeld. Die Diskussion ist bestimmt wichtiger als das Ergebnis.
Blaha: Aber Symbole sind eben auch prägend: In Österreich sind gut sieben Prozent aller Straßen nach Frauen benannt. Das kann man für egal halten. Aber wenn es egal ist, warum gibt es dann so eine Auseinandersetzung um die geschlechtergerechte Sprache? Wenn es wirklich so wurscht wäre, müssten wir uns ja deshalb nicht so in die Goschen hauen.
46. Bekommt ihr gerne Komplimente?
Alle: Ja.
47. Welche nicht?
Blaha: Die vergifteten. Für eine Frau machst du das super!
48. Wie geht es euch, wenn euch ein Mann die Tür aufhält?
Hager: Sehr gut. Manieren und Höflichkeit sind ein Kulturgut, das Männern und Frauen gut steht.
49. Redet ihr mit euren Müttern oder Großmüttern über die Frage, wie sich die Geschlechterverhältnisse gewandelt haben?
Hager: Meine inzwischen verstorbene Großmutter hat mir öfter davon erzählt, dass sie damals nach der Hochzeit gern weitergearbeitet hätte, aber der Großvater hat es ihr nicht erlaubt, weil es seinem männlichen Selbstverständnis geschadet hätte, wenn er seine Familie nicht allein ernähren hätte können. Man darf nicht vergessen, dass das noch nicht besonders lange her ist.
50. Worum beneidet ihr eure Mütter?
Hager: Um eine sehr turbulente, aber doch seit 60 Jahren funktionierende Ehe.
51. Was ist der beste Rat, den ihr einer heute 14-Jährigen geben könnt?
Thalhammer: Verdien dein eigenes Geld, mach dich nie abhängig. Lass dir nichts gefallen.
Blaha: Mir hat meine Mutter einen Lebenshinweis gegeben: Du wirst in deinem Leben vor großen Entscheidungen stehen, und du solltest dich dann immer fragen: Schaff ich das auch allein, und will ich das allein? Wenn die Antwort zweimal Ja ist, dann mach es. Wenn nicht, dann nicht.
An welchen Orten in Österreich fühlt ihr euch als Frauen besonders unwohl?
Hager: In Bierzelten. Oder in der „Barbara Karlich Show“ zum Thema „Starke Frau, was nun?“
Blaha: Statistisch gesehen ist der gefährlichste Ort für eine Frau aber ihr Zuhause.
52. Kann man Buben zu Feministen erziehen?
Blaha: Ich habe drei Burschen, und ein wichtiger Nordstern meiner Erziehung ist das Bewusstsein, dass sie wahrscheinlich irgendwann mit einer Freundin heimkommen werden. Und vor der Frau möchte ich mich dann als Feministin nicht genieren.
Thalhammer: Es gibt in meinem Umfeld tatsächlich ausgeprägte Ängste, dass die eigenen Buben Machos werden könnten.
Hager: Burschen werden aber auch viel öfter mit Samthandschuhen angefasst als Mädchen. Weil: Die müssen funktionieren, da fragt man gar nicht lange, das wird vorausgesetzt. Beim Burschen dagegen: Wahnsinn, schau, er hat den Geschirrspüler ausgeräumt!
53. Bedeutet die Zuwanderung von Männern aus patriarchalischen Gesellschaften eine Gefahr für die Gleichberechtigung?
Thalhammer: Vermutlich leider ja – solange die Integration nicht so funktioniert, wie sie funktionieren sollte.
Blaha: Noch mehr Menschen mit einem veralteten, konservativen Weltbild machen den Kampf für Gleichberechtigung prinzipiell schwieriger. Es gibt davon in Österreich übrigens schon genug. Jeder, der neu dazukommt, ist einer mehr, den man bearbeiten muss. Aber wir sollten uns bemühen, bei dem Diskurs nicht durch die rassistische Brille zu schauen.
