Der Erzherzog hatte sich auch den Thronfolger Franz Ferdinand, mit dem er einst rege (gerne auch über Krankheiten) korrespondierte, zum Erzfeind gemacht, indem er sich vehement und bei jeder Gelegenheit gegen die Mesalliance seines Neffen mit der nicht standesgemäßen Sophie Gräfin Chotek stellte. Deren Diskriminierung, selbst noch als Ehegattin, zeigte sich in Demütigungen wie dem Verbot, in der Kaiserloge in Theater und Oper Platz zu nehmen, oder der Vorgabe, nicht allein die kaiserliche Kutsche benutzen zu dürfen.
Auch bei Staatsbesuchen durfte sich Sophie lange nicht zeigen. Fatal, dass sie in Sarajewo neben ihrem Mann im offenen Automobil Platz genommen hatte. Der Thronfolger hatte ganze Listen von Menschen, die ihm sein Glück nicht gönnen wollten, geführt und geschworen, sich, „wenn ich einmal Kaiser bin“, zu rächen.
Das war mit ein Grund, warum das einstige Lieblingskind seiner Mutter Sophie, Erzherzog Ludwig Victor, die Brutalität dynastischer Intrigen später am eigenen Leib zu spüren bekommen sollte. Denn der frühere und jetzt so hasserfüllte Intimus köderte später junge Männer, an denen sich der Schlossherr von Kleßheim potenziell vergehen könnte, womit keine Gefahr bestand, dass „Luziwuzi“ je an den Wiener Hof zurückkehren werde.
Ruth Brauer-Kvam, Künstlerin, Schauspielerin und vermehrt Regisseurin mit einem Faible für das Schrille, Schräge und Exzentrische, inszeniert nun (in Co-Autorenschaft mit Fabian Pfleger) die Hommage „Luziwuzi – ich bin die Kaiserin“ (Premiere am 15. Februar im Wiener Rabenhof) mit Tom Neuwirth (alias Conchita Wurst) in der Rolle des Erzherzogs als „theatralisches, musikalisches Happening“: „Luziwuzi ist eine faszinierende Figur, auf die ich per Zufall im Zuge einer anderen Regiearbeit gestoßen bin.
Er hatte unheimlich viele Facetten: Einerseits war er ein gefeierter Party-Dandy, aber in späteren Jahren auch bösartig und intrigant.“ Es sei ein völliges Missverständnis, zu glauben, dass seine Homosexualität ihm die Ächtung des Kaisers eingetragen hatte: „Franz Joseph stellte seinen jüngsten Bruder unter seinen persönlichen Schutz. Der Kaiser war nicht homophob. Luziwuzi durfte sein Leben inklusive seiner Neigungen ausleben, allerdings nur bis zu dem Moment, wo Exzesse zu einem öffentlichen Skandal wurden.“ Unter dem Siegel der Diskretion war offensichtlich alles erlaubt, solange das Ansehen des Erzhauses nicht befleckt wurde.
Eine Ansicht, die auch die Historikerin Katrin Unterreiner nach intensiver Quellenforschung für die Publikation ihrer Biografie „Luziwuzi – das provokante Leben des Kaiserbruders“ teilt: „Sobald ein Exzess von der Presse aufgegriffen wurde, war der Kaiser gezwungen zu handeln. Aber davor hatte er überhaupt nichts dagegen. Zwar stand offiziell eine Kerkerstrafe von bis zu fünf Jahren für Homosexualität, und viele Männer mussten sie auch verbüßen, aber der Kaiser sah innerhalb seiner Verwandtschaft und im Fall seines geliebten Bruders besonders darüber hinweg.“
Was die Rezeptionsgeschichte des illustren Erzherzogs betrifft, sieht Unterreiner zwei große Missverständnisse.
Jene Fotos, die den langjährigen Liebling der Hofgesellschaft in Frauenkleidern zeigen, sind keine Dokumente für ausgelebte Travestie-Fantasien, sondern belegen einen beliebten Zeitvertreib der Hofgesellschaft. Dass Männer in Frauenkleidern Theater spielten, war nicht nur am kaiserlichen Hof durchaus üblich: „Die Habsburger liebten es, sich zu verkleiden. Sie stellten Gemälde nach oder spielten Theater. In jenem weißen Kleid agiert Ludwig Victor in der damals sehr beliebten und oft gespielten Posse ‚Die Vorlesung der Hausmeisterin‘ von Marie Gordon, in der auch andere Männer in Frauenkleidern auftraten.“ Dass das heutige „Kaiserbründl“-Bad in der Wiener Weihburggasse zu Lebzeiten Ludwig Victors ein für erotische Abenteuer unter Männern bekanntes Etablissement war, dementiert Unterreiner: „Das sogenannte Centralbad war ein renommierter Wellness-Tempel, wo man sich auch massieren lassen konnte, vergleichbar mit einem edlen Spa heute. Da der Erzherzog in seinem Palais, dem heutigen Casino am Schwarzenbergplatz, kein Schwimmbad hatte, besuchte er oft dieses Bad, in dem alle, die es sich leisten konnten, Zutritt hatten.“ Allerdings mokierten sich einige der Hofschanzen, dass der sonst von arrogantem Standesdünkel befallene Erzherzog sich mit „n’importe quoi“ in den Wellen tummelte.
