Spargel-Saison: Eine Überdosis Österreich im Marchfelderhof
„Haben Sie heute was zu feiern?“, fragt der sympathische Herr am Empfang des im niederösterreichischen Deutsch-Wagram gelegenen Lokals. Sein Tonfall ist schwer zu deuten. Ähm, nein danke, lieber nicht. Weise Entscheidung. Jenen, die unvorsichtig genug sind, um mit Ja zu antworten, widerfährt Sensationell-Schreckliches: Tatsächlich manövriert sich eine Band zum Tisch und spielt den Jubilaren ein Ständchen.
Wer’s mag. Spaß machen kann es jedenfalls, dieses aus dem Adabei-Vorabendprogramm des ORF bekannte Traditions- und Promi-Wirtshaus. Der 2021 verstorbene, legendäre Chef Gerhard Bocek formte aus dem alteingesessenen Betrieb über die Jahre ein echtes Gesamterlebnis: „Ich möchte das originellste Restaurant (nicht nur) Österreichs!“, wird er auf der Lokal-Website zitiert. Solange man die Originalität nicht auf den Tellern sucht, kann man Boceks Vision als vollendet bezeichnen. Die Innenausstattung des Marchfelderhofs ist auf eine schlüssige Weise geschmacksbefreit. Jeder, und zwar wirklich jeder Zentimeter ist mit Dekorationskitsch befrachtet. Leitmotive: das untergegangene Kaiserreich, Waltraut Haas, dazu nackte Menschen des jeweils anderen Geschlechts auf den Toiletten.
Dass das Lokal großen Wert auf das Promi-Gemüse Spargel legt, wird den Gästen schon vor der Eingangstür deutlich gemacht. Und zwar unmissverständlich. „Spargel Festival“ prangt da, auf roten Flaggen, in goldenen Lettern. Das könnte für so manchen Besucher noch zu dezent sein. Deshalb wurden auch noch die Fenster mit den Worten „Spargel, Spargel, Spargel“ ausgekleidet. Sicher ist sicher.
„Spargel, Spargel, Spargel“ bereitet Küchenchef Christian Langer dann auch zu, und er macht das auf eine antiquierte, aber kompetente Weise.
Das Menü beginnt mit einer Spargel-Cremeschnitte. Sie wird mit hausgebeiztem Lachs und Sesamblatt serviert. Etwa 1,5 Zentimeter dick ist die Creme, die von pikant abgeschmeckter Tomaten-Vinaigrette aufgelockert wird. Ein Machtwerk.
Welches Gericht folgt auf die Cremeschnitte? Richtig: Cremesuppe. Wir sind hier immer noch im österreichischsten Lokal Österreichs. Die Spargelcremesuppe ist sämig geraten, die darübergestreuten Kerbel-Chili-Croutons sind nicht gerade der Kreativität letzter Schluss. Aber: In der Suppe finden sich auf den Punkt gegarte Spargelstücke wieder. Das macht den Gang komplexer, als er auf den ersten Blick scheint.
Nach dieser Obersüberdosis dürfte bei den meisten Menschen das Verlangen nach Fett erst einmal gestillt sein. Als Otto Normalverdauer hat man es mit dem ausgelösten Backhendl dann schon leicht schwer. Als Beilage gibt es herzhaft mit Schale servierte Petersilienerdäpfel, Solospargel – und Sauce Hollandaise. Der Spargel hat einen perfekten Biss; schade, dass er nicht der Hauptdarsteller des Hauptgangs ist.
Das Spargel-Parfait mit Pfeffer-Erdbeeren zum Dessert bricht dann aus der konservativen Küchenlinie aus. So richtig progressiv wird es zwar nicht – Staubzucker muss schon sein –, doch das wunderbar vanillig schmeckende Spargel-Parfait bekommt man so nicht jeden Tag. Schlagobers gibt es auch wieder, und eine tatsächlich nach Erdbeeren und nicht nur nach Zucker schmeckende Erdbeersauce.
Aufgegessen. Die Kapelle interpretiert im schummrigen Dunkel des Lokals „Griechischer Wein“. So melancholisch wie in dieser Marchfelder-Version klang der Udo-Jürgens-Heimwehklassiker selten zuvor. Das hat sich der professionell-herzliche Service nicht verdient: Er macht den Aufenthalt im Marchfelderhof zu einer erstaunlich stimmungsvollen Erfahrung. Alternativer Musikwunsch: „Aber bitte mit Sahne“.
Empfehlung: Laktosetoleranz trainieren
Stimmung: Donauwalzer im Hardcore-Remix
Preisniveau: im Verhältnis zum Gesamterlebnis sehr fair, Spargelmenü um 44 Euro
Marchfelderhof, Bockfließerstraße 31,
2232 Deutsch-Wagram
marchfelderhof.at