Beach Boy: Manfred Deix' erste Reise nach Kalifornien
Er war nicht leicht zu überreden. Gut zwei Monate lang musste ich meinen Freund Manfred davon überzeugen, dass Flugzeuge so sicher sind wie die Wiener Straßenbahn, dass Marietta gewissenhaft auf die Katzen aufpassen wird - fünf waren es damals - und er auch sonst alles wieder so vorfinden wird, wie er es verlassen hat. " Kalifornien, Oida!", würde man heute sagen, ich aber sagte brav: "Fahr ma doch endlich nach Kalifornien, du Beach Boy."
Manfred Deix und seine Frau Marietta wohnten damals noch am Wiener Franziskanerplatz. Manfred zeichnete für profil, hatte aber auch schon einzelne Aufträge von "Spiegel","Stern" und "Playboy". Die Abende verbrachten wir gerne im Café Dobner beim Naschmarkt: Dort saßen und rauchten Bekannte wie Robert Schindel, Elizabeth Toni Spira und natürlich unser Freund Georg "Hasi" Hoffmann-Ostenhof, mein Redaktionskollege bei der "Arbeiter-Zeitung". Manfred versuchte mir, der ich diesbezüglich im Vorschulalter steckengeblieben war, das Zeichnen beizubringen. Hasi war unser Modell. Mein Scheitern war kläglich.
"Surfer Girls! Beach Boys!"
Also Kalifornien. Ich hatte während des Studiums lange in den USA gejobbt und das Land einige Male mit dem Auto durchquert, konnte Manfred also glaubhaft mit Versprechungen - "Surfer Girls! Beach Boys!" - den Mund wässrig machen. Die Flugzeit verkürzte man sich 1978 mit Rotwein und Rauchen - das war damals noch ganz selbstverständlich.
Erst die jetzt wieder aufgefundenen Fotos von unserer Reise erinnerten mich daran, dass wir beide unabgesprochen unsere Latzhosen eingepackt hatten. In Wien waren diese gerade die Mode für den alternativen Kreativen, in den USA trugen damals wie heute nur knorrige Farmer des amerikanischen Mittelwestens solche Montur, wodurch wir wohl etwas ulkig aussahen, als wir am Abend unserer Ankunft stolz mit Hosenlatz durch San Franciscos Chinatown paradierten.
Best of Manfred Deix: Wir präsentieren eine Auswahl einiger Deix-Arbeiten für profil.
Manfred gefiel besonders ein Straßenrand-Posaunist im Ganzkörper-Hasenkostüm, der Woody Allen ähnlich sah und ständig "I Left My Heart in San Francisco" spielte. Wir nahmen einen Mietwagen. Merkwürdigerweise fuhr ich mit meinem Beach-Burschen, der schon kalifornischen Sand zwischen den Zehen spüren wollte, zuallererst in den Yosemite Nationalpark, wo es genauso aussieht wie in Tirol.
Manfred hatte während der Fahrt, er saß am Beifahrersitz, lässig den rechten Arm am offenen Wagenfenster geparkt, was diesen am Abend in sattes Dunkelrot tauchte. Wir nächtigten in einem Blockhütten-Motel auf 3500 Meter Seehöhe und sprachen von Wellen und Surfer Girls, aber auch von Bären, die wohl gerade draußen auf uns lauerten. Manfred wimmerte sich wegen seines Sonnenbrands in den Schlaf.
Dann rollten wir hinunter Richtung Pazifik. Manfred freute sich, als wir an den ersten Surf-Shops vorbeikamen. In den Straßen nahe der Beach-Area flanierten sonnenblonde Strandgestalten, die aussahen, als verbrächten sie ihr Leben in Fitnessstudios, in denen sie seit ihrer Geburt ausschließlich mit Health-Food gefüttert wurden. Manfred plante, sie sehr oft zu zeichnen.
Die Strände in Los Angeles halten den Fantasien der Binnenland-Bewohner nicht stand, Surferfilme werden anderswo gedreht. Das Planschen im Ozean ist nur für Besitzer von Neoprenanzügen ein Spaß: Die Wassertemperatur erreicht selbst im Hochsommer kaum die 20-Grad-Marke. Hingegen fühlen sich Weiße Haie in so erfrischenden, ihren Appetit anregenden Gewässern durchaus wohl.
Manfred war von jenem Teil des Strandes nicht wegzubringen, den die Einheimischen "Muscle Beach" nannten. Dort verwuchsen wollüstig stöhnende, kalifornisch gebräunte Muskelberge mit stählernen Fitnessgeräten. Daneben arbeiteten Blondinen an ihrer Brustmuskulatur oder legten beiläufig ein paar Einheiten Bauch/Beine/Po hin. Manfred mochte auch das Stretching.
Nach einige Tagen überredete ich ihn zu einem Abstecher nach Mexiko: "Wir fliegen nach Acapulco, dann nehmen wir einen Bus. Ich kenne da einen Ort im Süden, dort sind die ganz großen Wellen. Und Palmen."
Bald nachdem unser Flugzeug am Flughafen von L.A. abgehoben hatte, meldete der Pilot, es gebe ein Problem mit dem Fahrwerk. Er fliege jetzt hinaus auf den Pazifik, um Sprit abzulassen, dann versuche er zu landen. Die Flugbegleiterinnen zeigten uns inzwischen, wie man in einem solchen Fall den Kopf zwischen die Knie klemmt, und verteilten Polster und Decken. Einige Passagiere schluchzten, ich transpirierte, Manfred schimpfte: Da komme er einmal über Böheimkirchen hinaus, und dann passiere ihm - natürlich ihm und nur ihm! - gleich so etwas.
Die Landung verlief bis auf einige herumfliegende Gepäckstücke glimpflich. Wir Passagiere wurden flugs in einen abgelegenen Teil des Flughafen-Restaurants gebracht und mit kalifornischem Rotwein betäubt - offenbar der Goldstandard der Fluglinien, um derart unsanft Gestrandete einige Stunden später wieder in ein Flugzeug zu bringen.
Die Busfahrt von Acapulco in den Süden dauerte wegen vieler Polizeisperren, mehrerer Motorpannen und einiger Naturkatastrophen zweieinhalb Tage. Ich hatte sie kürzer in Erinnerung. Puerto Escondido war noch immer wunderbar, wenngleich der alte Montezuma hinter jeder Ecke lauerte, um in den Gedärmen der Touristen Rache zu nehmen. Wir fanden sogar das lustig. Im Dobner wartete man auf unsere Geschichten.
Ich wartete später noch gefühlte 46.247 Mal auf Manfreds Cartoons, weil der Redaktionsschluss von profil eigentlich schon da war, er mir telefonisch versicherte, dass Marietta eigentlich schon mit dem Blatt vor der Tür stehen müsse, obwohl er eigentlich gerade noch zeichnete. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir denken an dich, Beach Boy!