LASK: Erfolgsrausch mit Scheuklappen
Nun hat auch die österreichische Bundesliga ihr Skandalvideo. Früher benötigte es für einen Aufreger mindestens einen blanken Busen. Im Corona-Zeitalter haben Skandale ihr eigenes Antlitz: In Deutschland genügte das Händeschütteln eines Fußballers, in Österreich das gefilmte Mannschaftstraining des Tabellenführers aus Linz. Aber: Andere Zeiten erfordern andere Spielregeln. Bis gestern waren Mannschaftstrainingseinheiten aufgrund der Abstandsregeln politisch verboten. Erlaubt war bloß Körperertüchtigung in Kleingruppen – ohne Körperkontakt. Der LASK hat sich dieser Verordnung widersetzt, wie Videoaufnahmen die der Bundesliga zugespielt wurden, zeigen.
Konsterniert saßen die Vereinsverantwortlichen gestern bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz, um den Regelverstoß zu erklären. Man gebe alles zu, lautete die Quintessenz – wenngleich man sich auch uneins war. „Es fällt unter Dummheit, wenn wir das einen Tag vor der Aufhebung machen“, betonte Vizepräsident Jürgen Werner. Trainer Valerien Ismael gab später zu: „Die letzten drei Wochen haben wir das immer wieder punktuell gemacht, wenn wir das Gefühl hatten, dass wir einen Impuls brauchen.“ Konkret gesteht der Verein vier Trainingseinheiten, die unerlaubt stattgefunden haben.
Nun stellt sich die Frage: Warum riskiert der Tabellenführer, das Sensationsteam der Saison, die Europacup-Erfolgstruppe mit hervorragenden Imagewerten für vier lächerliche Trainingseinheiten eine öffentliche Rüge, den (bei möglichen Strafpunkten) sportlichen Erfolg und die zuletzt hervorragende Reputation?
Beim LASK hatte man Blut geleckt – und im Erfolgsrausch wohl Scheuklappen angelegt.
Fakt ist: Kein österreichischer Verein hat sich in den letzten Jahren so schnell und gut entwickelt wie der LASK. Aus dem maroden Drittligisten wurde ein Spitzenteam, das mit vergleichsweise wenig Geld und viel Plan einen Wettbewerbsvorteil kreierte – und dabei zuerst Rapid und Austria, heuer gar Red Bull Salzburg überholte. Während die Wiener im Mittelmaß versanken, erlebte der LASK wie schnell die richtigen Maßnahmen unerwartet große Erfolge bringen können. Dabei absolvierte der Klub ähnlich wie Red Bull Salzburg eine Gratwanderung – auch auf der Suche nach Schlupflöchern, um die größtmögliche Entwicklung zu erzielen. Die Mannschaft holte erst den Vizemeistertitel, panierte renommierte Teams im Europacup und kletterte heuer auf Platz eins. Keine anderen Klubverantwortlichen der Liga (jene von Red Bull Salzburg ausgenommen) erhielten in kurzer Zeit derartige Moralinjektionen. Seitdem überlegt man beim LASK: Wenn so viel so schnell möglich ist, wie viel geht denn noch? Wer in den letzten Monaten mit Klubvertretern gesprochen hat, hörte sie vom Fortschritt fabulieren. Vom neuen Stadion, einem Trainingszentrum, der Weiterentwicklung der Philosophie, der schlauen medizinischen Versorgung, der ausgeklügelten Trainingssteuerung, von der Harmonisierung der Maßnahmen. Beim LASK hatte man Blut geleckt – und im Erfolgsrausch wohl Scheuklappen angelegt.
Bestmöglich ist unmöglich
Einerseits kann man verstehen, dass der LASK sein Erfolgsmodell nicht den oft willkürlich anmutenden Maßnahmen opfern möchte: Die Corona-Krise mit ihren oft täglich neuen Regeln widerstrebt naturgemäß dem Fortschrittsdenken ambitionierter Profisportler. Zwei Wochen Mannschaftstraining, das bestätigen alle Experten, scheinen für die Fortsetzung der Bundesliga reichlich wenig. Klubvertreter erklärten, dass sie Spiele mit niedrigerem Tempo, weniger Niveau und mehr verletzten Spielern erwarten würden. Genau dort hakt die Verteidigung des LASK ein. Man hätte überlegt, betonte Jürgen Werner, „wie man die Spieler fit für die englischen Wochen“ bekommen könnte. Die Argumentation: Man habe brav Corona-Testungen durchgeführt, die Gesundheit der Kicker nicht gefährdet, sondern bloß überlegt wie man die Spieler für die große Belastung bestmöglich „herrichten“ könne.
Doch die Bedingungen während der Pandemie ermöglichten kein Ausreizen der Möglichkeiten, wie es der LASK gewohnt war und wohl anstrebte. „Bestmöglich“ ist derzeit unmöglich. Die politischen Maßnahmen schienen aber aus LASK-Sicht das zu konterkarieren, woran sie Gefallen gefunden hatten: schneller Fortschritte als Mitbewerber zu erzielen und dadurch Wettbewerbsvorteile zu schaffen. „Wir haben uns von Emotionen leiten lassen und ein großes Ziel verfolgt“, betonte Vizepräsident Werner. Der Klub brachte Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof gegen Regierungsverordnungen ein. „Jetzt dürfen beispielsweise zehn Leute im Park mit einem Meter Abstand gemeinsam trainieren, während wir als Bundesligist zu einem Kleingruppentraining mit maximal sechs Personen gezwungen werden“, erklärte Gruber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ verärgert. Dass das gemeinsame Training donnerstags noch giftig und einen Tag darauf unbedenklich sein soll, erschien nicht logisch.
Corona-Verordnungen wollen das Virus bekämpfen, nicht Fußballspiele gewinnen
Im Corona-Zeitalter sind aber auch Fußballvereine zum Umdenken gezwungen: Alle Verordnungen wollen das Virus bekämpfen, nicht Fußballspiele gewinnen. Daraus entsteht ein Paradoxon: Die Liga muss die Meisterschaft zu Ende spielen wie eine lästige Pflicht. Die letzten zehn Runden sollen das Überleben der Klubs (also die Fernseh- und Sponsorengelder) sichern, nicht perfekte Trainingsbedingungen garantieren. Die Maßnahmen sind natürlich für professionelle Sportausübung nicht ideal. Und für den LASK besonders bitter – weil deren Verantwortliche den größten Erfolg seit den 1960er-Jahren bis vor kurzem förmlich riechen konnten. Die Regeln zur Eindämmung des Virus sind aber eben auch gesamtgesellschaftlich notwendiger Konsens, an den sich auch die Bundesligaklubs zu halten haben. Noch dazu, nachdem die Bundesliga mit der Regierung erst nach langem Ringen eine Fortführung der Meisterschaft paktieren konnte – und der Fußballbetrieb sich in einer Vorbildfunktion beweisen will. Dazu kommt: Die Klubs sollten einhalten, was sie versprochen haben. Nämlich erst gemeinsam zu trainieren, wenn es für alle erlaubt ist. Im Sinne des Fair-Play-Gedanken.
Während der Pressekonferenz zeigten sich die drei Männer – Trainer, Vizepräsident und Präsident – zwar reuig, aber dann wieder auch nicht. Das Reden wurde anfangs dem sportlichen Mastermind und Vizepräsidenten Jürgen Werner überlassen – vielleicht auch weil der Mann mit seiner sanften Stimme und Teddybären-Attitüde samt brauner Knopfaugen am besten für diese Rolle geeignet ist. Der ansonsten lautstarke Präsident Siegmund Gruber saß am Rand und schwieg lange. Jürgen Werner schob die Schuld erst dem Trainer zu, der ihn gefragt habe „ob wir unsere Gruppen nicht einmal gegeneinander spielen lassen können“. Präsident Gruber will laut eigener Aussage erst von der Bundesliga nach Auftauchen des Videos über die Vorgänge informiert worden sein. „Wir haben genau viermal trainiert“, erklärte Werner, „dabei haben wir die Abstandsregeln nicht eingehalten und ein schärferes Training durchgeführt. Jetzt im Nachhinein können wir sagen: Das war ein großer Blödsinn.“
Die Strafen der Bundesliga reichen von einer Ermahnung für den LASK über eine Geldstrafe bis hin zum Punkteabzug oder einem Zwangsabstieg.
