MAK: Josef Franks erste Wohnungseinrichtung
Das Stück verfügt über gehörige Verführungskräfte. Nur allzu gerne würde man die Türen dieses Sideboards berühren, über seine exakt gearbeitete Holzdekoration streichen. Leider darf man dieses Meisterwerk der Marketerie, auf dem zwei Säle mit Schachbrettboden und -decke zu sehen sind, keinesfalls berühren, handelt es sich dabei doch um ein bedeutendes Werk aus dem frühen Œuvre von Josef Frank, das demnächst im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) ausgestellt wird.
Besonders modern erscheint dieses feine Möbel allerdings nicht. Und dennoch gehört es zu einem Ensemble, das sich später als wegweisend erwies: nicht nur für das Werk von Josef Frank, sondern auch für den Wohnstil breiter bürgerlicher Schichten - bis in die Gegenwart. Der Designer und Architekt war erst 25 Jahre alt, als er 1910 den Entwurf für diesen Schrank zeichnete - als Teil der von ihm erdachten Wohnungsausstattung für seine Schwester Hedwig und deren Ehemann Karl Tedesko, die damals in die Untere Viaduktstraße im 3. Wiener Bezirk zogen. Fotos des Interieurs aus jener Zeit zeigen Sessel in Renaissance-Optik, Polster mit schwedischem Volkskunst-Dekor, Stühle im Stil des Biedermeier, eine Vitrine, die wie ein Wiener-Werkstätte-Möbel aussah; den Großteil davon hatte Frank selbst entworfen. Besonders inspirieren ließ er sich vom Renaissancearchitekten Leon Battista Alberti, über den er seine Diplomarbeit verfasste: So prangt an der Decke des Vorzimmers eine Art Windrose, die an die Fassadendekoration von Albertis Florentiner Kirche Santa Maria Novella erinnert.
Es war Frank ein Anliegen, die Bewohner im Alltagsleben mit einer gewissen Freiheit auszustatten. Sie konnten auch mal ein Möbel umstellen oder etwas austauschen, ohne dass sie gleich das gesamte Konzept über den Haufen geworfen hätten.
So altertümlich einzelne Möbel erscheinen mögen: Die Modernität dieser frühen Ausstattung äußert sich in eben diesem Remix aus einzelnen Stilen. Das betont auch MAK-Kurator Sebastian Hackenschmidt, der gemeinsam mit dem Architekten Hermann Czech die aktuelle Ausstellung gestaltete. "Es war Frank ein Anliegen, die Bewohner im Alltagsleben mit einer gewissen Freiheit auszustatten. Sie konnten auch mal ein Möbel umstellen oder etwas austauschen, ohne dass sie gleich das gesamte Konzept über den Haufen geworfen hätten.“ Im Gegensatz zu dem etwas älteren Josef Hoffmann, der seine Interieurs bis ins letzte Detail durchkomponierte, sollte bei Frank alles so wirken, als sei es natürlich gewachsen. Während man etwa in Hoffmanns Palais Stoclet kaum einen Stuhl verrücken durfte, um das Gesamtensemble nicht zu stören, ermöglichte Frank bereits mit seinem Tedesko-Interieur einer bürgerlichen Klientel ein weitaus legereres Wohnfeeling. Auch dabei berief er sich auf Alberti, der in seinen Schriften die "varietas“, also die Vielfalt, in der Architektur forderte.
Tatsächlich nutzten die Tedeskos ihr Ensemble genau so, wie es Frank vorgesehen hatte, und erweiterten es immer wieder mit neuen Stücken. Nun, während der Ausstellungsvorbereitung, konnte Hackenschmidt fast die gesamte Ausstattung, rund 30 Objekte, für das MAK akquirieren. Vor wenigen Jahren stöberte er sie an einem Ort auf, an dem die edlen Möbelstücke etwas seltsam erschienen, nämlich in einem nicht sonderlich charmanten Hochhaus am Stadtrand von Bern. Dort lebte die einstige Haushälterin der Tedeskos in einem kleinen Apartment. Das kinderlos gebliebene jüdische Paar war 1938 nach Luzern geflohen und hatte sich dort eine neue Existenz aufgebaut. Als Hedwig Tedesko 1966 starb, vermachte sie all ihre Möbel ihrer treuen Mitarbeiterin. Dieser standen dafür allerdings nicht die geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung: Dicht an dicht drängten sich Kästen und Schränke in ihrer Wohnung. "Ein Zimmer gar war so vollgestellt mit Frank-Möbeln, dass man Schwierigkeiten hatte, die Tür zu öffnen oder sie überhaupt zu fotografieren“, berichtet Kurator Hackenschmidt. Als die betagte und mittlerweile pflegebedürfte Frau ins Altersheim kam, musste sie die Möbel verkaufen. Da trat jene Stiftung auf den Plan, der das Einrichtungsunternehmen Svenskt Tenn - Frank war dort einst Chefdesigner - gehört. Sie erwarb das noch fast vollständig erhaltene Interieur und schenkte es dem MAK: 105 Jahre nach seiner Entstehung kehrt die Einrichtung nach Wien zurück.