Kobe Bryant (1978–2020): Im fünften Viertel
24 Sekunden Schweigen. Zu Beginn jeder Partie provozierten die Spieler der NBA an diesem Sonntag eine Strafe, indem sie das Ablaufen der Wurfuhr abwarteten. 24 Sekunden für die Nummer 24. Die 24 war neben der Nummer 8 die Rückennummer von Kobe Bryant. Abgesagt wurden die Spiele nach dem Unfalltod des Ex-NBA-Stars nicht. Bryant, der ewige Kämpfer, der Verbissene, hätte das wohl nicht gewollt.
Die Nachricht von Kobe Bryants Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien, Nachrichtenseiten und Blogs. Um 11.24 Uhr berichtete das Hollywood-Promiportal TMZ, dass Ex-NBA-Profi Kobe Bryant, 41, bei einem Hubschrauber-Absturz ums Leben gekommen war. Unter den insgesamt neun Insassen war auch Bryants 13-jährige Tochter Gianna, mit der er von seinem Anwesen in Orange County zu einem Basketballspiel fliegen wollte.
Mit Kobe Bryant (er hinterlässt eine Frau und drei Töchter) verliert der Basketball einen der Größten der Geschichte. Für viele Fans ist er der Michael Jordan seiner Generation und zählt neben LeBron James zu den besten Spielern der vergangenen zwei Jahrzehnte. Während seiner 20 Jahre umspannenden Karriere in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA spielte Bryant nur für einen Klub: die in purple and gold gekleideten Los Angeles Lakers, eine der wertvollsten Franchises der großen US-amerikanischen Sportligen. Die beiden Rückennummern 24 und 8 wurden von den Lakers längst retired. Das heißt, sie werden an keinen anderen Spieler mehr vergeben.
Kobe Bryant war Los Angeles, und Los Angeles war Kobe Bryant. Insgesamt fünf NBA-Championships gewann er für sein Team, für seine Stadt. 18 Mal wurde er in das All-Star-Team der NBA gewählt; er gewann zwei Goldmedaillen bei Olympischen Spielen und eine Weltmeisterschaft. Gegen die Toronto Raptors erzielte er einmal unfassbare 81 Punkte. Die Stadt der Engel ist ohne den ursprünglich aus Philadelphia stammenden Bryant, der mit seinen Eltern unter anderem in Italien aufwuchs, weil sein Vater dort Basketball spielte, heute kaum noch vorstellbar. Das Staples Center, die Heimstätte seiner Mannschaft in Downtown L.A., verwandelte sich an diesem Sonntag zu einer Pilgerstätte für seine unzähligen Fans, während im Inneren der Halle die letzten Vorbereitungen für die diesjährige Grammy-Verleihung getroffen wurden. US-Sängerin Alicia Keys sagte bei der Verleihung des Musikpreises: „Heute haben Los Angeles, Amerika und die Welt einen Helden verloren. Wir stehen hier, und unsere Herzen sind gebrochen, im Haus, das Kobe erschaffen hat.“
Der kanadische NBA-Moderator und Kolumnist J.E. Skeets verglich das Gefühl, das die Nachricht von Kobe Bryants Tod bei ihm auslöste, mit dem Schock, ein Familienmitglied verloren zu haben. Bryant war seit seinem Eintritt in die NBA, als er von den Charlotte Hornets gedraftet, aber sofort an die L.A. Lakers abgegeben wurde, eben immer dagewesen. Er war die perfekte Mischung aus spielerischer Eleganz, unbedingtem Siegeswillen und harter Arbeit – und damit auch das Inbild des American Dream.
Während seiner aktiven Karriere machte sich der Workaholic und notorische Einzelgänger nicht nur Freunde – ganz im Gegenteil: Wer seine Motivation, seinen Kampfes- und Trainingswillen nicht teilte, hatte es schwer mit dem 1,98 Meter großen Shooting Guard. Weggefährte und Superstar Shaquille O’Neal, 47, mit dem er jahrelang als kongeniales Duo agierte, verließ die Lakers nach unzähligen Machtkämpfen 2004 Richtung Miami.
Abseits des Basketballplatzes nahm das Image Bryants 2003 schweren Schaden. Eine Hotelangestellte bezichtigte ihn der Vergewaltigung. Bryant drohten vier Jahre Gefängnis; Sponsoren kündigten die Verträge. Der Basketballer hatte angegeben, dass es zwar zu Sex mit der Frau gekommen, dieser aber einvernehmlich gewesen sei. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem die Frau die Klage zurückgezogen hatte. Daraufhin einigten sich Bryant mit ihr auf eine Entschädigung.
Erst nach seinem Rücktritt aus der NBA 2016, quasi in seinem fünften Spielviertel, wirkte der stets verbissene Bryant gelöster, endlich mit sich im Reinen. Der Vater von vier Töchtern engagierte sich für Frauensportarten wie die WNBA (Women’s National Basketball Association); in der Mannschaft seiner Tochter Gianna fungierte er als Trainer. Immer wieder gab es Gerüchte, er wolle die Los Angeles Lakers übernehmen. Mit dem Regisseur Glen Keane produzierte er den Kurzfilm „Dear Basketball“, eine Liebeserklärung an seinen Sport. 2018 gewann er dafür den Oscar. Für Bryant, so schien es, war die Zeit nach der aktiven NBA-Karriere fast wichtiger als die ewige Punktejagd davor.
Erst Stunden vor seinem Tod würdigte er noch seinen großen Nachfolger bei den Los Angeles Lakers, in seinem letzten Tweet. Am Samstagabend hatte Superstar LeBron James die „Black Mamba“, wie Bryant sich selbst gerne nannte, in der ewigen Scorerliste überholt. Unglaubliche 33.643 Punkte erzielte Bryant während seiner Karriere – übertroffen nur von Kareem Abdul-Jabbar, Karl Malone – und eben LeBron James. „Großer Respekt, Bruder“, schrieb Bryant an James: „Trage das Spiel weiter.“
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