Gesellschaft

Lugner wird 90: „Eigentlich bin ich ein schüchterner Bursche“

Er machte den Exhibitionismus in Österreich salonfähig und erschuf aus eigener Kraft ein Millionenimperium: Das unkränkbare Society-Unikum Richard Lugner wird 90.

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Richard Lugner serviert am Ende des Interviews in seinem Büro der Einfachheit halber die Kaffeetassen gleich selbst ab. Wahrscheinlich ist das auch schon ein kleines Indiz für seinen Erfolg: Weder als früherer Bau-Tycoon noch als nach Öffentlichkeit lechzender Selbstdarsteller war und ist sich der Mann für irgendetwas zu schade. Er trug in einer ihm gewidmeten ATV-Realityshow rosa Cowboyhüte, ließ sich die Nasenhaare trimmen, das Gesicht botoxen und tanzte Salsa. Er heiratete seine inzwischen geflohene Ehefrau Nummer 5, Cathy, eine um 57 Jahre jüngere pfälzische Krankenschwester, in einer Zeremonie, die irgendwo zwischen Hardcore-Operette und „Sopranos“ angesiedelt war: goldene Kutsche, milkafarbenes Bustierkleid, die Sängerknaben trällerten „Ave Maria“ und Lugner „Meine Leidenschaft ist heißer als Gulaschsaft“. Ein Fall für die Geschmackspolizei. Er tänzelt tagtäglich durch seine Lugner-City, streichelt Scheitel, posiert für Selfies und inszeniert sich auch dort als eine Art Reicher für Arme.

AUFBAUJAHRE

Im Alter von elf Jahren wurde Richard Lugner Halbwaise, Hunger musste er nie leiden. 1962 gründete er seine Baufirma, die von Sohn Andreas inzwischen "ruiniert wurde".Vater und Sohn reden nicht mehr miteinander.
 

Der zweifache Präsidentschaftskandidat brach im laufenden Wahlkampf eine eherne Regel: „Ich gebe, was ich nie getan habe, eine Wahlempfehlung ab: Tassilo Wallentin ist mein Favorit. Seine drei Söhne sind außerdem echte Fans von mir.“ Ein nicht unerheblicher Faktor. Heute Nachmittag wird auch der ehemalige BZÖ-Politiker und Kandidat Gerald Grosz noch einmal in der Lugner-City einreiten: „Wer uns Leute bringt, ist willkommen.“ Zwei Zimmer weiter sitzt Melanie, die 19-jährige Social-Media-Beauftragte des Öffentlichkeitsberserkers. Sie kann ihr Glück noch immer nicht fassen: Als sie ihren Klienten im August TikTok-tauglich machte, gerierte er mit einer noch etwas holprigen, eher inhaltsleeren Sitz-Choreografie 1,1 Millionen Aufrufe. 300 Selfie-Bitten sind für Richard Lugner bei einem öffentlichen Auftritt nichts, weshalb man vor Enthusiasmus durchdrehen müsste: „Es sind komischerweise vor allem junge Männer, die sich mit mir so gerne fotografieren lassen wollen. Vielleicht bin ich ein Vorbild.“

Dafür, dass der demnächst 90-Jährige gerade vom Hausarzt wegen einer schweren Bronchitis zur Bettruhe verdonnert worden war, wirkt Lugner fünf Tage vor seinem 90. Geburtstag am 11. Oktober erstaunlich behänd. „Er ist ein Gesundheitskapitalist“, konstatiert seine Ex-Frau Nummer 4, Christina „Mausi“ Lugner, „und gleichzeitig ein permanent Getriebener, der noch immer nicht angekommen ist. Glücklich ist er meiner Meinung nach nicht.“ Beim Getriebensein möchte Lugner allerdings topfit sein, dafür ist ihm wenig zu teuer: Einmal in der Woche in die Gefrierkammer bei minus 110 Grad, F.X. Mayr-Fastenkuren, Cocktails von Pillen mit unaussprechlichen Namen, Eigenblut-Bearbeitungen – aber das Wichtigste ist gratis: „Der Körper ist nur dann fröhlich, wenn es auch der Geist ist.“ Das Leben als Frohtortur. Lugner erheitert die Medienmeute seit exakt 30 Jahren als eine Art Opernschreck, wenn ihm seine Leasing-Cinderellas in Gestalt von Kim Kardashian oder Ex-„Spice Girl“ Geri Halliwell („Die war die Schlimmste von allen!“) am Opernball ausbüchsen und seine „Please-we-have-contract“-Verzweiflungsschreie ignorieren.

