Manfred Deix ist tot: „Österreich wird verdeixt”
profil: Am 22. Februar werden Sie 60. Freuen Sie sich auf den wohlverdienten Ruhestand? Deix: Ich werde sicher nie in Pension gehen, weil ich Überzeugungs- und Triebzeichner bin, gleichsam eine Form von Triebtäter. In Sachen Geilheit kann man ja ab einem gewissen Alter auch nicht sagen: So, jetzt schalte ich den Instinkt ab. Spatz, jetzt gibst eine Ruh'. Chuck Berry ist mittlerweile 83. Er tourt noch immer. Er spielt inferior, sein künstlerisches Mitteilungsbedürfnis ist jedoch ungebrochen.
profil: Werden Sie Ihren Geburtstag feiern? Deix: Mir graust vor dem Datum. Ich bin ein Bub, der sich plötzlich in einem Umfeld findet, in das er nie gepasst hat. Ich gehöre nicht zu den alten Krauterern, zu den Barbara-Karlich-Gästen, die 52 sind und wie 75 ausschauen. Ich stehe der Tatsache meiner 60 Lebensjahre mit Fassungslosigkeit und Depression gegenüber.
profil: Als Radikalsatiriker haben Sie längst Klassikehren erreicht. Wie verträgt sich das? Deix: In Österreich diesen Status erlangt zu haben spricht für das Land. Noch vor dreißig Jahren waren Menschen mit liberaler Grundhaltung hierorts radikal in der Unterzahl. Ich bin, ohne eitler zu klingen, als ich bin, darauf gekommen, dass ich für viele eine Art Miterzieher, ein satirischer Urvater war. Viele der heute 45-Jährigen haben seinerzeit meine Cartoons in profil heimlich betrachtet, während die Eltern mahnten: "Schau das nicht an, das ist pfui!" Meine Bilder haben nicht an Schärfe verloren, die Leute gehen nur lockerer damit um.
profil: Herrn und Frau Österreicher zeichnen Sie bevorzugt mit fratzenhaftem Antlitz, Ihren gemalten Mannsbildern verpassen Sie schmerzhaft kleine Genitalien. Dennoch werden Sie allseits geliebt. Deix: Die Sache mit den Mikrospatzen wird überschätzt. Nur ab und zu lacht irgendwo ein Vogerl aus einem Hosentürl heraus. Die Leute tun aber so, als ob bei mir wöchentlich Nudelpolka gespielt würde. Das Zeichnen rein politischer Inhalte würde mir die Arbeit auf Dauer verdrießen. So bereite ich mir kleine Geschenke, indem ich hin und wieder ein kleines rosa Stückchen aufblitzen lasse. Ich will beim Zeichnen kichern und lachen, das habe ich mir vor Jahren bereits versprochen.
profil: "Aussehen wie eine Deix-Figur" ist zur stehenden Redewendung geworden. Deix: Das jeweilige Gegenüber ist stets die Deix-Figur. Mir haben Menschen mit zwei Kilo Zahnfleisch im Gesicht gesagt: Mein Nachbar, der schaut aus wie eine Deix-Figur. Ich habe meinem Gesprächspartner dabei gebannt auf den Mund gestarrt und mich gefragt: Wo hat der denn diese Menge Zahnfleisch her?
profil: Picasso meinte, man sollte stets einige Ideen zugleich vorrätig haben. Wie gelangen Sie zu Ihrem Zeichenstoff? Deix: Der Fernseher rennt 16 Stunden am Tag, ich konsumiere Unmengen von Zeitungen. Täglich stürzen so Ideen auf mich ein, die ich aber nicht bewältigen kann, weil ich nur zwei Hände habe.
profil: Die Bestellung des neuen Linzer Weihbischofs muss Ihre verschärfte Aufmerksamkeit erregt haben. Deix: Ich bin unsäglich glücklich über Gerhard Maria Wagner. Auf diesen Mann habe ich gewartet, er ist ein Hoffnungsträger, ein Bringer. Ohne ihn hätte ich die kommenden Wochen ohne wirkliches Thema zubringen müssen. Dieser Bursche ist großartig. Gott hat ihn mir geschickt.
Haider ist mir schon in den frühen Siebzigern aufgefallen. Aufrührerische Jugendliche kultivierten damals ihr schulterlanges Haar - Haider pflegte dagegen sein Image als wohlfrisierter, altvatrisch gewandeter Pfeifenraucher.
profil: Jörg Haider ist Ihnen bekanntlich abhandengekommen. Deix: Er war einer meiner Hauptdarsteller, viele Jahre lang. Haider ist mir schon in den frühen Siebzigern aufgefallen. Aufrührerische Jugendliche kultivierten damals ihr schulterlanges Haar - Haider pflegte dagegen sein Image als wohlfrisierter, altvatrisch gewandeter Pfeifenraucher. Ich habe mir bereits damals gedacht: Was ist bloß mit dem los? Wie kann man so jung schon so alt sein? Dann habe ich mich zeichnerisch an seine Fersen geheftet. Er hat mir viel Stoff geliefert.
