Marko Arnautovic bei Inter Mailand: Ende gut
Der Unvollendete vollendet sich nun doch. Marko Arnautović, das schlampige Genie, der Weltkicker ohne Weltkarriere, erklimmt kurz vor der Fußballerpension (ein bisschen unerwartet) den Fußballolymp. Während Ronaldo und Neymar schon in der sportlichen Wüste in Saudi-Arabien schwitzen, wechselt Arnautović mit 34 Jahren zum europäischen Topklub Inter Mailand.
Andreas Herzog hatte es bereits im Jahr 2010 vorhergesehen. Arnautović werde Großes erreichen, weil er „mit Abstand der beste Fußballer ist, der in den letzten 30 Jahren herumgelaufen ist“. 13 Jahre lang wurde Prophet Herzog verlacht, die heimische Neidgesellschaft hatte längst andere Wetten abgeschlossen: Der freche Bengel werde am Ende übergewichtig in Wiener Unterligen herumtraben. Stattdessen wird es nun biblisch. Arnautović erlebt die Geschichte vom verlorenen Sohn. Mit Anfang 20 spielte er schon einmal für Inter, doch das Supertalent kam regelmäßig zu spät zum Training, ließ sich den geborgten Bentley seines Kollegen Samuel Eto’o von Dieben abluchsen, wurde suspendiert. Sein Trainer José Mourinho bezeichnete ihn als großartigen Typen „mit der Einstellung eines Kindes“. Am Ende reichte es bloß zu drei Kurzeinsätzen und einem Champions-League-Titel im Lebenslauf, zu dem er freilich nichts beigetragen hatte. Aber mit dem Pokal feierte er, als hätte er ihn allein gewonnen.
Die heimische Neidgesellschaft hatte längst Wetten abgeschlossen: Der freche Bengel werde am Ende übergewichtig in Wiener Unterligen herumtraben. Stattdessen wird es nun biblisch. Arnautović erlebt die Geschichte vom verlorenen Sohn.
Arnautović sei „für einen Spitzenklub nicht gut genug“, unkte Toni Polster. „Der hat noch nichts geleistet“, erklärte Hans Krankl. Die Größen des heimischen Kicks störten sich an den Frisuren und am Gehabe des Möchtegern-Superstars, der bloß für Mittelständler wie Bremen, Enschede, Stoke City, West Ham, Shanghai oder Bologna auflief – aber dort herumstolzierte, als wäre er Cristiano Ronaldo persönlich. Für Arnautović galt aber immer auch ein anderer Bewertungsmaßstab: das Unterhaltungsbarometer – wie gern sieht man einem Fußballer beim Spielen zu?
Arnautović gehört einer aussterbenden Gattung an. Heute dominieren im Fußball Langstreckenläufer und Kampfmaschinen. Arnautović ist einer der letzten Alleinunterhalter, die den Fersentrick dem Hundertmetersprint vorziehen. Am liebsten würde er seinen Gegenspielern in Dauerschleife den Ball über die Köpfe schupfen, sie tunneln oder sonst wie pflanzen. Im Gegensatz zu anderen Ballartisten ist er aber kein filigranes Männchen. Arnautović ist ein bulliger Mann, 1,92 Meter groß, gut 95 Kilogramm schwer. Spielt er dem Gegner den Ball durch die Beine, schiebt er sich wie ein ICE an ihm vorbei. Sein Spitzname lautet Astronautović, weil er etwas Galaktisches an sich hat, dieser ganzkörpertätowierte Typ mit Oberschenkeln wie Hulk Hogan, der Terminator des österreichischen Fußballs. Der heimische Kick kannte vor ihm bloß volkstümliche Männer mit Schnauzbart wie Herbert Prohaska oder Musterschüler wie Andreas Ivanschitz, der privat Klavierunterricht nahm. Arnautović dagegen wirkt draufgängerisch wie ein Ghetto-Rapper, ein Bad Boy im Bling-Bling-Style.
„Der Chef im Revier“
Er wuchs in einer Hochhaussiedlung in Wien-Floridsdorf auf. Der Vater Serbe, die Mutter Österreicherin. „Wir waren Straßenjungs“, erzählte er dem Magazin „Datum“. In seinem Viertel ging es darum, „wer der Chef im Revier“ war. Dieser Habitus schlägt bis heute durch. Manchmal stößt er sich damit blöderweise selbst vom Sockel. Seinen Klub Werder Bremen bezeichnete er einst als „Saftladen“. In Interviews sprach er freimütig über die Vorzüge von Silikonbrüsten. Einem deutschen Polizisten, der ihm eine Strafe aufbrummen wollte, erklärte er: „Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen.“ Das Bild des größenwahnsinnigen Kickers war gezeichnet. „Ich habe immer das gemacht, was in meinem Kopf war“, sagte er einst, „und das war natürlich der Fehler.“ Zu Journalisten, die diese Fehltritte genüsslich verbreiteten, pflegt er kein herzliches Verhältnis. Sitzt er ihnen gegenüber, signalisiert er mit einem Auge Verachtung, mit dem anderen fixiert er sie durchdringend. Sein grimmiger Abwehrmechanismus wurde ihm oft übel genommen, harte Kritiken waren die Folge. „Es wird bei mir halt oft eine Ameise aus einem Elefanten gemacht“, erklärte der Mann, der sich selbst gewiss nie Mücke nennen würde.