Der schnelle Erfolg war für die LASK-Führung auch eine Art Giftspritze, die zwar die Ambition beförderte, aber ebenso die Arroganz. Präsident Siegmund Gruber gefiel sich in der Rolle des polternden Präsidenten, der den Wienern immer wieder die Meinung geigte. Im Herbst vergangenen Jahres lieferte sich der LASK gerichtliche Urheberrechtsstreitigkeiten mit einem Wirten, der ein Vereinslogo zur Bewerbung eines Public Viewings verwendet hatte. Nach einem Interview mit profil im Rahmen eines Porträts über „Das Wunderteam“ zog Gruber seine gegebenen Zitate zurück, weil er nicht – wie gewünscht – den kompletten Text, sondern (wie bei Autorisierungen üblich) seine Aussagen zur Freigabe zugeschickt bekommen hatte. Als die Regierung Großveranstaltungen bereits verboten hatte, kritisierte Gruber, dass beim Spiel gegen Manchester United keine Zuschauer kommen dürfen. Später entschuldigte er sich dafür. Beim Trainingsstart in Kleingruppen lud der Klub zahlreiche Journalisten ein – entgegen der Verordnung des Gesundheitsministeriums. All das kostete Sympathiepunkte – das Video noch gar nicht eingerechnet.
Bei den Ligakonkurrenten des LASK reagierte man bestürzt auf die Aufnahmen der illegalen Trainingseinheiten. In der Liga tobt seit längerem ein Machtkampf. Neuerdings zwischen der Achse Salzburg/Wien und Linz. Zuletzt waren Männer ins Stadion des LASK eingedrungen, um eine Videokamera zu installieren. Kurz darauf hatte die Bundesliga und Medienvertreter Videos der verbotenen Trainingseinheiten auf dem Tisch. Gruber betonte nun wiederum, dass er „von sehr vielen Leuten sehr viele Fotos und Videos“ erhalten habe, die Verstöße anderer Klubs dokumentieren. Ibiza-Methoden sind damit im österreichischen Fußball angekommen.
Brisant: Gruber ist auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Bundesliga – und damit in einer Liga-Kontrollfunktion tätig, was derzeit ziemlich unvereinbar scheint. Dieses Amt werde er ruhend stellen, betonte Gruber, und bei einer Verurteilung des LASK zurücktreten. Die Strafen der Bundesliga reichen von einer Ermahnung für den LASK über eine Geldstrafe bis hin zum Punkteabzug oder einem Zwangsabstieg.
Nur eine Idee: Trainingslager in Schweden
Irgendwie scheint die Saison, die für den LASK gut begonnen hatte und immer herrlicher wurde, aus dem Ruder zu laufen. Seit Corona-Vorschriften das Land im Griff haben agiert der Klub im Panikmodus. Eigentlich sprachen sich LASK-Vertreter anfangs gegen eine Fortführung der Liga aus (womöglich weil man bei einem Ligaabbruch im besten Fall zum Meister gekürt worden wäre). Seit die Liga-Fortsetzung fix ist, versucht man jedoch schnellstmöglich zu alter Stärke zu gelangen. Auf und neben dem Platz. Bei der gestrigen Pressekonferenz bestätigte Gruber, dass man gar damit liebäugelte ein Trainingslager in Schweden durchzuführen, um dort aufgrund geringerer Beschränkungen besser trainieren zu können.
Der LASK hat sich in den letzten Jahren zu einem Wunderteam entwickelt, das sich schneller professionalisieren konnte als ein Großteil der Konkurrenz. Gleichzeitig hat der Verein eine „Mia san mia“-Mentalität entwickelt – mit einer Parallel-Gedankenwelt und launigem Haudrauf. Fakt ist: Der LASK hat im Streben nach Professionalisierung unprofessionell gehandelt – und damit seinen Ruf beschädigt und der Bundesliga zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt internationale Negativpresse beschert.
Dem Klub dürften im Professionalisierungs-Rausch die Grenzen verschwommen sein: Zwischen Ambition und Unsportlichkeit. Zwischen Ehrgeiz und Fahrlässigkeit. Zwischen Recht und Unrecht.