profil: Wurden Sie von Abschiedsschmerzen geplagt? Deix: Als ich die Todesnachricht hörte, habe ich Mitleid empfunden: Nach dem Besuch eines Schwulenlokals ist Haider angeblich blunznfett und aufgrund überhöhter Geschwindigkeit tödlich verunglückt. Ein irgendwie drolliges Drama. Jetzt ist er endgültig weg.
profil: Sind potenzielle Nachfolger für das Deix'sche Politiktheater in Sicht? Deix: Momentan nicht. Bundeskanzler und Vizekanzler - nette Zeitgenossen, aber noch zu wenig Feuer. Nichts im Vergleich zu Kreisky und Sinowatz, beide von der Physiognomie her unschlagbar gut. Alfred Gusenbauer ist mir wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen. Schad' um ihn. Mein Hauptanliegen ist jedoch nicht, die Politik zu kommentieren. Wenn, wie gerade jetzt, auf diesem Gebiet Flaute herrscht, erfinde ich mir meine eigene Welt. Bereits als Bub habe ich mir meine Vorlagen gezeichnet, weil es damals, in der Blütezeit der Prüderie, nichts gegeben hat. Ich habe immer zur Selbsthilfe gegriffen, wenn Not am Mann war. Die Wirtshausstube meiner Eltern war mein Vorlesungssaal, eine fantastisch frühe Deix-Welt: Unter beträchtlichem Alkoholeinfluss stritten sich die Arbeiter mit den Bauern und versöhnten sich grölend wieder. Am Abend ist der Dechant, die graue Eminenz des Dorfes, erschienen, schwankend und alkoholselig, und hat der Kellnerin, die ihm das Gulasch servierte, heimlich an den Hintern gefasst.
profil: Manfred junior als Voyeur? Deix: Ich bin seit jeher ein Typenspanner, ein Menschenspanner. Physiognomie, Körpersprache, Diktion - das sind jene Gebiete, in denen ich wühle, in denen ich mich suhle. Ohne all die Menschen, die ich ständig beobachte, könnte ich nicht leben.
profil: Ihre Arbeit hatte einst zerstochene Autoreifen und Drohanrufe zur Folge. Sind die wilden Jahre endgültig vorbei? Deix: Die Menschen haben sich an die Deix-Welt gewöhnt. Ich wiederum habe mich damit abgefunden, dass ich von dieser Welt umzingelt bin. Mir fehlte vieles, wäre Österreich ein geschniegeltes, tolles, liberales Land.
profil: Der Schriftsteller Peter Handke merkte einmal an: "Das Fette, an dem ich würge: Österreich." Deix: Es ist nicht so, dass mich der Blick über den Tellerrand nicht interessieren würde. Weltpolitik möchte ich dennoch nicht kommentieren, das machen andere besser, gewiefter. Was dieses Land jedoch betrifft, bin ich Experte. Ich sehe mich als Heimatkundler, der sein Wissen weitergibt und damit Gelächter erntet. Der Stoff geht mir hier nie aus. Irgendwann werde ich vom Sessel kippen und röcheln. Der Pfarrer wird mir die Letzte Ölung verpassen und mich fragen: "Was hätten Sie denn noch gern gezeichnet, Bruder in Christo?" Undefinierbares Hecheln. Ende.
profil: Haben Sie, um im Bild zu bleiben, bereits Nachfolger entdeckt? Deix: Die gibt es immer. In regelmäßigen Abständen kommen neue Talente hinzu. In den siebziger Jahren war Erich Sokol der uneingeschränkte Platzhirsch, König der Könige, nach wie vor ein Jahrhundertzeichner. Aber auch Sokol hat seinerzeit weiche Knie bekommen. Als ich angefangen habe, für profil zu zeichnen, hat er sich geärgert und über mich gestänkert. Angeblich soll er abends öfters zum Glas gegriffen haben als vorher. Er glaubte, da ist ein Neuer, der ihm gefährlich werden könnte - das war schon damals lächerlich. Irgendwann werde auch ich eine Zeitung aufschlagen, und mir wird das Herz in die Hose fallen. Irgendwann wird ein Mörderzeichner daherkommen, der mit seinen Blättern alle jetzigen Karikaturisten hinwegfegt, gerade so, als ob wir nie gewesen wären. Dann werde auch ich vermehrt zur Limonade greifen.
profil: In Ihrem Reich bleiben Sie König. Ihre Unterschrift ziert bekanntermaßen eine kleine Krone. Deix: Das Krönchen ist aus einem Gag heraus entstanden. Gerhard Haderer hat seine Arbeiten anfänglich ähnlich wie ich signiert, in derselben Blockschrift und Größe. Eine Zeit lang haben unsere Bilder zudem eine gewisse Ähnlichkeit aufgewiesen, und deshalb wollte ich mich wenigstens durch die Signatur unterscheiden. Das ist lange her, und mittlerweile kontrastieren unsere Arbeiten sehr wohl.
profil: Der Filmemacher Herbert Achternbusch bekannte einst, dass er so lange in seiner Heimat Bayern bleiben wolle, bis man es dem Landstrich ansehe. Planen Sie Ähnliches? Deix: Die Österreicher wachsen ohnehin ins Deixische hinein, das Land wird verdeixt. Die Menschen hier gleichen immer mehr jenen Wesen, die ich zeichne.