Kiffen, tschicken, saufen: Wir sind ordentlich drauf
Neue Studien und Statistiken beweisen: Österreich ist, was sein Suchtverhalten betrifft, ein Hochrisikoland. Alkohol und Nikotin bleiben Volksdrogen, aber auch bei Cannabis und Kokain ist die Tendenz besorgniserregend.
„Und bis ans Ende aller Tage sind wir so hoch wie nie“, skandierte Falco einst, dessen polytoxisches Verhalten als Johann Hölzel die Biografen und Librettisten, zuletzt mit dem Musical „Rock Me Amadeus“, bis heute warm hält. Alkohol (in seinem Fall gerne Fernet), Psychopharmaka für alle Stimmungsrichtungen und Kokain zählten zu seinem Konsumalltag und nährten den Mythos vom Genie in ständiger Absturzgefahr. Er starb bei einem Autounfall mit großen Mengen Alkohol und Kokain im Blut. Polytoxisches Verhalten, also die Einnahme von verschiedenen Substanzen, insbesondere von Opioiden und Alkohol, ist auch die Ursache für die meisten Drogentode in Österreich. Laut der europäischen Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon liegt Österreich mit 39 substanzbedingten Todesopfern pro einer Million Einwohner weit über dem EU-Schnitt mit 18 Toten – Spitzenreiter sind Irland mit 79 und Finnland mit 73 Verstorbenen.
Eine traurige Statistik von vielen. Ursachen- und Wirkungsforschung, warum Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern in vielen Bereichen des Substanzenmissbrauchs über dem Durchschnitt liegt, betrieb das Psychiater-Duo Gabriele Fischer und Arkadiusz Komorowski in dem neuen Werk „Sucht. Neue Erkenntnisse und Behandlungswege“, einem wissenschaftlichen Handbuch, das nicht nur Psychotherapeut:innen, Pädagog:innen und Menschen in Gesundheitsberufen auf dem letzten Erkenntnisstand halten soll, sondern auch als Verständnishilfe für Angehörige und Partner:innen von Betroffenen gedacht ist. Schließlich ist es oft für die nächsten Menschen besonders schwer zu begreifen, dass „Sucht kein Indiz für Charakterschwäche, sondern eine Erkrankung ist“, so Fischer.
Keine Präventionsmedizin.
Am österreichischen Gesundheitswesen kritisiert die Leiterin für Suchtforschung an der Medizinischen Universität Wien, dass „bei uns der Behandlungsfokus auf einer Reparaturmedizin liegt, anstelle in eine Präventionsmedizin zu investieren“. Vorbild seien dafür die skandinavischen Länder, wo bereits früh und in kleinen Details ein anderes Lifestyle-Bewusstsein in den Menschen implantiert wird: frühpädagogische Aufklärung, Fitnessräume in den meisten Unternehmen, das Fahrrad als häufigstes Fortbewegungsmittel, in Schulkantinen wird der Salat gratis ausgegeben, dazu die hohen Steuern auf Alkohol. In Schweden dürfen Getränke ab 3,5 Prozent Alkoholgehalt nur in staatlichen Läden angeboten werden. Als ein wichtiger Faktor in der Präventionsstrategie gilt auch die genetische Vorbelastung. Tatsächlich erhöht „ähnlich wie bei Brustkrebs“ (Fischer) eine Suchterkrankung in der Familie das Risiko, selbst in den Substanzmissbrauch zu schlittern, um rund 30 Prozent. In manchen skandinavischen Ländern wird für Mitglieder von Familien mit einem solchen Gefährdungsrisiko präventiv Unterstützung angeboten und „engmaschiger kontrolliert“. Was solche vorbeugenden Strategien betrifft, scheint Österreich bis heute ein Entwicklungsland zu sein.
Falsche Therapiemethoden.
Die oft von anderen psychiatrischen Grunderkrankungen isolierte Behandlung einer Suchtproblematik ist ein grobes Versäumnis, das durch die damit verbundenen Krankenstände und verfrühte Arbeitsunfähigkeit nicht nur großes Leid über die Betroffenen bringt, sondern auch einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet. Denn vielfach sind unbehandelte psychische Erkrankungen wie Depressionen, bipolare Störungen, ADHS oder Angststörungen „die Ursache, dass sich sekundär überhaupt erst eine Substanzgebrauchsstörung entwickelt“, wie es im Buch heißt. Eine Störung, die sich, vereinfacht ausgedrückt, durch neurobiologische Veränderungen im Gehirn auf das Belohnungssystem und Toleranzempfinden auswirkt. Der Fall des ehemaligen Burgschauspielers Florian Teichtmeister, bei dem im Zuge einer Hausdurchsuchung nicht nur zahlreiche Datenträger mit Missbrauchsdarstellungen, sondern auch eine große Menge Kokain sichergestellt wurde, ist ein Beispiel dafür, dass eine Verhaltenssucht häufig in Kombination mit einem Substanzmissbrauch auftritt. Ein Paradebeispiel dafür ist die Glücksspielsucht, die Betroffene oft auch zu Alkohol und Kokain greifen lässt.
