STRICH DARUNTER: Uli Hoeneß bleibt das Herz von Bayern

Marcel Reif: Ein Spagat zwischen Lederhose und Champagner

Ballsaison – Die profil-Fußballkolumne von Marcel Reif.

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Eine der Säulen des christlichen Glaubens ist bekanntlich die Vergebung. Wer aufrichtig Reue gezeigt und Buße getan hat, der verdient es auch, dass ihm seine Sünden nachgesehen werden. Diese Maxime unserer Gesellschaft muss auch für Uli Hoeneß gelten, der Ende Februar nach Verbüßung der Hälfte seiner Haftstrafe wieder auf freien Fuß gesetzt wird.

Wer da jetzt von Sonderbehandlung spricht, hat keine Ahnung. Die bayerische Justiz ist in höchstem Maße unverdächtig, Straftäter in Watte zu packen und sich mit einem vermeintlichen Promi-Bonus ins Unrecht zu setzen. Also Strich darunter.

Ich kenne Uli Hoeneß und weiß, dass er sich nicht lange als Opfer gefühlt und seine Lehren aus diesem dramatischen Einschnitt in seinem Leben gezogen hat.

Der FC Bayern ohne Hoeneß war nicht mehr das, wofür dieser einzigartige Verein vorher stand. So viel Geld wie die Bayern haben andere Klubs wie Paris St. Germain, Manchester City oder Real Madrid auch. Aber den schwierigen Spagat zwischen Lederhose und Champagner so instinktsicher zu schaffen, das muss Hoeneß erst jemand nachmachen. Bei allem Respekt vor dem scheidenden Pep Guardiola: Die DNA der Bayern, dieses sympathisch-arrogante "Mia san mia"-Postulat, ist während des zweijährigen Interregnums etwas verrutscht.

Ich würde wetten, dass sich niemand dagegen stellt, sollte Hoeneß im Herbst als Präsident kandidieren.

Welche Funktion könnte Hoeneß beim Stern des Südens in Zukunft übernehmen, fragen sich viele. Der Aufsichtsrat wird es wohl nicht werden, stehen doch die strengen Compliance-Regeln der dort thronenden Vertreter der Großkonzerne wie Adidas, Audi und Allianz im Wege.

Ich würde wetten, dass sich niemand dagegen stellt, sollte Hoeneß im Herbst als Präsident kandidieren. Er wird den FC Bayern ein bisschen von Guardiola befreien, so wie er es machte, als Louis van Gaal drohte, den Klub mit seinem selbstverliebten Allmachtsanspruch zu übernehmen. Und er wird alle sanft daran erinnern, dass niemand wichtiger ist als der Verein. Guardiola-Nachfolger Carlo Ancelotti ist ein sympathischer Lebemann aus Reggio Emilia und wird schon kraft seiner bodenständigen Persönlichkeit niemals in den Verdacht geraten, derartiges in München zu planen.

Auch die von Guardiola forcierte Demontage von Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt wäre unter Hoeneß nie passiert - jedenfalls nicht so. Man muss die Bayern nicht zwingend mögen, aber wer sich an der Säberner Straße Verdienste erworben hat, der wurde noch nie fallen gelassen. Hoeneß besitzt ein ausgeprägtes Gefühl dafür, wenn jemand Hilfe braucht. Wie er sich um den neben Franz Beckenbauer wohl bedeutendsten Spieler der Bayern-Historie, den schwer erkrankten Gerd Müller, gekümmert hat, darf vielen anderen Klubs sehr wohl als Beispiel dienen. Und Dynamo Dresden oder St. Pauli werden es Hoeneß nie vergessen, dass er sie kurz vor dem finanziellen Kollaps mit kostenlosen Freundschaftsspielen rettete. Das muss man nicht machen, zeigt aber eine soziale Ader, die man dem Mann der Wirtschaft, dessen Rat viele - bis hin zur Bundeskanzlerin - suchten, nicht unbedingt zugetraut hat.

Hoeneß weiß, dass er einen schlimmen Fehler gemacht hat, aber er bleibt - trotz Außenminister Rummenigge - das Herz der Bayern.

Nie vergessen werde ich ein Champions-League-Match in Kiew. Beim Rückflug stieg auch eine ukrainische Mutter mit ihrem Jungen in den Flieger. Rätselraten unter den Journalisten, bis uns Pressechef Markus Hörwick aufklärte: Eine Bayern-Delegation mit Hoeneß an der Spitze hatte ein Krankenhaus besucht und war auf den krebskranken Buben aufmerksam geworden, dessen einzige Überlebenschance eine Operation in einer Spezialklinik in Deutschland war. Binnen eines Tages schaffte es Hoeneß trotz Zeiten des Eisernen Vorhangs, ein Visum für den kleinen Mann zu organisieren. Uns Reportern wurde strikt untersagt, das an die große Glocke zu hängen.

Ein Beispiel für die Art von Kultur, für die Uli Hoeneß steht. Er weiß, dass er einen schlimmen Fehler gemacht hat, aber er bleibt - trotz Außenminister Rummenigge - das Herz der Bayern. Seine ihm oft als Arroganz angekreideten Rundumschläge waren nie persönliche Attitüde, sondern immer seiner Funktion als Bayern-Boss geschuldet.

Ich bin mir sicher, dass er wiederkommt. Sonst wäre dort, wo das Herz dieses Vereins schlägt, nicht nur ein kleines Loch.

MARCEL REIF ist Grimme-Preisträger und kommentiert wöchentlich die Topspiele der Deutschen Bundesliga und der UEFA Champions League live auf Sky.