Marko Arnautović: Der Junge von der Straße
Es waren turbulente Wochen für Marko Arnautović, also irgendwie typische. Im Zeitraffer: Arnautović wurde Spieler des Jahres in Österreich, war Fan-Liebling bei seinem Klub West Ham United, wurde angeblich von Manchester United umworben, wollte stattdessen nach China, wurde von Fans beschimpft, verlängerte bei West Ham und verletzte sich kurz danach am Fuß.
Arnautović polarisierte schon immer. Die Wahrnehmung seiner Person schwankte zwischen Held und Tollpatsch, verhasst und geliebt, begehrt und verschmäht. Gerade ist er wieder einmal der Buhmann: ein größenwahnsinniger Kicker, der im sportlich unbedeutenden China sinnlos viel Geld scheffeln wollte (gemunkelt wurde von 280.000 Euro pro Woche, angeblich das Doppelte seines aktuellen Verdiensts in der Premier League). Seitdem wird über Moral im Fußball diskutiert und über den nimmersatten Kicker geschimpft. Doch so einfach ist das nicht. Arnautović, 29, bullige Statur, am ganzen Körper tätowiert, ist ein Spielertyp, an den man sich im beschaulichen Österreich noch immer nicht so recht gewöhnt hat. Hier sind Fußballer in der Regel biedere Arbeiter und heißen Ulmer, Laimer, Kitzbichler oder Standfest – allesamt brave Männer, die bei Fernsehinterviews schon mal nervös wirken.
Arnautović dagegen gilt als Bad Boy und Alpen-Ibrahimović. Einem Reporter erklärte er einst, dass ihm Silikonbrüste gefallen. Einen deutschen Polizisten, der ihm eine Strafe aufbrummen wollte, blaffte er an: „Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen.“
China als neue Goldgrube
Vor 15 Jahren war Andreas Ivanschitz der heimische Superstar, ein blasser Burgenländer, der in seiner Freizeit Klavier spielte. Marko Arnautović präsentiert sich in den sozialen Medien wie Jay Z. Man sieht ihn auf Yachten und in seiner Protz-Villa – nur goldene Steaks (wie zuletzt der Bayern-Star Franck Ribéry) sah man ihn noch keine verspeisen. Er ist ein Promi in Italien, in Holland, in Deutschland, in England. Nun wollte der erste österreichische Bling-Bling-Kicker auch den asiatischen Markt erobern – jedenfalls erzählte das sein Bruder und Manager, Danijel Arnautović. China ist die neue Goldgrube im globalen Fußballgeschäft. Die brasilianischen Superstars Oscar und Hulk sind bereits dort. Oscar soll 417.000 Euro pro Woche verdienen, viermal so viel wie in seiner Zeit beim FC Chelsea. Für Cristiano Ronaldo bot ein chinesischer Klub gar 300 Millionen Ablöse und 100 Millionen Jahresgehalt. Die chinesische Regierung hat ein Förderprogramm aufgesetzt, das selbst die superreiche englische Premier League arm aussehen lässt. 1,4 Milliarden Menschen leben in China; regelmäßig stehen Zigmillionen nachts auf, um Spiele des FC Bayern München oder von Manchester City zu schauen. „Es ist sein großer Wunsch, dass West Ham das Angebot aus China akzeptiert“, erklärte Danijel Arnautović vor wenigen Wochen: „Er will in einen neuen Markt und um Titel spielen.“ Was er nicht sagte: Arnautović ist bald 30 Jahre alt, für einen Spitzenfußballer somit schon recht betagt. Experten geben ihm noch drei, höchstens vier Jahre, die er auf Topniveau wird spielen können – vorausgesetzt, er verletzt sich nicht schwerwiegend. Für Berufs- kicker geht es irgendwann nicht mehr um Idealismus, sondern ums Geld. Man träumt nicht mehr vom FC Barcelona, sondern von der Altersvorsorge.
