Der Wiener Marc Elsberg ist einer der erfolgreichsten Autoren Europas. In seinem neuen Thriller "Celsius" übernimmt China die Herrschaft über das Klima - mit fatalen Folgen. Ein Gespräch über Abenteuer mit Rückfahrkarte, die perfiden Kampagnen der Ölkonzerne und seinen Klimaaktivismus wider Willen.
Marc Elsberg, 56, verdient sein Geld mit Dystopien. Seit dem Technik-Thriller "Blackout" wurde jeder seiner Romane zum Bestseller: Mehr als zwei Millionen verkaufte Exemplare, in so ziemlich alle Sprachen übersetzt-von Russisch bis hin zu Japanisch und Koreanisch. Verfilmungen mit deutschen Stars folgten.
Einen Katastrophenbeschwörer stellt man sich allerdings anders vor: getrieben, abgeklärt, konspirativ und zynisch. Marc Elsberg ist nichts davon. Im ersten großen Gespräch zu seinem neuen Roman "Celsius" verbreitet er heitere Zuversicht. Dabei ist das Thema alles andere als erquicklich: Die westlichen Industriestaaten haben plötzlich das Nachsehen, als China und die afrikanischen Staaten per Geoengineering die Weltherrschaft über das Klima übernehmen. Elsberg genießt ganz offensichtlich sein Gedankenspiel, in dem "der globale Norden mit der eigenen Medizin gefüttert wird".
Elsberg zeigt sich beim Interview weniger als schillernder Künstler denn als besonnener Strategieberater, der er in seinem früheren Leben tatsächlich war. Für seine Schriftstellerexistenz löschte er seinen bürgerlichen Namen Marcus Rafelsberger. Die Suche nach einem Pseudonym ging er ganz wissenschaftlich an und nahm sich eine Studie zu Herzen, nach der überdurchschnittlich viele Bestsellerautoren dreisilbige Namen haben: John Grisham, Stephen King, George Orwell.
Aufgrund seiner akribischen Recherchen, die als Fundament für seine Romane dienen, ist Elsberg ein gut gebuchter Redner bei Unternehmen, wenn es um Stromausfälle, Cyberkriminalität, Raubtierkapitalismus und nun auch um die Klimakrise geht. Trotz all seiner Erfolge fragt Elsberg nach der Podcast-Aufnahme fast schüchtern, wie einem denn sein neuestes Werk gefallen habe:"Das Schreiben ist mir ja eher passiert."
Herr Elsberg, die unbekannten Flugobjekte, die in Ihrem neuen Roman "Celsius" auftauchen, erinnern frappant an die Ballone, die kürzlich durch die USA abgeschossen wurden. Haben Sie hellseherische Fähigkeiten?
Elsberg
Das war ein eigenartiger Zufall. Aber vermutlich handelte es sich um simple Wetter-oder Werbeballone. Also nein, keine übersinnlichen Fähigkeiten.
In "Celsius" schickt China Drohnen in die Stratosphäre, um dort Partikel zu streuen und so das Klima zu beherrschen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Elsberg
Auf die Idee brauchte ich gar nicht zu kommen. Das sogenannte "Solar Radiation Management" ist eine von mehreren Möglichkeiten, die immer wieder diskutiert werden, wenn es um Geoengineering geht-also um technologische Möglichkeiten, die Erderwärmung zu stoppen. Sie ist sogar eine durchaus realistische, weil sie mit Vulkanausbrüchen und Waldbränden ein Vorbild in der Natur hat. Und nach allen Berechnungen und Spekulationen, die verschiedenste Leute in den letzten eineinhalb Jahrzehnten dazu schon angestellt haben, noch dazu vergleichsweise billig wäre und sehr schnell wirken würde.
Sie sind für Ihre akribischen Recherchen bekannt. Für wie realistisch halten Sie es, dass solche Methoden tatsächlich eingesetzt werden?
Elsberg
Wir stehen vor der Herausforderung, dass speziell der globale Norden nach wie vor viel zu wenig tut, um die Erwärmung aufzuhalten. Irgendwann könnte sich jemand genötigt fühlen oder es als die letzte Möglichkeit sehen, zu solchen Mitteln zu greifen. Wenn die Umweltdesaster in den nächsten Jahrzehnten immer größer werden, halte ich das nicht für unwahrscheinlich.
In Ihrem Buch nehmen China und der globale Süden das Heft des Handelns in die Hand. Letzterem fehlt wohl die Finanzkraft für derartige Eingriffe in das Klima. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass der Norden handeln muss, weil sonst die Klimaflüchtlinge aus den betroffenen Staaten in Europa auf der Matte stehen werden?
Elsberg
Die stehen ja heute schon auf der Matte, und es werden natürlich noch viel mehr werden. Je nachdem, wie man in den nächsten Jahrzehnten mit der Klimakrise umgeht. Ich fürchte, dass man auch äußerst gewalttätige Mittel anwenden wird, um sich vor den Konsequenzen, die man da angerichtet hat, zu bewahren.