54. Haben Religionen wie der Islam oder das Christentum ein Problem mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau?
Alle: Ja.
55. Sollte es ein Kaufverbot für sexuelle Dienstleistungen geben?
Hager und Thalhammer: Nein, weil es in der dann zwangsläufig entstehenden Illegalität keine arbeitsrechtliche Struktur und Absicherung gäbe.
Blaha: Ich sehe das ein bisschen anders. Ich verstehe den Punkt, dass Sexarbeit eine geregelte, möglichst sichere Arbeit sein sollte. Aber wir landen dann trotzdem immer bei der Tatsache, dass in unserer Gesellschaft Menschen ihren Körper verkaufen. In dem Sinn finde ich übrigens auch Leihmutterschaft problematisch.
56. Worin spiegelt sich das eigene Schönheitsempfinden eher: im Blick der Männer oder in dem der anderen Frauen?
Hager: Im Blick in den Spiegel.
Blaha: Ich würde ergänzen, dass es derselbe Blick ist. Das ist das Wesen des Patriarchats: Dass auch Frauen auf andere Frauen mit der Perspektive schauen, ob deren Aussehen dem männlichen Blick genügt.
57. Ist es der männliche Blick, der Frauen dazu bringt, so viel Aufwand in ihr Aussehen zu stecken?
Hager: Es hat auch mit Selbstachtung zu tun. Man will sich in seiner Haut wohlfühlen.
Blaha: Wobei die Anforderungen für Frauen einfach sehr viel höher sind als die Anforderungen für Männer, wollen sie jeweils als „salonfähig“ gelten.
58. Sind alle Unterschiede zwischen Frauen und Männern nur Klischees?
Blaha: Die allermeisten Unterschiede sind gesellschaftlich erzeugt, aber natürlich gibt es auch biologische Unterschiede, zum Beispiel im Hormonhaushalt. Das Traurige daran ist, dass diese Unterschiede viel zu wenig erforscht werden. Wir schlucken massenhaft Medikamente, die an Frauenkörpern nicht getestet wurden. Es gab sogar Studien, die den Zusammenhang von Übergewicht und Brustkrebs erforschen sollten, an denen keine einzige Frau teilgenommen hat. Irre, aber wahr.
59. Wäre die Welt besser, wenn Männer auch Kinder gebären könnten?
Thalhammer: Sie wäre anders. Und es würde mehr Gejammer und Geächze geben.
60. Wünscht ihr euch manchmal, dass Männer Regelschmerzen haben?
Alle: Ja.
61. Wie oft merkt ihr, dass etwas nicht für Frauen geplant wurde?
Blaha: Jedes Mal, wenn wir in ein Büro gehen, in dem die Temperatur zu kalt eingestellt ist; wenn wir ein Handy in die Hand nehmen, das für unsere Hände zu groß ist; wenn wir uns im Auto anschnallen und uns bewusst machen, dass unser Unfallrisiko 30 Prozent höher ist, weil der Sicherheitsgurt nicht an Frauenkörpern getestet wurde.
62. An welchen Orten in Österreich fühlt ihr euch als Frauen besonders unwohl?
Hager: In Bierzelten. Oder in der „Barbara Karlich Show“ zum Thema „Starke Frau, was nun?“
Blaha: Statistisch gesehen ist der gefährlichste Ort für eine Frau aber ihr Zuhause.
63. Kann ein sexistischer Witz lustig sein?
Thalhammer: Ja. Aber er darf ruhig auch sexistisch gegenüber Männern sein.
64. Braucht die Welt Frauenmagazine?
Thalhammer: Ja. Medienvielfalt ist wichtig.
65. Ganz ehrlich: Hätten Frauen bessere Fragen gestellt?
Blaha: Ja, ganz sicher. Sie hätten sich nämlich die Mühe gemacht, ein bisschen länger darüber nachzudenken, welche Fragen uns wirklich weiterbringen.