Maria und ihre beiden Buben in ihrem Gefängnis
Justiz

Kinder hinter Gittern

In Österreichs einzigem Frauengefängnis leben Mütter mit ihren Kleinkindern. Ein Besuch bei einer Jungmutter, die ihre Zwillinge zwischen Mörderinnen, Räuberinnen und Drogensüchtigen großzieht.

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Maria hat dunkle Augenringe, wie sie sich nur  in die Gesichter von jungen Eltern zeichnen. Seit eineinhalb Jahren hat die 27-Jährige kaum länger als zwei Stunden am Stück geschlafen. Grund dafür sind ihre Zwillingsbuben, die abwechselnd ihre permanente Aufmerksamkeit fordern. Schläft der eine, hat der andere Bauchweh. Kaum ist der eine satt, will der andere eine Flasche. Beschäftigt sich Mario endlich für ein paar Minuten mit sich allein, will Marco spielen. Maria hat bei der Bewältigung dieser herausfordernden Aufgabe weder von einem Partner noch von Verwandten oder Freunden Unterstützung. Die junge Mutter zieht ihre Kinder allein auf, zwischen Mörderinnen, Räuberinnen und Drogensüchtigen. Sie sitzt ihre Strafe auf der Mutter-Kind-Station in Österreichs einzigem Frauengefängnis im niederösterreichischen Schwarzau ab.
 

Die Schwarzau ist Österreichs einziges Frauengefängnis. Hier leben auch Müttern mit Kleinkindern

„Die Schwarzau“, wie es in Justizkreisen genannt wird, ist zumindest optisch wohl eines der schönsten Gefängnisse Europas. Hier weht der architektonische Charme der Monarchie. Die Auffahrt ist von knorrigen, betagten Bäumen gesäumt. Das ehemalige kaiserliche Jagdschloss steht unter Denkmalschutz und hat vor nicht allzu langer Zeit einen neuen, pastellgelben Anstrich bekommen. Kaiserin Zita ehelichte hier 1911 ihren Karl. Auch Napoleon nächtigte in diesen geschichtsträchtigen Mauern. Das Gebäude ist von weiten Grün- und Waldflächen umgeben, die heute wie damals  von der Justizanstalt selbst betrieben werden, die darum weitgehend autark ist. Die Stallungen werden noch immer von Kühen, Schweinen, Ziegen und Hühnern bewohnt. Manches Tier wird  am Ende seiner Tage im Gebäude nebenan geschlachtet und zu Wurst oder Pasteten verarbeitet. Auf dem Gelände werden Rüben, Zwiebeln und Salat angebaut, die schließlich in der Schlossküche verkocht werden. In einem anderen Gebäude werden handwerkliche Erzeugnisse gefertigt. In dieser scheinbaren Idylle erinnern nur die hohen Mauern mit dem Stacheldraht und den vergitterten Fenstern daran, was das Haus eigentlich ist: ein Gefängnis, in dem bis zu 171 Frauen oft langjährige Haftstrafen absitzen.  

Maria, die in Wien aufgewachsen ist, muss hier nicht zum ersten Mal ihre Freiheit als Pfand für ihre Verbrechen geben. Schon in ihrer Kindheit wurden viele Grenzen überschritten, in der Familie, der Schule. Sie kam ins Wanken. Als sie in die Pubertät kam, wurden die Konflikte größer, das Mädchen geriet aus dem Lot. Sie haute von zu Hause ab, fand im Park neue Freunde und ihre erste große Liebe. Trotzdem wurde ihr neues Leben kein besseres. „Ich wollte mich nicht spüren und betäubte mich. Zuerst waren es Pillen, dann das tiafe Zeug“, sagt Maria, die sehr offen über sich und ihre Probleme spricht. Heroin und Chrystal Meth gehörten schließlich zur täglichen Routine. Um sich diesen permanenten Konsum leisten zu können, brach Maria ab ihrem 13. Lebensjahr mehrfach das Gesetz: Diebstahl, Raub, Betrug. Vier Mal wurde sie dabei von der Polizei erwischt. Zuletzt wurde sie wegen Beschaffungskriminalität zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt, die sie 2021 antrat. Statt Heroin konsumiert Maria seitdem Methadon, anfänglich in hoher Dosierung als Ersatzdroge, damit ihr die körperlichen Entzugserscheinungen erspart blieben. „Alles war wie im Nebel“, erzählt sie. Dass sie damals bereits schwanger war, ahnte sie nicht. Der Vater war einer ihrer Junkie-Freunde. Als die Periode ausblieb und zwei Wochen nach Haftantritt die Übelkeit kam, brachte ein Schwangerschaftstest die schockierende Überraschung. Die wurde gegen Ende der Schwangerschaft noch einmal getoppt: „Ich bin schon nur mehr gewatschelt wie ein Pinguin, hatte einen riesigen Bauch. Ich habe mir schon gedacht, da stimmt was nicht“, erzählt sie, „und dann sagt der Arzt plötzlich, es seien Zwillinge. Vorher hatte das niemand gesehen. Ich war im siebten Monat.“ Die Aufzeichnungen im Mutter-Kind-Pass bestätigen diese schier unglaubliche Geschichte. Die begleitenden Untersuchungen hatte ein von der Justiz bestimmter Gynäkologe durchgeführt.

Von der Frühchenstation in den Knast

Die beiden Buben kamen schließlich wenige Wochen zu früh im Spital Wiener Neustadt per Kaiserschnitt auf die Welt. Die dortige Neonatologie ist auf die Kinder Drogensüchtiger spezialisiert. Glücklicherweise hatten die Zwillinge kaum Schaden durch den bis dahin exzessiven Lebenswandel ihrer Mutter davon- getragen. Wenige Wochen später wurde Maria mit den Kindern zurück in das Gefängnis geschickt, wo sie eine im Vergleich großzügige Zelle mit etwa 25 Quadratmetern bezog. Neben ihrem eigenen Bett stehen zwei Gitterbetten, in denen zwei Stofffüchse sitzen, die Maria von „draußen“ bekommen hat. An der Wand hängen Fotos der kleinen Familie. Gegenüber steht ein Wickeltisch und alles, was Maria zum Fläschchenmachen braucht. Wer auf Ersatzdrogen ist, soll nicht stillen. An den Raum ist ein kleines Bad angeschlossen, wo die Kinder gebadet werden können. Am Boden liegt ein wenig Spielzeug verteilt, die beiden Buben lernen gerade laufen, nichts ist vor ihnen sicher. „Kaum hast du aufgeräumt, ist wieder Chaos“, lacht Maria. Am Nachmittag ist sie mit den Kindern aber ohnehin viel draußen, geht auf dem Gelände spazieren oder besucht mit ihnen die Tiere: „Es soll so normal wie möglich sein.“

Darum gehen die beiden Buben auch jeden Tag in den Betriebskindergarten, der sich wenige Meter außerhalb der Gefängnismauern befindet und für Kinder von Insassinnen ab dem ersten Lebensjahr verpflichtend ist. Die Situation dort ist außergewöhnlich: Mario und Marco spielen dort am Vormittag mit dem Nachwuchs der Anstaltsbediensteten. Insassinnen helfen, den Betrieb aufrecht zu erhalten, machen Assistenzdienste, richten die Jause und übernehmen die Reinigung. Zumindest den halben Kindergartenweg dürfen die Buben mit ihrer Mutter gehen. Maria macht die beiden morgens fertig und wird dann von einer Justizwachebeamtin zum Übergabepunkt an den Gefängnismauern gebracht. Dort übernimmt die Elementarpädagogin. Nach dem Essen und dem Mittagsschlaf werden die Buben dort wieder abgegeben, wo Maria schon darauf wartet, dass ihr die beiden in die Arme laufen. Am Vormittag hat sie dann aber keine Zeit, um sich auszuruhen, sondern muss die ihr zugeteilten Aufgaben und Arbeiten erledigen.

Die Begleitung auf diesen Wegen von und zum Kindergarten übernimmt häufig Regina Grabenweger. Sie arbeitet seit 32 Jahren in der Haftanstalt, die 1957 eröffnet wurde. Sie leitet die unter  dem damaligen Justizminister Christian Broda 1972 eröffnete Mutter-Kind-Abteilung seit 20 Jahren. Mehr als 100 Kinder hat sie in deren ersten Lebensjahren schon über die lange Allee zum Checkpoint begleitet. Auch ihr eigenes Kind hat sie täglich in diesen Kindergarten gebracht. Probleme oder Konflikte mit den dort arbeitenden Insassinnen habe es nie gegeben, sagt sie. Daran könne sich auch Margit Schrammel nicht erinnern. Die stellvertretende Anstaltsleiterin arbeitet seit bald 40 Jahren hier – wie schon ihr Vater vor ihr. Er war wie sie Wärter – das Gefängnis ist für viele Schwarzauer seit Generationen ein wichtiger Arbeitgeber. Auch Schrammel selbst besuchte bereits diesen Kindergarten, wie später auch ihre Tochter.

Schein-heile Welt

Ein Kindergarten mit Spielplatz. Offene, großzügige Zellen mit bunten Wänden. Türen, die Sticker mit Mickey-Mäusen, Glücksbärchen und Enten zieren. Ziegen zum Streicheln grasen am Gelände. Zu Ostern werden Eier versteckt. Am 6. Dezember verkleidet sich der Chef der Anstaltsfleischerei als Nikolaus in einem historischen Kostüm und bringt allen Kindern Sackerl. Zu Weihnachten kommt das Christkind samt leuchtendem Baum, Geschenken und dem dazugehörigen Ritual. In der Schwarzau bemüht man sich, das Leben für die Kinder so normal wie möglich zu gestalten. Dennoch werden die bunt gestalteten Anstaltstüren am Abend mit großen, silbernen Schlüsseln zugesperrt. Am Ende des Tages ist die Schwarzau eben doch eine Haftanstalt, wo Kriminelle für ihre Verbrechen büßen. Bevor die Kinder diesen Umstand gänzlich erfassen können, müssen sie das Gefängnis verlassen, so zumindest die Idee des Gesetzgebers. In anderen Haftanstalten gibt es einzelne Zellen für Mütter mit Kindern, die aber nur für einzelne Hafttage gedacht sind. In der Schwarzau  dürfen Kinder bis zum dritten Lebensjahr  bleiben. Damit es nicht zu schmerzhaften Trennungen kommt, wird diese Form der Haft normalerweise auch nur genehmigt, wenn die abzusitzende Strafe der Mütter dieses Datum nicht übersteigt. Ist das nicht der Fall, werden die Kinder woanders untergebracht. Bei Verwandten, sofern das Umfeld stabil genug ist,  ansonsten bei Pflegefamilien oder in einem Heim. In Deutschland ist es anders geregelt: Dort gibt es einzelne Versuchshaftanstalten, in denen der Vollzug gänzlich anders gedacht und gelebt wird. Dort dürfen Kinder in Einzelfällen auch bis zum Schuleintritt bleiben. In Österreich hat ein Reformprozess in diese Richtung noch nicht stattgefunden.

Dass Marco und Mario überhaupt bei Maria aufwachsen dürfen, ist ein Sonderfall, da sie von ihrer Schwangerschaft erst in der Haft erfahren hat. Die Strafe, die sie abzusitzen hat, übersteigt den dritten Geburtstag ihrer Zwillinge deutlich.  Selbst bei guter Führung hat sie keine Chance, mit ihnen entlassen zu werden. Sie werden also vor ihr wieder in Freiheit sein. Maria weiß, dass sie sich schon bald von ihnen trennen muss: in knapp eineinhalb Jahren, die Zeit verfliegt. Alle Beteiligten arbeiten bereits an einem für alle Seiten akzeptablen Übergang: Die Zwillinge sollen nach ihrem dritten Geburtstag bei der Mutter des Kindsvaters unterkommen, von dem sich Maria mittlerweile getrennt hat, wie sie stolz erzählt. Anders als sie habe er keine Bestrebungen, sich von seiner Drogensucht zu lösen, sie wolle das für ihre Kinder nicht. Die Schwiegermutter, bei der die Zwillinge künftig leben sollen, begrüße den Schritt, auch wenn das gegen ihren eigenen Sohn geht. Eine fragile Gesamtsituation also, die schon wieder neue Konflikte prophezeit.

Grabenweger nimmt die Information der Trennung aber durchaus wohlwollend zur Kenntnis: „Frauen in Haft sind anders als Männer. Und ohne etwas  zu beschönigen wollen: Viele dieser Frauen, die später Verbrecherinnen werden, waren einst Opfer. Hinter vielen ihrer Taten steht ein Mann. Ein Vater, ein Bruder, ein Lebensgefährte. Wir versuchen, die Frauen zu empowern, damit sie es schaffen, rauszukommen.“

Maria arbeitet derzeit intensiv daran, um die nächsten anstehenden Schritte gut bewältigen zu können: „Ich weiß, dass mich die Trennung von den Kindern schwer treffen wird. Ich glaube zwar, dass ich schon zu weit bin, um wieder rückfällig zu werden, aber ich muss höllisch aufpassen.“ Darum versucht man, Mutter und Kinder mit entsprechender Begleitung von Psychologen und Jugendamt behutsam auf die neue Situation vorzubereiten. Die Großmutter der Zwillinge kommt immer häufiger zu Besuch und nimmt die Buben auch für immer längere Zeit zu sich. Für Maria ist das schmerzhaft: „Sie abzugeben, tut jedes Mal weh. Weil ich weiß eben am besten, wie ich sie zum Einschlafen bringe, was jeder von ihnen braucht. Und manchmal weinen sie, wenn ich sie abgebe. Das ist echt grauslich. Auch wenn ich im Kopf weiß, dass es für sie das Beste ist.“ Sie holt Luft und sagt dann diesen Satz, den sie sich wohl seit Wochen eintrichtert: „Es war mein Fehler, warum ich hier gelandet bin. Warum sollen sie hier mit mir eingesperrt sein.“ Und dann: „Was ich jetzt sage, klingt vielleicht verrückt: Aber ich bin froh, hier zu sein. Ich will und werde es schaffen, mich so zu verändern, dass ich meine Kinder wiederbekomme und ich ihnen eine gute Mutter bin. Ohne die Menschen hier rund um mich würde ich das nie schaffen.“ Regina Grabenweger lächelt ihr aufmunternd zu: „Und ich glaube ganz fest an dich. Ich bin wirklich stolz auf das, was du schon geschafft hast.“

Marias Kinder gehen jeden Tag in den Gefängniskindergarten und spielen dort mit dem Nachwuchs des Gefängnispersonals.

Die Stations-Oma

Der Tag der Geburt hat für Maria alles verändert, sie gelobte sich selbst Besserung. „Jeder Suchtkranke hat etwas, das er nicht spüren will. Ich will aber meine Kinder spüren, ihre Entwicklungsschritte erleben, und das hilft mir, mich meinen Problemen zu stellen“, sagt sie. Ersatzdrogen soll und kann man nur langsam reduzieren, Maria ist auf Eigeninitiative fast clean und will es auch bleiben.

Unterstützung auf dem Weg dorthin bekommt sie in allen Fragen vor allem von Frau Grabenweger. „Ich bin eine Art Stations-Oma“, sagt sie lachend. Sie hilft aus, wenn die Mütter vor Müdigkeit kaum noch stehen können, und gönnt ihnen einen schnellen Schlaf. Sie zeigt die Griffe und Tricks, wenn Blähungen der Säuglinge zu Schreikonzerten führen. Sie kennt nach all den Jahren etliche effiziente Methoden, um unruhige Kinder zu beruhigen. Aber meistens, da hört sie auch einfach nur zu. „Meine erste Anlaufstelle ist immer das Stationszimmer“, sagt Maria. Und fügt selbstironisch hinzu: „Das muss auch manchmal schwer auszuhalten sein, mit was ich da alles daherkomme.“ „Das zeugt von großem Vertrauen, über das ich mich freilich sehr freue“, sagt Grabenweger und fügt hinzu: „Manchmal bekommt man in meinem Job viel Emotion ab, damit muss man umgehen lernen. Ich bin hier immer noch Aufseherin und muss die Balance zwischen nötiger Nähe, Fürsorge und angebrachter Distanz halten.“ Das sei nicht immer einfach, denn manche Frauen habe sie hier seit ihrer frühesten Jugend immer wieder gesehen. Meist sei Drogenkonsum und die damit einhergehende Beschaffungskriminalität der Grund gewesen. „Die Michi, die kannte ich wirklich seit ihrer Pubertät. Sie kam immer wieder. Bis sie dann auch hier gestorben ist. Es gab eine Verabschiedung mit einer Urne“, erzählt Grabenweger. „Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, das habe mich und auch alle anderen hier nicht tief bewegt. In einer gewissen Art und Weise ist sie ja bei uns groß geworden.“ Dennoch liebe sie ihren Job: „Ja, manche verändern sich auch hier nicht. Aber andere, die schaffen es dann doch – und das zu sehen, ist toll. Ich bin gerne Unterstützung.“

Die können die Mütter hinter Gittern auch dringend gebrauchen, denn das Leben ist für sie oft schwer. Unter anderem, weil es ihnen von Mitinsassinnen noch einmal schwerer gemacht wird. Der Neid ist oft groß: weil die jungen Mütter viel Aufmerksamkeit bekommen. Weil etwas lockerere Bedingungen gelten. Weil sie ab und an Sachen bekommen, die
die anderen nicht kriegen. Wie sehr das manchen nicht in den Kram passt, das lassen die Insassinnen die ohnehin verwundbaren Mütter auch spüren. Sie werden geschnitten, angemault und für ihre Art und Weise, wie sie mit den Kindern umgehen, niedergemacht. „Einerseits ist es natürlich schön, dass es irgendeine Möglichkeit gibt, die Kinder bei sich zu haben. Andererseits ist das wirklich nicht leicht. Die Frauen stehen unter ständiger Beobachtung. Durch die Wärter, das Jugendamt, Sozialarbeiter, Psychologen – und freilich auch die anderen“, sagt Kathrin Neuwirth, die in der Schwarzau seit 17 Jahren als Sozialarbeiterin tätig ist. Das löse bei den Müttern die ständige Angst aus, etwas falsch zu machen, was zur Kindesabnahme führen könnte. Den Müttern fehle in jeder Hinsicht die Autonomie: Sie bekommen die Kleidung für die Kinder, die ihnen zugeteilt wird. Die Windeln, die ausgegeben werden. „Es wird gekocht, was zur Verfügung steht, und nicht, was ich als Mutter glaube, dass es das Beste für mein Kind wäre. Es gibt wenig Gestaltungsspielraum.“
 

Und dann dürfe man nicht vergessen, dass viele Frauen hier schon Mütter waren, als sie in die Haftanstalt kamen, aber ihre Kinder draußen zurücklassen mussten. Diese Frauen leiden auch daran, andere mit ihren Kindern zu sehen. „Davon abgesehen, dass du dann freilich auch die hast, die immer alles besser wissen und das den Müttern auch mitteilen.“ Vor allem die Covid-Zeit sei für alle in der Schwarzau schrecklich gewesen. Es habe lange Phasen gegeben, in denen praktisch gar keine Besuche gestattet waren und Mütter sehr lange von ihren Kindern getrennt waren.

„Viele Frauen leiden bis zu körperlichen Erscheinungen an der Trennung von ihren Kindern“, weiß Neuwirth. „Das Leid hier ist anders als im Männervollzug. Frauen reflektieren ihre Taten anders und fühlen sich – oft – anders und mehr schuldig. Dazu ist die gesellschaftliche Ächtung groß. Ein Mann, der in Haft war, das kennt man schnell mal. Frauen sind eher selten.“ Anstaltsleiter Gottfried Neuberger wünscht sich zwar von der Politik für sein Gefängnis nichts, dafür hat er aber einen Wunsch an die Gesellschaft: „Der Strafvollzug kann einiges bewirken, aber es geht dann darum, draußen wieder Fuß zu fassen. Dass das Umfeld auch akzeptiert, dass jemand seine Strafe abgesessen hat und wieder eine Chance verdient hat. Während Männer, die aus dem Gefängnis kommen, manchmal als ‚cooler Typ‘ gesehen werden, sind Frauen besonders stigmatisiert.“ Mit Stichtag 1. März 2023 sitzen 8515 Männer und 612 Frauen in Haft.  

Maria hat keine Angst vor der Schande draußen. Es wissen alle, was passiert sei, erzählt sie. Mit den Kindern sei es aber nachher eine andere Situation: „Die Eltern der Schulfreunde müssen nicht unbedingt wissen, was in meinem Leben bisher so los war und warum ich hier gelandet bin. Aber das gehört nach meiner Entlassung hoffentlich der Vergangenheit an. Ich will ein neues Leben. Mit viel Liebe und schönen Gefühlen.“

Fotos: Philipp Horak

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.