Hochrisikoland.
„Österreich ist und bleibt ein Hochrisikoland, was den Konsum von Alkohol und Nikotin betrifft“, so Arkadiusz Komorowski, forensischer Psychiater und Co-Autor von „Sucht“, „aber auch die inzwischen niederschwelligen Beschaffungsmöglichkeiten von illegalen Drogen wie Ketamin und anderen chemischen Substanzen via WhatsApp- oder Telegramgruppen geben Anlass zur Sorge.“ Der Lou-Reed-Song „I’m Waiting For My Man“, in dem Reed das sehnsüchtige Warten auf den Dealer thematisiert, beschreibt Beschaffungsmethoden, die längst nicht mehr dem Zeitgeist entsprechen. Der 2013 im Alter von 71 Jahren verstorbene US-Songpoet beschrieb in einem Interview ein Dilemma, das viele Suchtkranke in einen Teufelskreis zieht: „Ich habe auf meine Drogen zwar verzichtet, sie aber durch Alkohol ersetzt. Das hat nicht geklappt.“Viele Drogen, darunter auch psychedelische Substanzen,können inzwischen relativ problemlos online beschafft werden. Beispielsweise kann man bei Online-Versandstellen „magicmushrooms“ ordern, die dann auch ungehindert auf dem Postweg eintreffen. Zu einer echten Volksdroge hat sich Cannabis entwickelt: Bis zu 40 Prozent aller 15- bis 24-Jährigen haben in Österreich mindestens ein Mal Cannabis konsumiert; fünf bis sechs Prozent davon mindestens ein Mal Kokain, Amphetamine oder Ecstasy. Angesichts der Statistiken wie dem OECD-Drogenbericht oder dem Epidemiologiebericht stellt sich natürlich die Frage, wie valide das Zahlenmaterial auf einem Gebiet, in dem sich der Konsum oft im illegalen Bereich abspielt, tatsächlich ist. Martin Busch, Leiter des staatlichen Kompetenzzentrums Sucht, einer Vermittlungsstelle zwischen Wissenschaft und Politik, erklärt die Erhebungsmethoden: „Unsere Interpretationen beruhen auf vielen Datenquellen: Abwasseranalysen, Strafverfolgung, im legalen Bereich Verkaufszahlen, Todesfälle, tatsächliche Therapie- und Behandlungszahlen zusammen.“ Diese Indikatoren interpretiere man schließlich „ähnlich dem Zusammensetzen eines Puzzles“. Ein Überblick über die Konsumtrends im Suchtland Österreich.
Alkohol ...
... oder „Man bringe den Spritzwein!“: Wie sehr Alkoholkonsum in Österreich bagatellisiert wird und als soziales Gleitmittel fungiert, beweisen die Aussprüche von zahlreichen Politikern. Mit dem legendären Zitat „Man bringe den Spritzwein!“ pflegte der Wiener Altbürgermeister Michael Häupl Schluss mit dem langweiligen Teil von Veranstaltungen zu machen. Bundeskanzler Karl Nehammer fühlte sich in bemühter Lässigkeit bemüßigt, am Rednerpult in Alpbach anzumerken, dass einem angesichts der aktuellen Inflationsraten nur mehr die Wahl „zwischen Alkohol und Psychopharmaka“ bleibe. In einem Land, in dem „anlassbezogenes Trinken“ die Alltagskultur bestimmt, wobei vom Wetterumschwung bis zum Namenstag nahezu alles als Anlass durchgeht, verlaufen die Grenzen zwischen Gewohnheitskonsum und einer Suchterkrankung fließend. In Ländern wie Italien (7,7 Liter), wo eine wohldosierte Weinbegleitung zur Esskultur gehört, liegt der Anteil an Alkoholkranken weit niedriger. Der im November publizierte OECD-Bericht verwies Österreich mit 11,1 Litern reinem Alkohol pro Kopf und Jahr ex aequo mit Estland