Arnautović gehört einer aussterbenden Gattung an. Heute dominieren im Fußball Langstreckenläufer und Kampfmaschinen. Arnautović ist einer der letzten Alleinunterhalter, die den Fersentrick dem Hundertmetersprint vorziehen. Am liebsten würde er seinen Gegenspielern in Dauerschleife den Ball über die Köpfe schupfen.
Sein Fußballerleben konnte Erfolgsstory, Drama und Komödie in einem Akt sein. Bis heute wirkt es so, als steige ihm jede gelungene Partie zu Kopf. Dann kann man davon ausgehen, dass er im nächsten Spiel dem Gegner zwar wieder den Ball durch die Beine spielen, danach aber geblendet von seiner Genialität die Mühsal des Überlaufens vergessen wird. „Du bist dreimal grottenschlecht und zweimal genial“, scherzte Christoph Grissemann 2021 in „Willkommen Österreich“ – und traf einen wunden Punkt. Tatsächlich spielt Arnautović öfter gut als schlecht. Wie es für ihn läuft, kann man am besten an Arnautović selbst ablesen. An einem guten Tag tänzelt er übers Feld. An einem schlechten sieht man ihn an jeder Ecke fluchen. Es sollen dann alle bemerken, dass er es ja besser kann, also schmeißt er sich demonstrativ nieder, trommelt mit den Fäusten gegen den Rasen, äfft die eigene Aktion nach oder tritt gegen eine Werbebande. Arnautović ist immer der Mittelpunkt – in guten wie in schlechten Zeiten.
Arnautović hat sich hartnäckige Kritiker erarbeitet, den Ex-Teamspieler Peter Pacult zum Beispiel. „Er wird ja bei uns verkauft als der Superstar“, kritisierte dieser vor einem Jahr. Bis jetzt habe Arnautović aber bloß „bei Stoke City, bei West Ham, bei Werder Bremen und in China unten“ gespielt.
Es mutet unfair an, Arnautović an medialen Erwartungshaltungen zu messen (noch dazu in einem Land, in dem Weltfußballer Mangelware sind). Er lief in den besten Ligen der Welt auf, spielte in Deutschland, England und Italien (für Bologna erzielte er in der Saison 2021/2022 beachtliche 15 Saisontreffer). Im Nationalteam ist er ohnehin der Rekordmann: Er hat 108 Länderspiele bestritten (so viele wie kein anderer) und 34 Tore erzielt (nur Polster liegt mit 44 Treffern vor ihm). Ex-Stürmer Pacult (24 Länderspiele, ein Tor) überzeugt das nicht. „Für das, wie er verkauft wird, hat er uns weder zu einer WM, noch zu einer EM geschossen.“
Wie gewonnen, so zerronnen
Arnautović hätte das Nationalteam bei der EM 2021 (gegen den späteren Europameister Italien) immerhin fast ins Viertelfinale geschossen. Doch er stand ein paar Millimeter im Abseits, der Treffer wurde aberkannt. Das spiegelt seine Karriere wider, in der es ihm immer ein wenig wie Donald Duck zu gehen schien: Wie gewonnen, so zerronnen. Bei der EM war das gut zu beachten. Erst rückte er nicht ganz fit, aber im goldenen Rolls-Royce ins Teamquartier ein, erzielte dann das 3:1 gegen Nordmazedonien, beschimpfte aber einen Gegenspieler so wüst, dass ihn die UEFA für ein Spiel sperrte.
Heute präsentiert er sich als geläuterter Familienmensch, der sich um seine Frau und seine zwei Töchter kümmert, das Nachtleben verweigert und auf dem Platz alles gibt. In Bologna wurde er zum Torgaranten. Inter Mailand hat anlässlich seiner Rückkehr gar ein hollywoodtaugliches Werbefilmchen gedreht. Arnautović ist darin als Astronaut im Weltall zu sehen, der sich von der (Inter-)Familie entfernte, Irrwege beschritt und nun geläutert heimkehrt. Er sei einst „ein hitzköpfiges Kind“ gewesen, erklärte er. Nun wolle er endlich „eine Trophäe stemmen“. Inter-Trainer Simone Inzaghi schätzt ältere Semester. Arnautović sei „ein körperlich imposanter und technisch begabter Spieler, der mit beiden Füßen gleichermaßen talentiert ist“, hieß es in einer Aussendung. Zum Einstand vor einer Woche gegen den AC Monza zeigte er prompt sein Können und legte mit einer wuchtigen Körpertäuschung das 2:0 auf.
Danach lief nicht etwa Arnautović zum Torschützen, um ihm zu gratulieren, nein: Dieser (immerhin der argentinische Weltmeister Lautaro Martínez) eilte zum wartenden Arnautović und gratulierte dem Vorlagengeber.