Wenn Wissenschafter vor negativen Entwicklungen warnen, werden sie gerne des Alarmismus bezichtigt. Das war in der Corona-Krise so, das sieht man auch in der Klimakrise häufig. Man hat den Eindruck, dass die Menschen übersättigt sind von schlechten Nachrichten. Ihnen hingegen reißt man Ihre Dystopien geradezu aus den Händen. Wie erklären Sie sich das?
Elsberg
Aus dem einfachen Grund: weil sie Fiktion sind. Wenn mich eine Dystopie aus der Schlagzeile einer Zeitung anspringt, dann weiß ich, das ist leider tatsächlich so passiert. Ob das jetzt ein Erdbeben mit irrsinnig vielen Toten ist, ob es der Krieg in der Ukraine ist, den ich quasi live mitverfolgen kann, dann ist das was anderes, als wenn das eine Fiktion in einem Buch ist, die ich auf meiner warmen, gemütlichen Couch lesen kann. Das ist immer so eine Mischung aus Eskapismus und Angstlust.
Der wohlige Grusel, wo man das Buch zuklappen kann, wenn es zu viel wird.
Elsberg
Genau. Es ist wie ein Abenteuer mit Rückfahrkarte.
Momentan wird ja auch viel über die "Klimakleber" diskutiert und darüber, ob sie mit ihren Aktionen die Menschen nicht zu sehr verärgern. Wie sehen Sie das?
Elsberg
Ich habe da eine ähnliche Perspektive, muss ich gestehen. Was mich stört, ist, dass die Klimaaktivisten das Narrativ der Ölkonzerne übernehmen, das 2004 durch eine große BP-Kampagne in die Welt gesetzt wurde. Die Aktivisten haben das Konzept des CO2-Fußabdrucks popularisiert und damit die Verantwortung auf den Einzelnen abgeschoben. Aber die Hauptverantwortung liegt hier ganz klar bei der Politik und bei den entsprechenden Industrien. Die Gruppe Extinction Rebellion in Großbritannien hat das inzwischen sogar begriffen. Die haben anfangs auch Aktionen gemacht, die die breite Masse beeinträchtigt haben. Inzwischen halten sie so etwas für die falsche Strategie.
An dieser Stelle würden die Aktivisten der Letzten Generation wahrscheinlich widersprechen und sagen: "Wir fordern die Regierungen ja auf, ihre selbst gesteckten und rechtlich verbindlichen Ziele einzuhalten. Und das ist unser Druckmittel."
Elsberg
Das Druckmittel halte ich für falsch. Man muss auf die Leute Druck ausüben, von denen man etwas will. Nicht auf jemanden, der im Stau steht. Wie soll denn der Druck ausüben auf seinen Umweltminister, auf seinen Kanzler oder auf wen auch immer? Das kann er frühestens bei der nächsten Wahl machen.
Moritz Bleibtreu und Jessica Schwarz in der Miniserie "Blackout" nach Elsbergs gleichnamigen Besteller
Was würden Sie denn als ehemaliger Werber und Strategieberater den Aktivistinnen und Aktivisten raten?
Elsberg
Darüber habe ich nie so scharf nachgedacht. Wahrscheinlich sollte man sich so gute Werbe-und PR-Agenturen suchen, wie das seinerzeit der Ölkonzern BP getan hat. Im Prinzip können das simpelste "Name-Blame"-Aktionen sein. Aber es muss eben die Leute betreffen, die die Entscheidungen fällen können.
In Ihrem Buch jagen Klimaaktivistinnen Pipelines in die Luft. Rechnen Sie damit, dass sich der Klimaaktivismus radikalisiert?
Elsberg
Ich hoffe nicht. Ich würde aber nicht ausschließen, dass wir das irgendwann erleben werden. Die Bücher und Pamphlete gibt es bereits, wie etwa "How to Blow Up A Pipeline" und andere. Aber zu wünschen wäre natürlich, dass der Protest auf friedliche Art und Weise abläuft.
Was würden Sie denn Politikerinnen und Politikern raten, die offenbar Angst davor haben, unbeliebte Maßnahmen durchzusetzen? Man denke etwa an Tempo 100 auf der Autobahn.
Elsberg
Das ist vor allem eine kommunikative Herausforderung. Nämlich: Wie verkaufe ich so etwas nicht als Einschränkung, sondern als Investition in die Zukunft? Leider sind Politiker in Kommunikationsdingen nicht immer wahnsinnig gut. Das eigentliche Problem ist in Wahrheit aber immer noch, dass man die Klimakrise nicht ernst genug nimmt. Im Hinterkopf denken viele: Wo ist eigentlich das Problem? Im Sommer fahren ohnehin alle nach Italien und Griechenland oder in noch wärmere Länder. Was ist denn so schlimm, wenn es bei uns jetzt dann endlich auch mal wie in Italien wird? Ist doch eh lässig. Ich glaube wirklich, das ist der Grund, warum man die Sache noch immer nicht ernsthaft angeht.
Ich fürchte, dass Europa äußerst gewalttätige Mittel anwenden wird, um sich vor den Klimaflüchtlingen zu schützen."