auf Platz 5; nur in Bulgarien, Litauen, Tschechien und Lettland werde mehr getrunken. Zum Vergleich: Der OECD-Durchschnittswert liegt bei 8, 6 Litern; Länder mit einem vorwiegend muslimischen Bevölkerungsanteil wie die Türkei (1,4 Liter pro Kopf und Jahr) rangieren logischerweise auf den hinteren Rängen. Irland ist das erste Land, in dem auch Alkoholika mit gesundheitlichen Warnhinweisen wie bei uns die Zigarettenpackungen versehen werden. Das sogenannte Komasaufen, wie es vor einem Jahrzehnt unter Jugendlichen zum Phänomen wurde, hat abgenommen. Die Versorgungs- und Therapielage ist von einem starken Stadt-Land-Gefälle geprägt. Während Niederösterreich, so Fischer, durchaus Vorbildfunktion habe, sei ein Bundesland wie Steiermark „massiv benachteiligt: Da befinden sich nahezu alle Therapieeinrichtungen in Graz.“ Der Schauspieler Erwin Steinhauer, heute totaler Alkohol-Asket, beschrieb seine bewegte Trinkbiografie in einem profil-Interview so: „In meinen Anfängen habe ich unfassbar viel getrunken. Über die Jahre wurde die Menge des Leerguts bei mir zu Hause langsam verdächtig. Und dann begann mir mein Körper immer eindringlicher Signale zu senden.“ Heute haben sich sein „Suchtverhalten und mein Kampf auf Schokolade verlagert“: „Zucker ist ja eine tatsächliche Droge.“ Werden die Kosten der verschiedenen psychiatrischen Erkrankungen beleuchtet, so sei „die Alkoholabhängigkeit mit circa 8000 Euro im Jahr pro Krankheitsfall der zweitgrößte Kostenfaktor nach Schizophrenie“, heißt es in „Sucht“, vor allem wegen Arbeitsausfällen und Krankenständen. Dagegen werden die Kosten, die in Verbindung mit „illegalen Drogen“ stehen, auf die Hälfte geschätzt.
Bundesländer wie die Steiermark sind massiv benachteiligt
Gabriele Fischer
Psychiaterin und Spezialistin für Suchtforschung
Cannabis ...
... oder „Kiffer wollen keinen Krieg“: Der Reiseschriftsteller Helge Timmerberg, 70, der seit seinem 17. Lebensjahr nahezu regelmäßig abends einen Joint raucht, hat über Rituale und richtige Dosierung das Buch „Joint Adventure“ geschrieben, in dem er unter anderem über den friedfertigen Entspannungsgrad der Kiffer-Gemeinde schwärmt. Cannabis ist unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Österreich zur Mainstreamdroge geworden. Die Suchtforscherin Gabriele Fischer schätzt aufgrund des vorhandenen Zahlenmaterials, dass rund 30 Prozent dieser Altersgruppe regelmäßig Cannabis konsumieren. Ihr „Sucht“-Co-Autor Komorowski sieht vor allem bei Frühstartern eine Gefahr: „Wenn Cannabis bereits im Alter von 15 oder 16 Jahren konsumiert wird, ist das Risiko für spätere Angststörungen und Depressionen weit höher, als wenn man nach der abgeschlossenen Hirnentwicklung, also circa im 25. Lebensjahr, damit beginnt.“ In Kombination mit synthetischen Cannabinoiden kann es zu gefährlichen Konsequenzen kommen, wie Martin Busch beobachtet: „Wenn der THC-Gehalt durch unregelmäßiges Versprühen zu hoch ist, können Psychosen ausgelöst werden.“ Wie bei vielen Suchterkrankungen gilt auch hier: Wenn die psychiatrische Grunderkrankung nicht diagnostiziert wird, ist es für die Betroffenen schwer bis unmöglich, aus dem Suchtverlauf auszusteigen.
Nikotin ...