Arnautović ist in einer Hochhaussiedlung in Wien-Floridsdorf aufgewachsen, die Mutter Österreicherin, der Vater Serbe. Wer Arnautović über seine Jugend sprechen hört, fühlt sich mehr an die Bronx erinnert als an Wien. „Wir waren Straßenjungs“, gab er im Magazin „Datum“ zu Protokoll. Seine Kumpels: Türken, Serben, Kroaten, Georgier, Russen, Araber. Keine Österreicher. In seinen Erzählungen geht es um Gangs und darum, „wer der Chef im Revier“ war. Einige seiner damaligen Freunde saßen später im Gefängnis. „Er ist in schwierigen Verhältnissen groß geworden“, sagt ein Weggefährte. „Es war schnell klar, dass er nur durch den Fußball zu einer finanziellen Absicherung kommen konnte.“ Mannschaftskollegen beobachteten, wie sein Vater und sein Bruder ihn nach schwachen Spielen kritisierten. „Er konnte es schaffen, der gesamten Familie zu einem besseren Leben zu verhelfen. Das bedeutet aber auch viel Druck für einen jungen Menschen.“ Seit Beginn seiner Auslandskarriere waren seine Eltern und sein Bruder an seiner Seite, inzwischen auch seine Frau und seine beiden Kinder. In Bremen wohnten alle gemeinsam in einem Haus. Heute ist Marko Arnautović, der in den Straßen von Wien im hierarchischen Clan-Geist sozialisiert wurde, Alleinversorger und damit sozusagen Familienoberhaupt – eine Rolle, die ihm gefällt.
Schlampiges Genie
In der österreichischen Öffentlichkeit genoss er lange den Ruf eines schlampigen Genies. Er steht nach wie vor regelmäßig im Kreuzfeuer der Kritik: weil er bei der Nationalhymne nicht mitsingt; weil er sich auf dem Platz aufreizend lässig bewegt; weil er die serbische Flagge auf den Schuhen trägt; weil er nach einer Niederlage auch schon mal mit einem Kumpel von der gegnerischen Mannschaft essen geht. Auf Pressekonferenzen hat er für Journalisten oft nur einen glasigen Blick übrig, was diese ihm als Arroganz auslegen. Heimische Fußballlegenden bekritteln in ihren Zeitungskolumnen gern seine auffälligen Frisuren und Tattoos. Als Jugendlicher bei Inter Mailand verscherzte Arnautović es sich mit Star-Trainer José Mourinho, weil er am selben Tag nicht nur zum Frühstück, sondern auch zum Mittagessen und zum Training zu spät kam. Mourinho schenkte ihm eine Uhr und nannte ihn eine „fantastische Person mit der Einstellung eines Kindes“. Den deutschen Bundesligaclub Werder Bremen, für den er von 2010 bis 2013 spielte, beschimpfte er als „Saftladen“. In der österreichischen Nationalmannschaft wiederum legte er sich immer wieder mit Mannschaftskollegen an.
Ein Teamspieler meint, dass man ohne Arnautović eine Klasse schlechter sei. Doch das war nicht immer so: In wichtigen Begegnungen zeigte er sich verspielt, grantig, aufbrausend oder überdreht. Man hielt Sondersitzungen ab, um den Kollegen in die Spur zu bringen und ihm mehr Verantwortung für die Mannschaft zu übertragen.
Lange war der brave, umgängliche David Alaba der Star unter den heimischen Kickern. Mittlerweile gilt Arnautović als Österreichs bester Teamspieler. Menschen, die ihn länger kennen, beschreiben ihn als warmherzig und nett. Vor einem Monat wurde er erstaunlicherweise erstmals zum österreichischen Fußballer des Jahres gewählt.
In den vergangenen Jahren ging es für Arnautović nur nach oben. Er beschimpfte keine Polizisten mehr, kam nicht zu spät zum Training, fabulierte nicht von Silikonbrüsten. Doch wenn es ums Geld geht, neigt er immer noch zum Größenwahn. „Ich bin nicht zufrieden, dass ich nur 15 Millionen wert sein soll“, erklärte Arnautović vor Jahren freimütig. West Ham überwies 2017 für ihn 28 Millionen Euro Ablösesumme an Stoke City. Von den Chinesen verlangte man 50 Millionen. Arnautović wurde vor die Wahl gestellt: England oder China. Für viele Fans klang das wie eine Entscheidung zwischen sportlicher Ambition und gierigem Söldnertum. Der österreichische Spielerberater Max Hagmayr kann darüber nur lachen: „Man sollte nicht moralischer sein als der Papst. Fußball ist ein Geschäft. Es ist viel Geld da, und das wird ausgegeben.“
Eines ist nun fix: Arnautović wird in nächster Zeit nicht in China spielen. Er hat bei West Ham verlängert und kassiert dort künftig mehr Gehalt.
Marko Arnautović kann es brauchen: Er hat eine Familie zu versorgen.