„Kinder werden regelrecht dressiert“
Interview: Franziska Dzugan
profil: Sie attestieren der Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt eine narzisstische Störung. Die Schuld geben Sie den Eltern. Inwiefern? Maaz: Die kapitalistische Ökonomie ist auf Profitmaximierung ausgelegt. Für die Menschen heißt das Leistungsdruck, starke Konkurrenz, Beschleunigung. Genauso erziehen wir unsere Kinder, denen es an echter Liebe fehlt. Das befördert Narzissmus.
profil: Stehen Kinder heute nicht mehr im Mittelpunkt denn je? Maaz: Die übertriebene Zuwendung ist kontraproduktiv. Oft werden Kinder regelrecht dressiert, um besondere Leistungen zu erbringen. Das Kind muss Normen erfüllen, die wenig Rücksicht nehmen auf seine Bedürfnisse. Ich kenne viele Fälle, in denen Kinder, äußerlich betrachtet, hervorragend versorgt werden. Die Eltern sind aber nicht bereit, sich in die Lage des Kindes hineinzuversetzen. Das ist eine große Tragik.
profil: Sind das die berühmten Helikopter-Eltern? Maaz: Ja. Sie schauen aus ihrer Sicht auf das Kind und wollen ihm beibringen, was sie für richtig halten. In unserer narzisstischen Gesellschaft ist es besonders wichtig, zu akzeptieren, dass das Kind auch Schwächen hat.
Diese ständige Überforderung führt im Laufe der Jahre zu einem Burn-out.
profil: Das klingt nach einer pädagogischen Zwickmühle? Maaz: Absolut. Einerseits sollen Eltern auf das Kind eingehen, andererseits müssen sie versuchen, es gut auf die Leistungsgesellschaft vorzubereiten. In meinen Elternseminaren ermutige ich die Teilnehmer, sich auch ihre eigene Kindheit bewusst zu machen. Selbsterfahrung hilft, es in der nächsten Generation besser zu machen.
profil: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen gesundem und pathologischem Narzissmus? Maaz: Der gesunde Narzisst weiß, wer er ist und was er will. Er weiß um seine Grenzen und Schwächen. Er ist zufrieden mit seinen Möglichkeiten und strebt nicht permanent nach noch mehr Ansehen, Geld und Macht. Diese ständige Überforderung führt im Laufe der Jahre zu einem Burn-out oder zu psychosomatischen Erkrankungen. Ich nenne das Normopathie, also eine kollektive Krankheit, die nicht mehr auffällt, weil die Mehrheit an ihr leidet.
profil: Der junge österreichische Kanzler Sebastian Kurz verwendet gerne den Ausdruck „Leistungsgesellschaft“. Ist er ein typischer Vertreter dieser Normopathie? Maaz: Mit Ferndiagnosen will ich mich zurückhalten. Aber Menschen, die sehr erfolgreich sind und an die Macht kommen, haben meistens einen inneren Stachel im Fleisch. In der Tiefe gibt es ein Minderwertigkeitsgefühl, das aus der frühen Kindheit stammt. Was diese Menschen eigentlich suchen, nämlich geliebt und verstanden zu werden, das kann man nicht verdienen. Liebe wird geschenkt.
Tipp: Hans-Joachim Maaz ist ein deutscher Psychiater, Psychoanalytiker und vielfacher Buchautor. Mit dem Ö1-Moderator und Psychotherapeut Johannes Kaup diskutiert er in Wien über seinen aktuellen Bestseller „Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft“. 25. Februar, 11 Uhr, Matinee im Stadtkino Wien 26. Februar, 18:30 Uhr, Filmcasino Wien Tickets: leuchtpunkte.at