Magnum-Fotograf René Burri: Clowns am Hof des Königs
Interview: Nina Schedlmayer
profil: Herr Burri, bedeutet Fotografie Krieg?
René Burri: Auf mich gemünzt oder allgemein?
profil: Auf Sie. Schließlich vergleichen Sie sich gern mit einem Reisläufer, einem Schweizer Söldner.
Burri: Ja, denn ich hatte in mir die Energie, aus der Schweiz auszubrechen. Und ich habe in meinem Sternzeichen, auch wenn ich an Astrologie gar nicht glaube, den Mars. Ich merkte, dass ich einen rebellischen, kriegerischen Aspekt in mir trage, den ich dominieren musste, damit er nicht immer wieder ausbrechen konnte. Als Jugendlicher war ich bei den Pfadfindern, da gingen wir öfter ins Gebirge. Einmal bestiegen wir angeseilt einen Berg, und als wir uns dem Gipfel näherten, schnitt ich mich von dieser Seilschaft ab und türmte, ging allein weiter. Alle sagten: Der Burri will der Erste sein. Ich aber ertrug einfach diesen Druck nicht, wollte unbedingt wissen, was man von da oben sieht. Da waren aber nur noch mehr Berge! Irgendwann habe ich mich jedenfalls aus diesen Schweizer Bergen hinausgewuchtet.
profil: Sie waren bald in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, hörten mit dieser Arbeit aber wieder auf. Warum?
Burri: Mein Kollege Robert Capa war in vier Kriegen. Dann ging er nach Indochina und sagte: Das ist mein letzter Krieg. So war es dann tatsächlich, denn er starb dort. Ich selbst machte in diesen Situationen die Erfahrung, dass ich selbst zum Kämpfer wurde. Ich finde Kriegsfotografen wie Don McCullin oder James Nachtwey großartig. Man muss das Drama und das Leid zeigen, das der Mensch dem Menschen antut. Mir selbst gab ein Erlebnis in Vietnam allerdings schon 1963 eine Ahnung davon, was mich da erwarten würde. Damals war ich bei einer großen Landeoperation mit etwa 100 Helikoptern dabei. Bevor derjenige, in dem ich saß, abflog, lief ein Reporter herbei und wollte auch noch mit. Ich erinnere mich an seine Kamera, die er in einem Etui um den Hals hängen hatte. Wir kamen ins Kampfgelände, es ging drunter und drüber, es wurde geschossen und geknallt. Als ich fertig war mit meiner Arbeit, sah ich den Jungen an: Er stand offenbar unter Schock, hatte Schaum auf den Lippen, die Kamera hatte er noch nicht einmal aus dem Etui genommen. Dann rollte er sein Hosenbein hoch, und es kam ein Holzbein zum Vorschein. Er sagte nur: Điên Biên Phu. Das war jene Schlacht, in der die Franzosen ihren letzten Kampf gegen die Vietnamesen verloren hatten. Vielleicht hat mich dieses Erlebnis davor behütet, im zweiten, dritten oder vierten Krieg umzukommen.
profil: Manche Fotoreporter erzählen, dass der Krieg fast wie eine Droge für sie ist. Waren Sie auch einmal knapp davor, süchtig nach diesem Kick zu werden?
Burri: Es war schon recht abenteuerlich, und das entsprach mir sehr. In Vietnam saß man nachts im Zelt, es wurden Filme mit Marilyn Monroe gezeigt, man trank Whisky es war wirklich so, wie man es manchmal im Kino sieht. Aber das Erlebnis mit dem französischen Journalisten warnte mich.
profil: Sie arbeiteten um 1970 auch als Dokumentarfilmer. Warum verfolgten Sie diese Karriere nicht weiter?