Eigentlich war Ludwig Victor mit Mitte 20 aus dynastischen Gründen für die Verlobung mit Sisis jüngster Schwester Sophie Charlotte aus dem Geschlecht der Wittelsbacher vorgesehen gewesen, die aber nach einer ersten Konfrontation 1866 wegen seines Aussehens entsetzt abgelehnt hatte. Ab dieser Zurückweisung hielt sich „Luziwuzi“, der vom blondlockigen Nesthäkchen zu einem wirklich hässlichen Mann herangereift war, nur mehr sehr halbherzig mit heterosexuellen Liaisonen auf.
Sein Bruder, der sonst so fantasielose Kaiser, entwickelte angesichts der Neigungen des Jüngsten seiner Geschwister neben dem Talent des Wegschauens sogar Humor: „Man müsste ihm als Adjutant eine Ballerina geben, dann könnt’ nix passieren.“ Dass „Luziwuzi“ gerne mit einem Fiaker durch den Prater preschte, um auf Freier-Schau zu gehen, oder auch in einschlägigen Etablissements mit Uhren und Zigarettenetuis nur um sich warf, um junge Männer bei Laune und Offenheit zu halten, war den kaiserlichen Spitzeln, die ihre „Konfidentenberichte“ über das Leben der Erzherzoge und Erzherzoginnen regelmäßig hofintern zu liefern hatten, bekannt. Doch der eigentliche Abstieg des Partydandys begann mit einem Skandal im „Centralbad“, der aller Wahrscheinlichkeit auf einer Intrigenfalle des Thronfolgers Franz Ferdinand basiert: „Luziwuzi“ hatte sich einem jungen Mann unsittlich genähert, der ihm daraufhin vor allen Badegästen eine schallende Ohrfeige erteilte.
Ein weiteres „unangenehmes rencontre“, wie das in den Polizeiberichten genannt wurde, fand 1897 auf einer Praterfahrt statt, wo der (angeblich) „irrsinnige“ Zimmermaler Schmidtmayer die kaiserliche Hoheit „angebettelt haben soll“, was aber, so Unterreiner in ihrer Biografie, wohl als wahrheitsverfälschend angenommen werden kann. Wahrscheinlich ging es eher um körperliche Übergriffe.
„Was die Erzherzoge und Erzherzoginnen treiben, ist geradezu unerhört!“, lautete die Kritik des um die Jahrhundertwende amtierenden liberalen Ministerpräsidenten Ernest von Koerber, der auch die Pressezensur abschaffte: „Sie wollen auf jeden Fall der Öffentlichkeit beweisen, dass die Dynastie dekadent und degeneriert ist. Sie brauchen sich nicht so anstrengen, wir alle wissen schon längst, dass mit den Habsburgern nicht mehr viel anzufangen ist.“
Koerber betrieb auch die Eliminierung Ludwig Victors aus dem Wiener Geschehen. Der Transfer nach Salzburg und der Abbau der Privilegien auf Schloß Kleßheim erfolgte stufenweise, befeuert durch weitere Vernaderungen Franz Ferdinands, und kam zunehmend einem Hausarrest gleich. Graf Schaffgotsch, damals Salzburger Landespräsident, berichtet: „Zwei Tore von Kleßheim sind geschlossen, die Wachen sind verstärkt, die Dienerschaft verringert, der Chauffeur entlassen. Wie ich höre, sollen im ganzen nur mehr zwei bis drei Personen in Kleßheim Zulass finden und auch die nur unter fallweiser Genehmigung.“
Die Fenster waren vergittert, der Bewegungsradius auf drei Zimmer beschränkt. Als einziger Gefährte blieb Ludwig Victor sein Pinscher „Friend“.
Das tragische Leben des Erzherzogs, der 1919 umnachtet und geächtet starb, war ein Symbol für den Niedergang des Hauses Habsburg.Ein Berater des Kaisers, der anonym bleiben wollte, schrieb noch vor dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 in seinen Erinnerungen: „Die Habsburger waren ein zu altes Geschlecht, und es erging ihnen wie dem Weine, der, wenn er zu lange liegt (…), einfach Essig wird.“