Komiker-Gipfel: Harald Schmidt und Michael Niavarani im Schlagabtausch
Dieses Interview ist in profil Nr. 30/2018 vom 23.07.2018 erschienen. Die Onlinefassung wurde leicht adaptiert.
Harald Schmidt ist schon da, als Michael Niavarani mit dem Aufzug im letzten Stock im Do&Co im Haas-Haus ankommt. Er ist mehr als bleich um die Nase. Die Aussicht auf den Wiener Stephansplatz ist fantastisch, aber ihm egal. Kleine Höhenangstattacke.
"Großartig", sagt Schmidt, "Auftritt des Komikers, und bereits in den ersten fünf Minuten bekommt man drei Phobien serviert." Niavarani akklimatisiert sich, aber nicht zügig. Hat er auch Flugangst? Dazu eine kleine Geschichte: Es war kurz nach 9/11, als Niavarani auf dem Flug nach New York vom Aua-Piloten ins Cockpit gebeten wurde. Als die Maschine in den New Yorker Luftraum flog, meinte der Pilot: "Jetzt gehen S'besser nach hinten. Weil wenn die jetzt einen Dritten und auch noch einen Perser im Cockpit sehen, schiaßen S'uns vielleicht ab." Und zack war die kleine Flugangst verflogen und machte einer großen Abschussangst Platz.
"Waren Sie auch schon einmal vorn im Cockpit?", fragt er Schmidt, "und duzen wir uns eigentlich?" - "Ja, als ich noch ein Star war, kam das schon hin und wieder vor. Jetzt als Pensionist passiert das natürlich nicht mehr so oft." Sie duzen sich die nächsten drei Stunden. Am 13. Dezember 2018 führen Schmidt und Niavarani gemeinsam im Wiener Burgtheater ein Gespräch. Was wird dort passieren?
"Wir werden uns in Echtzeit kennenlernen", sagt Niavarani, "und hoffen, dass wir uns sympathisch sind. Weil sonst ist die Sache vielleicht auch schon nach 20 Minuten vorbei ... "
"Des Burgtheater ist als Location einfach nicht zu toppen"
Ursprünglich wollte Niavarani Schmidt, den er so sehr verehrte, dass er nach den Kabarettvorstellungen nach Hause raste, um noch rechtzeitig die Late-Night-Show zu sehen (was er aber hier nicht erzählt), ins Globe Wien locken. Niavaranis Theater in Wien - St. Marx, das vor über einem Jahr in Flammen aufging, wurde im Oktober wiedereröffnet. "Du hättest circa das Achtfache verdient von der Gage im Burgtheater", ist Niavarani noch immer enttäuscht. Schmidt ist bereits ziemlich gut im hiesigen Idiom, er bezeichnet sich auch als "Österreicher der Herzen": "Geh schau, des Burgtheater ist als Location einfach nicht zu toppen. Ich verzichte hiermit auf die 400 Euro, die du mir schwarz zustecken wolltest. Außerdem: Wenn mir wieder einmal eine Kaufhauseröffnung angeboten werden sollte, möcht ich sagen können: 'Des geht leider nicht: Da spiel ich an der Burg.' Wir sind dann die Umbau-Clowns, damit das junge Regie-Genie mit der Pudelmütze nicht nur bis 14 Uhr, sondern bis 17 Uhr proben kann."
Michael Niavarani und Harald Schmidt sehen sich heute das zweite Mal nach einem Treffen im Frühjahr im Hotel Imperial an der Wiener Ringstraße, das Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann initiiert hatte. Ursprünglich wollte Niavarani Schmidt vorschlagen, den König Lear in seinem Globe Wien zu spielen, doch Schmidt will sich nicht mehr mit Textlernen belasten und findet, dass "in dieser Stadt ohnehin mindestens fünf bessere Lears wohnen".
Die beiden verbindet die beneidenswerte Gelassenheit von Menschen, die in ihrem Genre alles erreicht haben und nichts mehr beweisen müssen. Dementsprechend entspannt und herzlich ist das folgende Gespräch.
Niavarani: Wir leben in der besten Zeit, die es je in der Menschheitsgeschichte gegeben hat trotz Terrorismus, Kriegen und der Klimaerwärmung. Das ist eine Tatsache. Da braucht man ja nur einen Blick auf die Statistiken, Zahlen und Fakten werfen. Aber das ist natürlich zurzeit nicht sehr modern. Ich kann dazu nur das Buch des Sozialphilosophen Steven Pinker empfehlen: "Enlightenment now" - unter dem Titel "Aufklärung jetzt" ist es im September auf Deutsch erschienen.
profil: Und dennoch ist Angst das alles bestimmende Lebensgefühl.