... oder „Es ist ein wunderschöner Kampf“: Rauchen ist die am weitesten verbreitete Sucht in Österreich und hat ein höheres Abhängigkeitspotenzial als Alkohol oder Kokain. Etwa jeder Fünfte gibt laut Epidemiologiebericht 2022 an, regelmäßig zu rauchen. Rund 14.500 Todesfälle jährlich gehen zulasten eines regelmäßigen Nikotinkonsums. „Allerdings“, so Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht, „will ein Drittel der Betroffenen damit aufhören, schafft es aber ohne Hilfe nicht. Da wäre Unterstützung gefragt.“ „Es ist ein wunderschöner Kampf“, beschrieb Charles Bukowski einst seine zerstörerische Liebe zu Nikotin und Alkohol. Die gesundheitlichen Konsequenzen von langjährigem Nikotinkonsum sind hinlänglich bekannt. Neben einem vielfachen Risiko für Herzerkrankungen, Krebserkrankungen und Schlaganfällen bewirkt Nikotin auch degenerative Veränderungen: „Ein Rauchstopp trägt zur Demenzprävention bei“, heißt es in „Sucht“. Dramatisch ist die Raucherquote unter jungen Menschen – sie liegt bei 49 Prozent, in den Berufsschulen sogar 59 Prozent. Mehr junge Raucher hat nur Grönland (60 Prozent). Alternative Nikotinprodukte wie Nikotin-Pouches (Beutel, die in den Mund gelegt werden), Heets (Tabaksticks, die in verschiedenen Geschmacksrichtungen erhältlich sind), Shishas (Wasserpfeifen) oder E-Zigaretten sind vor allem für Minderjährige gefährlich. „Oft beginnen Jugendliche, ohne vorher geraucht zu haben, mit solchen Produkten“, stuft Komorowski diese Entwicklung als bedenklich ein, „Pouches machen beispielsweise verhältnismäßig schnell süchtig.“ Als Umsteigedroge zur Zigarettenentwöhnung spreche nichts dagegen, so Busch, schließlich haben die Produkte weit weniger Schadstoffe als Zigaretten – allerdings nur dann: „Fünf Prozent der 15-jährigen Burschen und zwei Prozent der gleichaltrigen Mädchen konsumieren inzwischen solche Produkte, man kann davon ausgehen, dass sie das nicht als Mittel zu einem Ausstieg tun.“
„Benozs”, Opioide & Mischkonsum
Die häufigsten Drogentoten verursacht eine Form des Mischkonsums von Opioiden, Benzodiazepinen, also Beruhigungsmedikamenten wie Angstlöser und Schlafmittel, und Alkohol. Prominentes Opfer eines solchen Pillencocktails scheint kürzlich „Friends”-Star Matthew Perry gewesen zu sein. Der reine Heroinkonsum geht in Österreich leicht zurück, multitoxisches Konsumverhalten spiele jedoch, so der Drogenbericht, „eine zentrale Rolle“. Österreich ist deshalb auch, was Todesopfer durch Substanzmissbrauch betrifft, ein Hochrisikoland. Zusätzlich kommen immer mehr synthetische Opioide auf, deren Wirkungsweise oft nicht kalkulierbar und erforscht ist. Geschätzt wird die Zahl der Medikamentenabhängigen auf 1,5 bis zwei Prozent. Benzodiazepine sind zwar verschreibungspflichtig, aber fallen oft nicht unter die Rezeptgebühr, deswegen sind sie oft nicht statistisch erfasst. Zusätzlich besorgen sich Medikamentenabhängige oft via „Doktor Shopping“ bei unterschiedlichen Privatärzten jene „Benzos“, die ihnen die angstlösende Entspannung bringen. Auch diese Konsumenten fallen unter das statistische Radar. Solche Medikamente helfen zwar schnell und effektiv, psychiatrische Zustände zu therapieren, aber ohne ein diagnostisches Setting ist der Konsum gefährlich und kann zu Gedächtnisverlust, schweren Konzentrationsschwierigkeiten und Verlangsamung führen.
Kokain ...
... oder „wie ein vollgetankter Ferrari“: Die erste Line eines Abends katapultiere einen, so der Schauspieler Alexander Goebel über sein früheres Konsumverhalten, in einen Zustand, der mit einem Ferrari, „jederzeit bereit, loszudonnern“, zu vergleichen ist. Kokain, einst exklusiver Treibstoff einer Szene- und Kreativelite, ist längst im Mainstream angekommen. Rund fünf bis sechs Prozent aller 15- bis 24-Jährigen konsumierten zumindest ein Mal Kokain, Amphetamine oder Ecstasy, wobei die klassische Partydroge der Techno-Kids heute von geringer Bedeutung ist. Kokain gilt als „Aging out“-Substanz, ab einem gewissen Alter verabschieden sich viele Konsumenten vom „Weißen“. Ein oft wehmütiger Abschied, wie Frédéric Beigbeder in seinem Roman „Der Mann, der vor Lachen weinte“ beschreibt. Der Kokainkonsum steigt in Österreich zur Zeit leicht an, allerdings lag Wien, was seine Konsumdichte betrifft, in einer Abwasseruntersuchung im Vergleich mit 17 anderen europäischen Hauptstädten nur auf Platz 10. Amsterdam führt in diesem Ranking, gefolgt von Brüssel und Lissabon.