
Der Feind in der Wohnung gegenüber
Schlechte Neuigkeiten: Wenn Sie keine lauten Nachbarn haben, dann sind wahrscheinlich Sie der laute Nachbar. Zumindest ist mir das während eines Pressegesprächs im Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen klargeworden. Dort ging es um Nachbarschaftsstreitigkeiten, Fokusgruppe Lärm, und darum, dass meine nächtlichen Waschgänge und Staubsaugerstreifen gefühlsmäßig höchst illegal sind. Juristen würden sagen: „Es kommt ganz darauf an“. Und im Fall vom lauten Nachbarn ist das nicht nur so dahingesagt, sondern wirklich so. Lärmbelästigung ist eine äußerst individuelle Sache. Den einen stört die WG gegenüber gar nicht, obwohl sie regelmäßig so tut, als wäre sie der Berliner Kultclub Berghain – nur eben ohne den fundierten Musikgeschmack, den Menschen mitbringen, wenn sie vier Tage lang ausschließlich MDMA im Magen hatten. Ein anderer möchte sich am liebsten jedes Haar einzeln ausreißen, wenn der Klarinettist über einem sein improvisiertes Solo übt – mal wieder. Ob eine Lärmbelästigung eine Lärmbelästigung ist, gehört im Einzelfall geprüft. Und weil Selbstreflexion der erste Schritt zur Besserung ist, gebe ich mich gerne dafür her, als Wiedergutmachung.
Ist der Nachbar zu laut, hilft kurzfristig erstmal die Polizei. Langfristig muss man auf Unterlassung klagen - § 364 Abs 2 ABGB. Lärm kann dann untersagt werden, wenn er das nach den „örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet“ und die „ortsübliche Benutzung der Wohnung oder des Grundstückes wesentlich beeinträchtigt“. Bedeutet: Der laute Nachbar muss Geräusche fabrizieren, die wirklich laut und lästig sind und zum anderen ungewöhnlich für die Gegend, in der man wohnt. In einem Fall, der beim Wiener Landesgericht gelandet ist, war die Klägerin nicht sonderlich gut auf die Frösche zu sprechen, die sich im Biotop ihres Nachbarn angesiedelt hatten. Ihr Unterlassungsanspruch – das Quaken hat aufzuhören! – wurde allerdings verneint: Froschquaken ist in einer Anlage, die als „Seepark“ beworben wird und in der viele Grundstücke Biotope besitzen, nicht ortsunüblich. Anders war es bei einem Heavy Metal-Proberaum im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es im innerstädtischen Gebiet nicht sonderlich leise ist, ist der Lärm von Hard-Rock-Bands für das Gericht kein ortsüblicher. Die „Heavy Metaler“ mussten fortan leise Schreien.
Nehmen wir also an, das Gerichtsverfahren geht gut für einen aus. Der Lärm ist ortsunüblich und beeinträchtigt einen, man hat Lärmprotokolle angefertigt, Aufnahmen vom Lärm gemacht und letzten Endes Recht bekommen. Und jetzt? Macht der Nachbar trotz verlorenem Verfahren einfach weiter, braucht es ein Unterlassungsexekutionsverfahren. Für den lärmenden Nachbar bedeutet das meistens: Strafe zahlen.
Neben-, über- oder untereinander wohnen muss man in den meisten Fällen allerdings weiterhin. In Wien leben über 77 Prozent der Menschen mit Hauptwohnsitz in einem Mietverhältnis, knapp eine halbe Million in einer Gemeindewohnung. Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten menschelt es. Die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, Waltraud Berger, sagt: „Nach meiner persönlichen Einschätzung sinkt die Toleranz und die Rücksichtnahme aufeinander. Ich habe in der Vergangenheit selbst Mietrecht in Wien judiziert, da waren solche Fälle höchst selten. Meinem Gefühl nach hat gerade die Lärmthematik zugenommen.“ Die Spaltung der Gesellschaft, von der immer alle reden, beginnt also bei der Haustüre von unseren Nachbarn.
Die Stadt Wien versucht hier, mit der Initiative „wohnpartner“ ein wenig gegenzusteuern. „Wir helfen bei Konflikten in der Nachbarschaft“, wird im Gemeindebau gestritten, versucht man zu vermitteln.
Sollte sich zukünftig einer meiner Nachbarinnen und Nachbarn beschweren, kann ich vorausschicken, ich bin geläutert. Und solange sie mich nicht zwingen, bei einer Mediation über meine Gefühle zu sprechen, werde ich nie wieder nachts die Waschmaschine einschalten.