Marc Elsberg
Wir wollen nicht spoilern, aber eine der Hauptfiguren ist ein sehr reicher Unternehmer, der an Elon Musk erinnert und vieles ins Rollen bringt. Glauben Sie, dass auch in der Realität in der Wirtschaft manche mittlerweile weiter denken als in der Politik?
Elsberg
Manche sagen, der Ausstieg aus den fossilen Energien habe sogar schon eine Dynamik angenommen, die unumkehrbar ist. So weit würde ich nicht gehen. Das Problem ist, dass es viel zu langsam geht. Aber grundsätzlich gibt es erste Erkenntnisse, dass Klimaschutz auch wirtschaftlich durchaus sinnvoll sein kann. Es wäre natürlich wünschenswert, hier einen dynamischen ökonomischen Kipppunkt zu erreichen, den man idealerweise politisch noch anschiebt.
Sehen Sie sich eigentlich selbst als Klimaaktivist? Immerhin führen Sie sehr deutlich vor Augen, was passieren kann, wenn die Menschheit nicht handelt.
Elsberg
Nein, überhaupt nicht. Ich bin Autor von Thrillern, von Spannungsromanen, und ich finde es einfach aufregend, mich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Bei "Celsius" kommt jemand, der sagt: "Uns reicht's. Ihr tut nicht genug. Jetzt nehmen wir das Zepter selbst in die Hand und drehen den Spieß um."Und das fand ich ein spannendes Gedankenspiel, wie der Norden dann reagieren würde, wenn er plötzlich mit der eigenen Medizin gefüttert wird.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass wir beim CO2 Ausstoß noch die Kurve kriegen?
Elsberg
Vielleicht werden wir nicht unter 1,5 oder zwei Grad Erwärmung bleiben. Aber vielleicht gelingt es uns, uns die ganz großen Katastrophenszenarien zu ersparen. Das soll jetzt nicht zynisch klingen, weil das wird natürlich für viele Millionen Menschen trotzdem schlimmste Katastrophen bedeuten mit riesigen Migrationsbewegungen, Verlust von Heimat, Bürgerkriegen und so weiter. Aber weder wird die Menschheit aussterben, noch wird die Welt unbewohnbar werden.
In Ihrem Roman kauft sich eine Figur ein Haus in Skandinavien für den Fall, dass es durch den Klimawandel in Mitteleuropa zu heiß wird. Haben Sie auch schon darüber nachgedacht?
Elsberg
Nein, gar nicht. Ich habe nicht einmal in Österreich ein Haus. Warum soll ich mir eines in Skandinavien kaufen?
Sie vertrauen darauf, dass Ihre Heimatstadt Wien eine gemütliche Stadt bleibt?
Elsberg
Gerade für Wien sind die Prognosen ja nicht so optimal. Es soll klimatisch ähnlich heiß werden wie in Skopje, im Sommer kann das schon unangenehm werden. Aber man wird hier im wohlhabenden Norden Anpassungsstrategien finden. Das Problem ist: Andere haben weder die Möglichkeiten noch die Zeit, sich anzupassen. Wenn ich auf den Salomonen-Inseln in der Südsee wohne, dann kann ich mir vielleicht ein Hausboot anschaffen oder in ein fremdes Land auswandern, wo ich nicht willkommen bin. Und wenn ich eine Koralle bin, der das Wasser zu heiß wird, dann sterbe ich mit all dem Rattenschwanz an Konsequenzen, die am Ende auch für die Menschen Auswirkungen haben werden.
Haben Sie in Ihrem Alltag etwas verändert, um klimafreundlicher zu leben?
Elsberg
Ich muss gestehen, nicht wesentlich. Ich esse zwar so gut wie kein Fleisch und wohne mitten in Wien, wo ich praktisch nicht mit dem Auto fahren muss. Aber ich weiß, dass es in Wahrheit völlig egal ist. Ich bin als Bewohner des globalen Nordens per se einer der Hauptemittenten von CO2. Wie gesagt finde ich es nicht fair, das dem Einzelnen oder der Einzelnen umzuhängen. Es geht hier um ein Problem der Allgemeinheit, und es ist die Aufgabe der Politik, dies zu lösen.
Aus Ihrem ersten Bestseller "Blackout" entstand eine Miniserie mit Moritz Bleibtreu. Gibt es auch für "Celsius" schon Pläne für eine Verfilmung?
Elsberg
Natürlich bekommen Filmproduktionen vorab immer schon kleine Informationen. Es gibt erste Interessenten, aber für konkrete Pläne ist es natürlich noch ein bisschen früh.
Man kann sich den Kinothriller beim Lesen schon bildhaft vorstellen.
Elsberg
Ich schreibe grundsätzlich relativ filmisch. Ich mag auch selber Bücher, in denen die Spannung durch den Plot vorangetrieben wird. Und ich komme ja letztendlich aus der optischen Ecke-das Schreiben ist mir ja eher passiert. Ich male Bilder mit Worten.
Nachdem Sie mit Ihren Themen oft eng am Puls der Zeit sind: Haben Sie schon eine Idee für das nächste Buch?
Elsberg
Ich bin schon fest am Recherchieren und Plotten, verrate aber noch nicht, worum es geht.