Niavarani: Wir fürchten uns zu Tode - in einer völlig unangemessenen Hysterie. Jetzt gerade eben vor den Flüchtlingen. Die westliche Menschheit macht zur Zeit einen kleinen Umweg -mit Trump und indem sie die Grenzen zusperrt, auf die EU pfeift und in einen dumpfen Nationalismus verfällt. In 20,25 Jahren werden wir uns sagen: Was waren wir doch damals für Idioten!
profil: Neben den Flüchtlingen ist der Islam das große Angstthema.
Schmidt: Ich habe es ja an sich ganz gern, wenn mir das Denken abgenommen wird und solche Sätze wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" fallen. In dem Fall kann ich nur sagen: Die Diskussion ist sinnlos, weil er ist doch längst da. Der Islam gehört ja inzwischen zu Deutschland wie Autos. In Köln wurde gerade eine riesige Moschee gebaut. Abgesehen davon: Die Migrationsbewegung hat gerade erst einmal begonnen.
Es geht mit der Migration gerade erst los. Wir sind da im Strom.
profil: Und wie sollte Asylpolitik aussehen?
Schmidt: Was die Politiker da jetzt tun, spielt sowieso keine Rolle. Es ist völlig wurscht, ob die da jetzt den einen oder anderen an der Grenze zurückschicken oder auch nicht. Aber sie müssen irgendwelche Signale setzen, weil sie Wahlen gewinnen wollen. Als Steuerzahler kann ich mich da nur unaufgeregt zurücklehnen und sagen: "Macht mal, ich kann ohnehin nichts ändern." Jeder Experte in dem Thema wird Ihnen das Gleiche sagen: Es geht mit der Migration gerade erst los. Wir sind da im Strom. Und zwar vor allem aus drei Gründen: Armut, Klima, Platz drei: eine Vorstellung von einem besseren Leben.
profil: Wie kann man sich den von Michael Niavarani angesprochenen aktuellen "Umweg" der westlichen Menschheit in Richtung Rechtspopulismus erklären?
Niavarani: Das ist ein historischer Reflex. Wie bei der Kirchenspaltung. Als der katholischen Kirche klar wurde, dass sie diesen Luther und seine evangelische Kirche nicht mehr wegkriegt, hat sie zur Gegenreformation ausgeholt. Und die schlimmsten Schlachten und Kriege folgten. Und Ähnliches passiert heute. Die Migration ist nicht mehr zu stoppen. Und jetzt sind die Flüchtlinge an allem schuld. An der Arbeitslosigkeit, der Klimaerwärmung, daran, dass der Kaffee zu kalt ist. Wir hätten genauso viele Arbeitslose ohne Flüchtlinge. Nur das will keiner wissen.
Schmidt: Apropos kalter Kaffee: Ist der hier frei?
profil: Es ist Ihrer, er ist unberührt.
Schmidt: Normalerweise bin ich ja eher so ein Reste-Trinker.
profil: Bei Ihrem letzten profil-Interview haben Sie, Herr Niavarani, Kurz als einen Peter Alexander der Politik bezeichnet.
Niavarani: Dafür möchte ich mich jetzt aufrichtig entschuldigen. Denn ich mag den Peter Alexander.
profil: Wie ist Ihre Kurz-Analyse, Herr Schmidt?
Schmidt: Ich werde mich als Deitscher nicht dazu hinreißen lassen, euren Kanzler zu beurteilen.
profil: Wenn wir jetzt die andere Achse der "Willigen", München-Wien-Budapest, betrachten, ist die Gefährdung der Demokratie in Ungarn am weitesten fortgeschritten.
Schmidt: Ich habe unlängst Viktor Orbán im Frühstücksraum des Hotels Bayerischer Hof gesehen. Niemand hat den dort erkannt. Der ging sogar sehr dynamisch selbst zum Buffet, hat alle mit Handschlag begrüßt. Und war umgeben von diesen ultradynamischen Anfangsdreißigern, die alle so englisch ausgebildet wirken
profil: Vergleichbar mit dem Typus Sebastian Kurz?
Niavarani: Nein, weil Kurz ist nicht nur nicht englisch ausgebildet, sondern gar nicht.
profil: Wir waren bei Ungarn.
Schmidt: Ich maße mir kein Urteil an, was Ungarn betrifft. Ich spreche nicht Ungarisch, lebe dort nicht und weiß auch nicht, wie sehr Orbáns Statements in den westlichen Medien aus dem Zusammenhang gerissen werden.
profil: Es ist eine Tatsache, dass in Ungarn die Pressefreiheit stark beschnitten wird und Homosexuelle und unbequeme Künstler verfolgt werden.
Schmidt: Wie gesagt: Ich bin nicht vor Ort. Bei den bayerischen Biertisch-Komikern kommt ja dann der Begriff Faschist schnell recht flüssig rüber. Ich halte dieses schnelle Etikettenaufpappen bei Dingen, von denen man keine Ahnung hat, für eine Kabarettistenunart.
Wir versuchen, dem Publikum eine gute Zeit zu machen. Mehr ist es nicht.
Niavarani: Aber so gesehen könntest du überhaupt nichts kommentieren.
Schmidt: Doch. Die Qualität des Cappuccinos und die Straßenbahnfahrkarte. Da habe ich eine Kompetenz. Als Kaffeetrinker und aktiver Teilnehmer des öffentlichen Nahverkehrs.
profil: Das ist jetzt natürlich schon sehr kokett. Schließlich können Menschen mit einer solchen Popularität wie der euren sehr wohl etwas bewirken. Ihr seid ja in gewisser Weise Popstars.
Schmidt: Ich bin nichts als ein steuerzahlender Staatsbürger, der froh ist, wenn er irgendwie durch den Alltag kommt
Niavarani: Als Kabarettist kannst du die Welt mit Sicherheit nicht verändern. Und ich kenne auch kein Theater, von dem eine Revolution ausgegangen ist.
Schmidt: Die Leute werden doch den ganzen Tag so beballert, dass sie einfach nur froh sind, wenn sie sich abends entspannen können.
Niavarani: Wir versuchen, ihnen eine gute Zeit zu machen. Mehr ist es nicht. Ich erlaube mir aber auch, in meinem aktuellen Programm 15 Minuten lang über die neue Aufklärung und Steven Pinkers Thesen zu erzählen.
Schmidt: Das kommt sicher gut an.
Niavarani: Und wie! Die Menschen starren mich fassungslos an und denken sich sicher: Was ist mit earm? Ist er schlecht eing'stellt? Frisch verliebt? Oder getrennt? Aber bei zwei Stunden Bruhaha und Schenkelklopfen muss diese Viertelstunde drin sein.
profil: Gibt es Themen oder Bevölkerungsgruppen, die tabu als Gagmaterial waren oder sind?
Niavarani: Tierschützer, Veganer sind kein Tabu für mich, aber die können sich sehr schnell wahnsinnig aufregen.
Schmidt: Prinzipiell ist es ja so, dass sich nicht die Einbeinigen aufregen, wenn über sie Witze gemacht werden, sondern die Freunde der Einbeinigen. Bei Krankheiten ist mir in meinen Late-Night-Zeiten eine echte Hierarchie aufgefallen: Diabetes geht gar nicht, Krebs in Maßen, Herzinfarkt und Schlaganfall gar kein Problem. Ich habe keine Erklärung dafür gefunden.
Niavarani: John Cleese war ja kürzlich in Wien in der Stadthalle. Als Veranstalter hatten wir das Glück, mit ihm essen gehen zu dürfen.
Schmidt: Wie ist er denn so? Dem wurden gerade einmal 20 Millionen bei seiner Scheidung abgenommen.
Niavarani: Er war, wie er selbst gleich sagte, grumpy, wofür er sich dann aber auch gleich wieder entschuldigt hat. Ich habe ihm in etwa die gleiche Frage gestellt: Gibt es Themen oder Bevölkerungsgruppen, die Gag-Tabus sind? Ja, die Muslime, hat er geantwortet. Warum, etwa aus religiösen Gründen? - "Nein! Weil ich nicht von ihnen erschossen werden möchte."
Es geht nicht immer darum, Wahlen zu gewinnen und an der Macht zu sein, sondern auch darum, Ideen zu entwickeln.
profil: Herr Schmidt, Sie sind auch Schirmherr der deutschen Depressionshilfe. Machen Sie auch Witze über Depressive?
