Rotlicht ins Dunkel

Menschen des Jahres: Adele Neuhauser war erfrischend kaputt

Menschen des Jahres 2013. Adele Neuhauser war erfrischend kaputt

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Adele Neuhauser ist als Bibi Fellner so angenehm Anti-Maria-Furtwängler. Im Gegensatz zu der "Tatort“-Ermittlerin Charlotte Lindholm, deren Frisur immer sitzt und die auch seelisch dauersauber ist, säuft sie, schläft mit Strizzis, hat eine beschissene Kindheit im Handgepäck, wirft mit Kraftausdrücken um sich und kann mit der spaßgebremsten Vernunft ihres onkelhaften Vorgesetzten Moritz Eisner wenig anfangen. "Du hast doch ein Herz für kaputte Polizisten.“ - Mit diesen Worten drückte sie sich dem lebensmürben Chefinspektor 2011 erstmals "aufs Aug“. Sieben Mal hat die Neuhauser inzwischen dem Wiener Ermittlerteam als Beiwagerl von Harald Krassnitzer politisch unkorrektes Leben eingehaucht und dem vorher so behäbigen Geschehen mit ihrer asphaltgeprüften Unverblümtheit auch quotentechnisch auf die Sprünge geholfen. Die Blicke der Bibi Fellner erzählten dabei immer, dass ihr "nix, aber a gar nix Unmenschliches“ fremd ist, dass dieses Unmenschliche trotz aller Vertrautheit aber noch immer sehr weh tun kann.

Ihre Glanzleistung in der Disziplin unfrisierter Gefühlsechtheit legte die 54-jährige Halbgriechin in der Folge "Angezählt“ im vergangenen September hin, in der Zwangsprostitution, Menschenhandel und ein zwölfjähriger Mörder sowohl die Figur der Bibi Fellner als auch ihre Darstellerin an die äußersten emotionalen Grenzen und darüber hinaus führten. Neuhauser selbst war die Intensität der Geschichte so nahe gegangen, dass es ihr lange schwerfiel zu schlafen. Die Wahrhaftigkeit, mit der sie an der Brutalität der Halbwelt verzweifelte, wurde belohnt: Über zehn Millionen Zuschauer in Deutschland und Österreich verfolgten Neuhausers Undercover-Abstieg in den Rotlicht-Abgrund.

Ihre darstellerische Authentizität hat sie nicht an der Schauspielschule einstudiert. Sie wurde hart er- und buchstäblich überlebt. Mit entwaffnender Offenheit sprach Neuhauser in der "Bild“-Zeitung über die sechs Selbstmordversuche, die sie bis zu ihrem 21. Lebensjahr unternahm, und langwierige Depressionen, die sie nicht behandeln lassen wollte. Die Traurigkeit ihrer Figuren hat ein Echtheitszertifikat. Auch deshalb geht die Neuhauser so unter die Haut. Außerdem hat das Publikum die Nase gestrichen voll von toughen Sauberfrauen und fühlt sich bei ungeschminkt dysfunktionalen Protagonistinnen ungleich geborgener.

In den USA ist die Ära der TV-Außenseiterinnen mit Serien wie "Homeland“, "Weeds“ und "Nurse Jackie“ längst eingeläutet worden. "Die Idyllen sind eingekracht, die Welt ist aus den Fugen geraten“, schreibt die "New York Times“: "Diese kaputten Mittelstandsfrauen sind die Antwort auf unseren gesellschaftlichen Zustand.“ Wie gut, dass auch wir modern sind und Adele Neuhauser haben.

Die Menschen des Jahres 2013:

# Angela Merkel hielt den deutschen Haushalt sauber.

# Frank Stronach sorgte für Erheiterung

# Maria Fekter quasselte sich ins politische Out

# Marcel Hirscher bewies wieder einmal Zug zum Tor

# Matthias Strolz beflügelte den Wahlkampf mit Heilsleere

# Miley Cyrus wurde erwachsen. Oder auch nicht

# Monika Lindner begab sich ungeniert in die Politik

# Marcel Koller spielte den Boulevard schwindlig

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort