Burgtheater-Affäre: Neue Ungereimtheiten
Vermutlich gibt es inzwischen keinen Tag mehr, an dem Silvia Stantejsky ihren Karrieresprung, der die langjährige Leiterin des künstlerischen Betriebsbüros 2008 in die kaufmännische Direktion des Burgtheaters brachte, nicht bereut. Im Betriebsbüro, wo Spielpläne erstellt und Künstlerwünsche möglichst sensibel beantwortet werden müssen, ist jemand, der alles möglich machen möchte, der Tag und Nacht für das Theater und seine Künstler lebt, ein Hauptgewinn. Im kaufmännischen Bereich sind andere Tugenden gefragt: Genauigkeit und Härte, selbst gegen massiven Druck von außen. Ihren Chefs Grenzen zu setzen, Arbeit zu delegieren, das waren wohl nicht Stantejskys große Stärken, sie wird jedenfalls nun durch einen Zwischenbericht der Wirtschaftsprüfer neuerlich belastet. Noch bevor die Zusammenfassung dieses Berichts an die Anwältin der Betroffenen übermittelt wurde, landete er in diversen Zeitungsreaktionen auch profil liegt er vor. Darin ist zu lesen, dass es immer vor Abschluss des jeweiligen Geschäftsjahres hohe Einzahlungen in die Kassa gegeben habe. Nach dem Prinzip Loch-auf-Loch-zu seien viele dieser Einzahlungen jeweils ein paar Monate später wieder herausgenommen worden. Einige dieser Belege werfen Fragen auf. profil etwa liegt eine Buchung vor, die eine Einzahlung von 6000 Euro in die Kassa zu dokumentieren scheint; der deutsche Regisseur Christoph Schlingensief soll sie am 30./31. August 2012 getätigt haben. Zu diesem Zeitpunkt war er jedoch bereits zwei Jahre tot.
Risikofaktor
Wie viel Georg Springer, Chef der Bundestheater-Holding, die für das Controlling des Burgtheaters zuständig ist, von diesen Unregelmäßigkeiten hätte wissen können, ist nach wie vor nicht geklärt. Immerhin galt Stantejsky als chaotisch. Hätte man unter diesen Umständen als Kontrollinstanz nicht besonders genau hinschauen müssen? Hätte man diesen Risikofaktor nicht richtig einschätzen können? Warum wurde die sichtlich überforderte Mitarbeiterin nicht zur Seite genommen, ihr ins Gewissen geredet? Warum wollen Kollegen und Vorgesetzte nicht bemerkt haben, dass Stantejsky dem Druck von außen nicht standhielt, das finanziell angeschlagene Theater über die Runden zu bringen?
Burgchef Matthias Hartmann hatte sich vor ein paar Wochen noch damit gebrüstet, die Theater in Bochum und Zürich saniert zu haben. Dazu meldet sich nun Jean-Pierre Hoby, der ehemalige Direktor der Kulturabteilung der Stadt Zürich, der auch im Verwaltungsrat des Schauspielhauses Zürich saß, mit einer schriftlichen Stellungnahme zu Wort. Die Behauptung Hartmanns, er habe Zürich als Sanierungsfall übernommen, sei eine mutwillige Beleidigung nicht nur seines Vorgängers Andreas Spillmann, sondern auch der Stadt Zürich. Sie hat nur ein Ziel: andere zu erniedrigen, um sich selber zu erhöhen!, so Hoby. Hartmanns Vorgänger habe die Spielzeit 2004/05 mit einem Gewinn von 222.610 Schweizer Franken abgeschlossen und die Reserven um 411.949 Franken erhöht. Die erste Spielzeit von Matthias Hartmann schloss mit einem Verlust von 229.181 Franken, so Hoby gegenüber profil. Der Verlust wäre weit höher ausgefallen, wenn unter seiner Leitung nicht stille Reserven in der Höhe von 1.664.730 Franken aufgelöst worden wären, wenn die Rückstellungen nicht um 1.757.812 Franken abgebaut und die Abschreibungspraxis nicht verändert worden wäre, die es erlaubte, für die Immobilie Schiffbau 758.000 Franken weniger abzuschreiben als in der vorangehenden Spielzeit.
Selbstdarsteller
Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen, dazu: Das Theater braucht Darsteller, aber keine Selbstdarsteller. Hartmann hat entgegen seiner Behauptung nirgendwo irgendetwas saniert. Weder in Bochum noch in Zürich und schon gar nicht in Wien. Es wird Zeit, dass sich die Politik um jemanden umsieht, der das Burgtheater aus dem Morast zieht. Hartmann kann es nicht. Das Burgthea-ter wollte zu den Vorwürfen vorläufig keine Stellungnahme abgeben. Inzwischen hat Matthias Hartmann seinem Haus Sparmaßnahmen verordnet: Die Zahl der Gastschauspieler soll begeschränkt werden, und die Verträge von fünf Darstellern, unter ihnen Udo Samel und Corinna Kirchhoff, beide zentrale Akteure in Andrea Breths Theaterfamilie, werden wohl nicht verlängert. Auf profil-Anfrage gab Breth bekannt, sie wolle dennoch weiterhin in Wien arbeiten: Es gibt den Wunsch der Schauspieler, dass ich wieder an der Burg inszeniere. Zu allem anderen kann und will ich mich nicht äußern.
Intern rumpelt es weiter im Burgthea-ter. In einer vergangenen Freitag abgehaltenen Ensembleversammlung sollen 83 Schauspieler Hartmann ihr Misstrauen ausgedrückt haben. Insgesamt wurden 116 Stimmen abgegeben, zwei davon waren Enthaltungen.
Foto: Philipp Horak für profil