Burri: Das Filmen war grandios. Aber ich verbrauchte zu viel Energie, um das ganze Team zu begeistern. Und dann war ich Finanzdirektor und Regisseur in einer Person da gewann natürlich immer der Gestalter, und am Schluss schrieben wir rote Zahlen. Also nahm ich wieder die Leica in die Hand und war augenblicklich sehr glücklich. Ich musste nicht mehr viel reden, saß später allein in der Dunkelkammer. Mit der Leica war ich wieder mein eigener Meister.
profil: Berühmt wurden Sie mit Ihrem Foto von Ernesto Che Guevara. Ihrem Kollegen Alberto Korda, der den Kubaner ebenfalls fotografierte, schickten Sie Ihre Aufnahme mit dem Vermerk, dass es sich dabei um das fraglos beste Bild des Revolutionsführers handle. An Selbstbewusstsein mangelte es Ihnen damals offenbar nicht.
Burri: Es war ein Tausch: Alberto Korda schickte mir zuvor seines, mit dem Vermerk, dass dieses das berühmteste sei. Und da musste ich einfach etwas drauf sagen. Eigentlich ist es mir fast so herausgerutscht.
profil: Che Guevara scheint Sie nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Das lässt sich jedenfalls aus Ihren Erzählungen schließen.
Burri: Doch, sehr! Es war mein Glück, dass er sich ausschließlich mit der Journalistin unterhielt, mit der ich unterwegs war. Ich konnte ihn dadurch in Ruhe beobachten, etwa dabei, wie er die Zigarre anzündete. Nur eines hab ich ihm nie verziehen: dass er mir keine kubanische Zigarre offerierte. Aber das holte ich später mit Fidel Castro nach. Wie auch sonst oft konnte ich die Situation ausnutzen, dass wir Fotografen im Gegensatz zu den Journalisten eher als Saltimbanques, als Clowns am Hof des Königs gelten. Wir können uns auf den Boden legen, um die richtige Perspektive einzunehmen, oder jemandem die Schuppen ob vorhanden oder nicht von der Schulter streichen.
profil: Das Che-Foto wird bis heute ohne Ihr Wissen auf Waren aller Art reproduziert. Wie gehen Sie mit der Verkitschung Ihrer Ikone um?
Burri: Ich stellte 2012 bei einem Festival im Schweizer Vevey 160 Objekte mit meinem Bild von Che aus. Die Schau hieß: Revolution à vendre, Revolution zu verkaufen. Da war alles Mögliche dabei, von Höschen über T-Shirts bis hin zu einer Swatch-Uhr, Modell Revolución. Ein sehr bekannter Designer aus Mailand, Alessandro Mendini, hatte das Sujet entworfen mit meinem Foto, ohne dass ich davon wusste. Als meine Fotoagentur Magnum bei Swatch anfragte, erklärte man dort, man habe mein Bild doch nur als Teil einer Montage verwendet. Doch es war klar ersichtlich, dass es mein Foto war nur die Zigarre war entfernt worden. Letztlich zahlte Swatch sogar einen gewissen Betrag an Magnum, und ich bekam 20 dieser Uhren. Die verteilte ich an meine Kinder und Freunde. Mein Foto von Che Guevara findet sich sogar auf Seifen und Kondompackungen. Ich sammle selbst all diese Dinge, besitze mittlerweile 200 oder 300 davon.
profil: Was fotografieren Sie denn heute?
Burri: Einfach das, was mir begegnet, Personen aus meinem Umfeld. Ich muss nicht mehr allem hinterherrennen. Wenn man auf die 100 zugeht und sich langsam um seine Ersatzteile kümmern muss, hüpft man nicht mehr wie ein Springbock durch die Landschaft.
Zur Person
René Burri, 80,wurde mit seinem Porträt des zigarrerauchenden Ernesto Che Guevara berühmt. Der gebürtige Schweizer ist seit 1959 Mitglied der renommierten Fotoagentur Magnum. Zu seinen am meisten verbreiteten Arbeiten die meisten davon in Schwarz-Weiß zählen Fotos prominenter Künstler wie Picasso, Le Corbusier oder Alberto Giacometti sowie jene von der brasilianischen Hauptstadt Brasília. Das Wiener Ostlicht präsentiert nun mit den Farbfotografien Burris einen weniger bekannten Aspekt seines umfangreichen Werks.
René Burri, Doppelleben. Eröffnung: 16.1.2014, 19 Uhr. Bis 15.3. Ostlicht, Absberggasse 27, 1010 Wien. www.ostlicht.at