Der Körper ist nur dann fröhlich, wenn es auch der Geist ist. Ich lasse mich nicht kränken.

Richard Lugner

Seine Opernball-Loge für 2023 ist ihm dennoch fix, das Geld dafür auch schon überwiesen, die 2020 angedeutete Drohung seitens der Staatsoperndirektion, dass er möglicherweise leer ausgehen könne und nur Unterstützer der Institution zum Zug kommen sollten, ist vom Tisch. Denn Lugner wurde flugs ein ganzjähriger Förderer der Staatsoper. Er besitzt ein unglaubliches Talent für die Rohstoffe Bauernschläue, Mangel an Schamgefühl und Authentizität. Tatsächlich drehte er das Raimund’sche Zaubermärchen „Der Bauer als Millionär“ einfach um. „Ich kenne keinen Menschen, der so er selbst ist und sich überhaupt nicht verstellt“, konstatiert seine Biografin Andrea Buday. Er habe die Eigenschaft, „einfach nicht beleidigt werden zu können“, so Robert Palfrader über den Bittsteller Lugner, der in seiner „Wir sind Kaiser“-Show als winselnder Dauer-Gag nie zur Audienz vorgelassen wird. Lugner demonstriert, dass Berühmtsein Schwerarbeit ist, nur erleichtert durch die Tatsache, sich jederzeit und schonungslos (vor allem gegenüber sich selbst) zum Narren zu machen. Unwahrscheinlich, dass Lugner Karl Kraus inhaliert hat, der das Celebrity-Konzept des späten 20. Jahrhunderts bereits vor 100 Jahren vorwegnahm: „Es war alles da, was da sein muss und was sonst nicht wüsste, wozu das Dasein ist, wenn es eben nicht dazu da wäre, dass man da ist.“

"KASPERLTHEATER"

Christina und Richard Lugner beim Botox-Service in der Schönheitsklinik 2021. Szenenausschnitt (M.)aus der Reality-Soap "Lugner sucht das Glück". Seine Begleiterinnen nennt Lugner schlicht und ergreifend "meine Tierchen".

Lugner ist der erste und besessenste „Homo Seitenblickiensis“, obwohl die ORF-Gesellschaftssendung ihn bei einer Promi-Häufigkeits-Erhebung vor einigen Jahren nur auf einen schmachvollen 34. Platz reihte. Kränkungen, wie auch das Nasengerümpfe der Wiener Gesellschaft, wischt Lugner weg: „Ich blende das alles aus, ich bin gut im Verdrängen und nicht nachtragend. Und sehe immer alles positiv.“ Aus so einer Gemütshaltung entsteht seelisches Teflon. Tatsächlich hat der Sohn eines Rechtsanwalts und späteren NS-Kommandanten in der heutigen Ukraine, der 1943 nicht mehr aus dem Russlandkrieg zurückkehrte, so beharrlich bis penetrant Präsenz in den Buffetkarawanen gezeigt, dass seine Scheidung von Gattin Nummer 4 es 2007 sogar zu einer Meldung in der „ZIB 2“ brachte. Moderator Armin Wolf rechtfertigte diesen Sündenfall vor dem Boulevard später mit den Worten: „Die Lugners sind einfach ein Stück österreichischer Folklore: inhaltsfrei, sinnleer und omnipräsent.“

Ich habe einfach keine Übung darin, auf Frauen richtig zuzugehen.