Schmidt: Aber natürlich. Auch bei den Veranstaltungen dieser Institution, die ich zwei Mal im Jahr moderiere. Ich trete dort als das auf, was ich bin, nämlich Harald Schmidt. Und dann stehe ich vor einer Ansammlung von Depressions-Patienten und sage so was wie: "Wenn ich selber wieder gute Laune haben will, gehe ich einfach unter tausend depressive Ossis." Brüllendes Gelächter im Saal. Solche Menschen brauchen kein Mitleid, sondern einen guten Arzt. Nachher gibt's dann auch selbstgestrickte Geschenke und Fotoalben von der Schwester aus Wyoming - also alles, was man sich immer gewünscht hat.
profil: Herr Niavarani, Sie haben im letzten Wahlkampf etwas für einen Künstler sehr Ungewöhnliches gemacht: Sie haben von einer Theaterbühne aus mit dem damaligen Kanzler Christian Kern auf Facebook ein Live-Gespräch geführt.
Niavarani: Was nichts mit Ideologie zu tun hatte. Ich habe auch keinerlei Zugehörigkeit zur SPÖ, noch bin ich einer Erleuchtung zum Kommunismus erlegen. Ich habe mir davor intensiv angehört, was Kern zu sagen hatte, vor allem seine Plan-A-Rede, und fand das extrem vernünftig und durchdacht.
profil: Hat die Sozialdemokratie noch eine Zukunft?
Niavarani: Ich verstehe die Frage nicht ganz. Wir leben in einer Welt, die so aussieht, weil die Sozialdemokratie dafür gesorgt hat, dass unter anderem die armen Leute nicht verhungern. Deswegen hat sie nicht nur eine Zukunft, sondern sie ist auch Gegenwart.
profil: Aber in der Rolle der Opposition ist die SPÖ sichtlich unbegabt.
Niavarani: In die Rolle muss sie auch erst hineinwachsen. Opposition bedeutet ja auch nicht, dass man dauernd dagegen ist. Das machen wir im Kabarett, das ist dort unser System. So absurd das jetzt vielleicht auch klingen mag: Es geht nicht immer darum, Wahlen zu gewinnen und an der Macht zu sein, sondern auch darum, Ideen zu entwickeln und sich vorzubereiten. Möglicherweise können diese Ideen dann auch erst in 20, 30 Jahren verwirklicht werden.
profil: Sowohl Christian Kern als auch Martin Schulz thematisieren häufig den Begriff der fehlenden sozialen Gerechtigkeit.
Schmidt: Ich frage mich jetzt als Gast aus dem nördlichen Nachbarland: Wer redet noch von und mit Martin Schulz?
profil: Wir hatten kürzlich ein Interview mit Schulz im Blatt.
Schmidt: Zu welchem Thema bitte? Bücher im Urlaub?
Niavarani: Beim Thema soziale Gerechtigkeit müssen wir uns einmal über die Definition einig werden. Ist es gerecht, dass ein Millionär dieselbe Kinderbeihilfe bekommt wie eine alleinerziehende Mutter? Nein, das ist natürlich nicht gerecht. Ab einem gewissen Einkommen braucht der Staat niemanden mehr zu unterstützen. Und natürlich muss Erfolg auch belohnt werden. Es soll bitte unfassbar reiche Menschen geben. Aber die mögen mit ihrem Geld bitte verantwortungsvoll umgehen.
Wütendsein führt zu nichts.
profil: Macht es nicht wütend, dass beispielsweise die Chancengleichheit im Bildungssystem auf einem ähnlichen Niveau wie in den 1970er-Jahren ist? Die Chance, dass ein Arbeiterkind einen Universitätsabschluss macht, ist klein.
Schmidt: Wütendsein führt zu nichts.
Niavarani: Das finde ich auch. Wirklich reagieren kann man immer nur dann, wenn die Emotion vorbei ist. Wenn meine Wut abgeklungen ist, muss ich mir die Frage stellen: Was kann ich tun, was kann mein Beitrag zur Verbesserung der Chancengleichheit sein?
profil: Die AfD hat in Deutschland die gleichen Umfragewerte wie die SPD, die FPÖ liegt mit 25 Prozent ähnlich wie die SPÖ. Kann man angesichts dieser Erfolge für den Rechtspopulismus auch so gelassen bleiben?
Schmidt: Das sind Prozentsätze, mit denen eine Demokratie umgehen können muss. Das ist jetzt einmal im Parlament kanalisiert. Ich glaube auch, dass diese Prozentsätze unter der Decke weit höher liegen.
profil: In Frankreich hätte Marine Le Pen große Chancen gehabt, die Präsidentschaftswahl zu gewinnen.
Schmidt: Aber es ist eben nicht passiert. Jetzt haben wir dort Macron, der tolle Ideen hat - die alle Deutschland finanzieren soll. Ich sage nur: Warum nicht? Wir können uns das ja auch wirklich leisten. Und profitieren alle davon. Denken wir an Griechenland. Vor fünf Jahren wurde der Weltuntergang ausgerufen. Riesenaufregung, große Katastrophe. Ultimaten wurden gestellt. Heute wird ein sanfter Schuldenschnitt gemacht, und es ist alles überhaupt kein Thema mehr.
profil: Es ist wirklich erstaunlich, wie extrem optimistisch ihr beide Europa seht.
Schmidt: Na ja, wir müssen keine Wahlen gewinnen.
profil: Und das Einzelschicksal des Flüchtlings rührt euch nicht?
Schmidt: Es gibt eine Milliarde Einzelschicksale. Und dabei redet noch niemand von den Regionen südlich der Sahara, von den Flüchtlingen in Myanmar, auch Syrien ist doch längst kein Thema mehr. Vor acht Wochen herrschte da noch Riesenaufregung: Giftgasangriffe, jetzt ist Schluss, rote Linie. Heute ist das Thema tot.
Niavarani: Natürlich bewegt mich das tote Kind am Strand. Keine Frage. Aber es nützt keinem Flüchtling, wenn ich weinend dasitze und sein Schicksal beklage.
Schmidt: Da ist man auch echt schnell am Limit.
profil: Wir sitzen hier in Wurfweite des Stephansdoms mit einem bekennenden Katholiken und vermutlich einem atheistischen Muslim am Tisch.
Niavarani: Ich bin bitte katholisch getauft. Aber wie jeder liberale, weltoffene Mensch mit 18 aus der Kirche ausgetreten. Das gehörte sich damals so: aus der Kirche austreten, Österreich verlassen, nach Amerika gehen. Heute ist es umgekehrt. Zumindest, was Amerika betrifft. Ich bin kein Atheist, sondern Agnostiker. Irgendein kluger Mensch hat einmal gesagt: "Es gibt keinen Gott, aber ich vermisse ihn."
profil: Herr Schmidt, Sie sind studierter Kirchenmusiker, Organist und noch immer überzeugter Katholik?
Schmidt: Die Kirche war bei uns im Ort auch die Partyzentrale. Aber Katholizismus ist etwas, was du einfach in der DNA hast. Da kann man nicht austreten.
Niavarani: Das ist ja wiederum ein sehr muslimischer Zugang.
Der Zölibat bedeutet ja nicht, keinen Sex zu haben, sondern nur, nicht verheiratet zu sein. Das war auch mein großer Irrtum.
Schmidt: Ich wurde massiv in meinem Glauben gefestigt, als ich per Zufall beim Papstbesuch in Manhattan war. Der Papst, damals Johannes Paul II., landete am Wallstreet-Heliport, weiter ging's mit der Limousine, am Straßenrand kniete stilecht alles in Lackschuhen, was sonst bei den Sopranos zu finden ist. Ich war extrem beeindruckt, dass der jetzt nicht die Nummer mit der Bescheidenheit abzog und mit der U-Bahn kam.
Niavarani: Da ist Seine Heiligkeit Franziskus ja ganz anders. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Der ist der letzte lebende Sozialdemokrat.
Schmidt: Das geht mir jetzt dann doch etwas zu schnell. Aber selbst als Agnostiker würden die dich wieder nehmen. Die Kirche ist da durchaus flexibel. Vielleicht nicht gerade Professor Ratzinger, aber ansonsten. Wenn mir die besonders Schlauen erklären, dass sie die Kirche wegen ihrer Doppelmoral ablehnen, dann muss ich die Gegenfrage stellen: Bitte welche Doppelmoral? Im Vatikan gab es ja schon immer die geheimen Zugänge für die Familien der Würdenträger.
profil: Der Missbrauch fällt da aber doch in eine ganz andere Kategorie. Hat Sie das Ausmaß nicht erschüttert?
Schmidt: Doch. Da geriet die Sache massiv ins Wanken. Meine Mutter, die eine echte Bilderbuch-Katholikin ist, war am Boden zerstört. Die konnte einfach nicht fassen, was da vor sich gegangen war.
Niavarani: Aber jetzt frage ich dich als Katholiken: Warum hebt die Kirche den Zölibat nicht auf? Warum ist man Gott näher, wenn man keinen Sex hat?
Schmidt: Der Zölibat bedeutet ja nicht, keinen Sex zu haben, sondern nur, nicht verheiratet zu sein. Das war auch mein großer Irrtum, der mich von einer Karriere als Priester abgehalten hat.
Niavarani: Im Ernst? Du wolltest Priester werden?
Schmidt: Ja. Ich habe aber meine Jahre leider im Tingeltangel verschwendet, anstatt eine Dachterrasse im Vatikan anzustreben, mit edelsten Weinen und fantastischem Service. Jetzt bleiben die Kirchen sowieso leer. Weil es ja auch ganz andere Angebote gibt: Yoga, Meditation, die ganze Esoterik und diese "Ich hole mir das Beste aus allem"-Do-it-yourself-Religionen.
Niavarani: Entschuldigung, aber bevor ich mir von irgendeinem Feng-Shui-Meister einreden lasse, wie ich meine Wohnung einzurichten habe, glaube ich lieber daran, dass einer über das Wasser gehen kann.
Schmidt: Ich war jetzt gerade in Japan. Tokio, Kyoto, es lebe das "Traumschiff": Diese Feng-Shui-Meister sind ganz toll, vergiss jetzt einmal diesen westeuropäischen Klimbim! Die werden einfach nicht müde, weil sie die Energie von anderem abziehen können ...
Niavarani: Sag, kannst du mir erklären, warum du beim "Traumschiff" mitspielst?
Schmidt: Ich habe eine eiserne Regel, was meine Auftritte betrifft: schöne Location, keine Vorbereitung und wenig Text. Und beim "Traumschiff" gibt es ja nur Traumlocations - von der Südsee abwärts. Ansonsten kommen für mich nur noch Zürich, Wien und neuerdings auch Bad Vöslau infrage. Das Kreuzfahrtpublikum ist ja auch ein Abbild des zukünftigen Europas: völlig überalterte Gesellschaft. Auf dem Wasser ist man auch sicher vor den Terroristen. Das ist der totale Zukunftsmarkt. Außerdem werden dir auf so einem Schiff Schicksale erzählt. Da erfährt man einfach, wie die Menschen ticken. Und schon morgens am Frühstücksbuffet bekommst du auf Sächsisch einen Vortrag über Pearl Harbor. Wo gibt es das noch?
Wenn jemand im Theater gebrüllt hat, "Holt die fette Schwuchtel aus der Kantine", war die fette Schwuchtel durchaus stolz darauf.
Niavarani: Muss man als vernünftiger Mensch nicht aus ökologischen Gründen auf diese Dampfer verzichten?
Schmidt: Überall, wo der Kapitalismus gut funktioniert und die Bude voll werden muss, wird auch an diesen Problemen gearbeitet. In den Werften werden bereits ökologisch verträglichere Schiffe gebaut. Schließlich will man nicht, wenn man im weißen Höschen auf Deck 11 liegt, mit einer Rußschicht aufwachen. Warst du schon einmal auf einer Kreuzfahrt?
Niavarani: Nein. Mir reicht mein Elektroboot am Neusiedler See, das fährt dreieinhalb Knoten. Ich werde von schwimmenden Pensionistinnen überholt.
Ein Helikopter knattert knapp über dem Dach des Do & Co. "Ui", ruft Schmidt, "das ist jetzt sicher der Kušej (Anm.: der designierte Burgtheater-Direktor). Der schaut sich seine zukünftigen Schließtage-Clowns einmal an."
profil: In den hohen Wellen der #metoo-Debatte wurde das Theater als Ort offengelegt, an dem Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe zum Alltag gehören.
Schmidt: Na ja, genau aus diesen Gründen ging man ja früher zum Theater. Und diese Nummer, "Der hat mir einmal einen Klaps auf den Po gegeben", die da jetzt viele abziehen, finde ich daneben. Ich rede jetzt natürlich nicht von Vergewaltigung. Dieser offene Brief, den Teile des Burg-Ensembles vier Jahre nach Hartmanns Abgang (Anm.: ehemaliger Burgtheater-Direktor) geschrieben haben, zeugt ja auch wieder vom überschaubaren Revolutionspotenzial der Schauspieler. Warum hat denn keiner den Mund aufgekriegt, als der Hartmann noch da war? Jetzt, wo er sowieso am Boden liegt? Es ist doch immer das Gleiche: Auf der Bühne spucken Schauspieler große Töne und rattern die Gehälter der bösen Manager runter, aber in der Kantine heißt es dann: "Du, ich hab grad mein Gartenhaus frisch streichen lassen, ich kann da jetzt wirklich nicht mit." Abgesehen davon: Wenn jemand im Theater gebrüllt hat, "Holt die fette Schwuchtel aus der Kantine", war die fette Schwuchtel durchaus stolz darauf. Das war immer der Umgangston am Theater.
Niavarani: Ich glaube, bei diesem Brief ging es gar nicht so sehr um Hartmann, sondern der sollte vor allem als Warnung an Kušej dienen.
Schmidt: Was genau nichts nützen wird. Das #metoo-Thema ist ja jetzt auch schon irgendwie durch. Ich mache die gleichen Witze wie immer und sage im Vorfeld noch dazu: "Falls du einen Hashtag metoo brauchen solltest." Das nimmt natürlich furchtbar das Tempo raus.
Niavarani: Das macht jeden Gag tot.
profil: Männer haben sich in der Debatte erstaunlich still verhalten. Wie ging es euch damit, dass in dem Diskurs ja auch eine Totalverdammung des männlichen Geschlechts stattgefunden hat?
Niavarani: Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit. Da haben wir Männer jetzt einmal ein bisschen Pech gehabt. In dieser Diskussion geht es ja nicht darum, ob ein One-Night-Stand aus dem Ruder geraten ist, im Park gevögelt wurde oder man einer Frau gegen ihren Willen auf den Hintern gegriffen hat.
Kann mir irgendwer erklären, woher diese plötzliche Obsession rührt, dass Männer ständig vor Frauen onanieren müssen?
Schmidt: Erzähl doch bitte mehr aus deinem Leben!
Niavarani: Sehr gern. Es geht darum, dass Männer Frauen über Jahrtausende als Menschen zweiter Klasse behandelt und unterdrückt haben. Während der Inquisition wurden nur Frauen als Hexen verbrannt, Frauen durften über Jahrhunderte nicht studieren, im Jahr 17-schießmichtot wurde eine Synode erlassen, in der angezweifelt wurde, dass Frauen überhaupt eine Seele haben. Eine Frage, die bis heute übrigens nicht geklärt ist.
Schmidt: Du sieht das jetzt in einem großen historischen Zusammenhang. Ich sage dir: Wer sich jetzt noch mit dem Hashtag meldet, wird überhaupt nicht mehr wahrgenommen. Man darf auch nicht vergessen, dass in der ganzen Debatte der Rechtsstaat ja auch regelrecht ausgehebelt wurde. Beim guten alten Mord gab es noch eine Chance auf einen Prozess. Bei #metoo reichte eine bloße Anschuldigung, und schon hatte man seinen Job verloren.
profil: Steuern wir in ein Zeitalter des Puritanismus?
Schmidt: Sieht so aus. Bei Louis C.K. war das hart.
Niavarani: Kann mir irgendwer erklären, woher diese plötzliche Obsession rührt, dass Männer ständig vor Frauen onanieren müssen?
Schmidt: Wunderbare Thematik. Ist es nicht schön, sich an Qualitätsmedien zu verschwenden?
profil: Kevin Spacey wurde nach den Anschuldigungen aus seinem letzten Film geschnitten und in der Serie "House of Cards" nicht mehr besetzt. Soll man Werk und Künstler trennen?
Niavarani: Manchmal schon. Ich höre mir keinen Wagner an, weil der ein dreckiger Antisemit war.
Um acht Uhr abends in einem Theater antreten zu müssen, wäre mir heute echt lästig.
Schmidt: Ehrlich? Am Theater lief das bei den großen Despoten doch immer so. In der Kantine wurde so was gemurmelt wie: Menschlich ist der soundso echt ein Schwein, aber richtig toll, was er kann. Ich kenne so viele Peymann-Schauspieler, die in der Kantine sagten: "Nee, also mit dem Peymann (Anm.: ehemaliger Burgtheater-Direktor) mach ich keinen Meter mehr." Und nach fünf Jahren saßen sie noch immer da und sagten denselben Satz. Weil sie ihm auch ihre größten Erfolge zu verdanken hatten.
profil: Claus Peymann erklärte in einer Dokumentation anlässlich seines Abschieds am Berliner Ensemble, dass er, wenn er sich einen Freund wünschen könnte, Harald Schmidt auswählen würde.
Schmidt: Ich bin nicht der Typ für private Kontakte. Und schon gar nicht für welche aus der Branche. Ich glaube, ich war ein einziges Mal bei Günther Jauch, bei Gottschalk war ich nie. Peymann wollte ja auch mit Thomas Bernhard befreundet sein. Nur der ließ ihn ja nicht einmal bei sich in Ohlsdorf schlafen.
profil: Er hatte von Bernhard eine Luftmatratze am Gang angeboten bekommen. Dann ging der doch lieber ins Wirtshaus.
Niavarani: Das entstresst mich jetzt sehr, dass du keine privaten Kontakte mit Kollegen willst. Da muss ich mir jetzt bei dir nichts überlegen. Ich bin nämlich genauso.
profil: Fehlt es Ihnen nicht manchmal, abends den Turbomotor wieder hochzufahren, Herr Schmidt?
Schmidt: Es reicht mir schon, wenn mir morgens ein Gag einfällt, aus dem man eine Nummer machen könnte. Ich muss den dann auch nicht mehr ans Publikum bringen. Um acht Uhr abends in einem Theater antreten zu müssen, wäre mir heute echt lästig.
profil: Ist das nachvollziehbar, Herr Niavarani?
Niavarani: Durchaus. Aber ich habe ja ein Theater zu erhalten. Leider. Mir fallen zwar auch immer wieder neue Gags untertags ein, aber am Abend auf der Bühne habe ich sie dann leider wieder vergessen.
Schmidt: John Lennon sagte einmal über Paul McCartney: "Er ist ausgevögelt. Es sind einfach keine Groupies mehr da." Bei mir lief das ähnlich. Da war es dann Zeit zu gehen.
Zu den Personen
Harald Schmidt (64) veränderte das deutsche Humor-verständnis radikal. Ab 1995 bereicherte der gelernte Schauspieler und Kabarettist nach dem Vorbild von David Letterman den deutschsprachigen TV-Alltag mit einer täglichen Late-Night-Show auf SAT1, wo er „political incorrectness“, zynische Gegenwartsdiagnostik und die Dekonstruktion des Mediums TV im Medium mit freudiger und hemmungsloser Anarchie zum Kult erhob. Schmidt wurde mit Sendungen, die zwischen Polen-Witzen, Playmobil-Figuren, Peter Handke und Promi-Talks pendelten, zum Idol einer ganzen Generation von TV-Konsumenten. Seit dem Ende seiner Late-Night-Karriere Anfang 2014 ist der Vater von fünf Kindern, der mit seiner Frau, einer Kunsttherapeutin, in Köln lebt, „gelassener Frührentner“, aber auch Video- Kolumnist für den „Spiegel“, Filmschauspieler und Dauergast auf dem ZDF-„Traumschiff“. Das Gespräch fand am Rande einer Lesung statt, die Schmidt beim „Schwimmenden Salon“ im Thermalbad Vöslau gab, einem Literaturfestival unter der Intendanz von profil-Ressortleiterin Angelika Hager.
Michael Niavarani (53) ist halber Perser und Österreichs erfolgreichster Entertainer. Mit Shakespeare-Adaptionen füllt er sein eigenes Theater, das Globe Wien, regelmäßig bis auf den letzten Platz, seine Kabarettprogramme sind innert kürzester Zeit ausverkauft. Weil er im Leben eigentlich vor allem seine Ruhe will, ist er vor einigen Jahren auch Schriftsteller geworden. Es scheint ihn fast zu beschämen, dass seine Bücher regelmäßig die ersten Ränge der Bestsellerlisten belegen: „Ich bin ja gar kein Schriftsteller, meine Bücher sind eigentlich nur Merchandising-Produkte.“ Zuletzt erschien „Ein Trottel kommt selten allein“. Neben seiner Existenz als Schriftsteller ist Niavarani auch Verleger. Mit seiner Lebensgefährtin Helen Zellweger und dem Kabarettmanager Georg Hoanzl betreibt er den Theaterverlag Schultz & Schirm, in dem er unter anderem seine eigenen Shakespeare-Adaptionen veröffentlicht, sich aber auch der Entdeckung neuer Talente widmet. Mitte Oktober hat Niavarani, einst jüngster Direktor in der Geschichte des Kabarett Simpl, sein im vergangenen Herbst abgebranntes Theater, das Globe Wien, mit seinem Dauerbrenner-Programm „Homo idioticus“ wiedereröffnet. Niavarani ist begeisterter Hobby-Brite und lebt teilweise in London, wo er notorischer Besucher des Theaterdistrikts West End ist.