Richard Lugner

Der Selfmade-Millionär, der sich zu einem Schuldenberg in zweistelliger Millionenhöhe für seine Lugner-City bekennt („Schauen Sie, es ist schon noch was im Ladl“), hat neben Gesundheit nur einen einzigen Wunsch zu seinem 90. Geburtstag, zu dem er es am kommenden Samstag in der Hofburg richtig krachen lassen wird: Er möchte endlich noch einmal „eine nette Frau, die ich als Nachfolgerin aufbauen kann, finden.“ Wer immer die Chance ergreifen möchte, muss zuerst das astrologische Screening von Ö3-Sternendeuterin Gerda Rogers positiv überstehen: „Von allen meinen Bekannten lasse ich mir von ihr ein Horoskop erstellen, ob wir überhaupt zusammenpassen. Und sie hat immer recht gehabt.“ Zurzeit lebt er mit seiner aus Kroatien stammenden Haushälterin und dem Hund Michi („Den hat mir die Katzi hinterlassen, er heißt so nach ihrem Freund“) in seiner Grinzinger Villa. Er habe leider bis heute überhaupt keine Übung darin, „auf Frauen richtig zuzugehen“. Unlängst hat er eine nach ihrer Telefonnummer gefragt, sei aber danach nicht viel weiter gekommen: „Das muss ich wirklich noch lernen. Eigentlich bin ich ja ein schüchterner Bursche.“ Eine paradoxe, aber völlig ernst gemeinte Aussage aus dem Mund eines demnächst 90-jährigen Mannes, der fünf Ehen hinter sich und „einen Pool von Tierchen“ zur Auswahl hat, wie er seine wechselnden „Bekannten“ mit offen misogyner Dreistigkeit nennt, ohne sich dabei viel zu denken: „Schauen Sie, meine Bekannten und ich haben viel Spaß.“ Mit diesen Pseudoromanzen mit Damen zwischen 27 und 58 Jahren, die Namen wie Bambi, Goldfisch („Sie wohnt an einem Badesee“), Kolibri, Bienchen oder Betthasi verpasst kriegen, bekam und bekommt Lugner das, was er laut Christina Lugner „wie Sauerstoff“ braucht: „ein Kasperltheater mit möglichst vielen Zuschauern und Berichterstattern“.

Die Hofburg als Streichelzoo für sein Ego hat zur 90er-Party natürlich eine besondere Bedeutung: Schließlich kandidierte Lugner 1998 und 2016 im Rennen um das höchste Amt im Staat. Damals streberte er mit seinem Wahlkampfmanager, dessen Namen ihm heute entfallen ist, die Verfassung rauf und runter. Zeitweilige Gedächtnislücken und der allfällige Verlust des Gesprächsfadens sind die einzigen Symptome, die auf Lugners fortgeschrittenes Alter hindeuten.

220 Gäste werden in der Hofburg einer Laudatio von Dompfarrer Toni Faber und Arien aus der „Zauberflöte“ lauschen. Sein zweitgeborener Sohn Andreas wird sich nicht unter ihnen befinden. Der Vater hat ihm nie verziehen, dass er seine geliebte Baufirma, deren Schild in den goldenen Zeiten im Schnitt bis zu 600 Baustellen zierte, nach der Übergabe 1997 innerhalb eines guten Jahrzehnts „ruinierte“. Versöhnung ist nicht in Sicht. Zwar hat der ungeliebte Junior sein Büro ein paar Zimmer neben der mit Lugner-Devotionalien vollgepflasterten Chefzentrale in der Lugner-City, aber man hat inzwischen Übung darin, sich nicht zu begegnen. Dass Lugners insgesamt vier Kinder die Öffentlichkeit großräumig meiden, ist nachvollziehbar. Eine heute 37-jährige Tochter aus einer Affäre mit einer Schauspielerin der Löwinger-Bühne wurde soeben „zu einer sehr hohen Richterin“ im US-Bundesstaat Nevada gewählt: „Aber bitte nicht ihren Namen schreiben, das will die gar nicht.“

Sein Kulturkampf um Wahrnehmung wird munter weitergehen. „Er wird uns alle noch an sein Sterbelager zitieren“, ist sich Society-Kolumnist Dominic Heinzl sicher. „Wenn es mir Spaß macht“, feixt Lugner, „kann ich für nichts garantieren.“

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort