Michael Buchinger: "Ich glaube nichts, was ich auf YouTube höre"
profil: Die Berufsbezeichnung, die wohl am ehesten auf Sie zutrifft, ist Influencer. Buchinger: Ja, aber viele lehnen diesen Begriff ab. Ich habe auch nichts dagegen, wenn mich die Leute als Entertainer bezeichnen. Ich glaube nicht, dass ich die Leute beeinflusse. Aber wenn man jeden Tag etwas liefert, dann hat man schon einen gewissen Platz im Leben der Menschen.
profil: Sind Sie oft selbst überrascht über Ihre Reichweite? Buchinger: Ich versuche, mir nicht so viele Gedanken über meine eigenen Zahlen zu machen. Wenn 30 000 Leute etwas ansehen, das ich auf Instagram poste, finde ich das schon cool, aber ich begreife das nicht. So viele Menschen kenne ich ja gar nicht.
profil: Aber es ist ja auch eine große Verantwortung. Buchinger: Ja, das stimmt natürlich. Aber ich befasse mich mit Themen, die oberflächlicher nicht sein könnten. Ich sage den Leuten nicht, was sie wählen sollten. Nicht mehr.
profil: Haben Sie das einmal gemacht? Buchinger: Im Präsidentschaftswahlkampf, als Van der Bellen gegen Hofer antrat, war mir das natürlich sehr wichtig. Das mache ich jetzt nicht mehr. Ich kann die Leute schon dazu anregen, wählen zu gehen, aber ich will niemandem vorschreiben, was er zu wählen hat. Ich kann ja meine eigenen Überzeugungen haben und die Leute so entscheiden lassen, wie sie wollen.
profil: Glauben Sie, dass Sie selbst auch ein Vorbild sind? Buchinger: Nein, ich hoffe nicht. Ich habe in der Vergangenheit doch eher den leichtherzigen Umgang mit Alkohol und Schimpfwörtern gezeigt.
Ich würde ja auch nicht zu Armin Wolf hingehen und ihn um eine Umarmung bitten.
profil: Ihnen ist sicher bewusst, dass Sie eine größere Reichweite haben als Tageszeitungen. Warum ist das so? Buchinger: Vielleicht ist es dieses Persönliche. Ich merke das selbst bei Tageszeitungen. Da schaue ich natürlich rein, aber die meiste Zeit widme ich der Unterhaltung und dem Entertainment. Zeitungen sind auch weniger personengebunden. Man entwickelt zu einer Person eher eine emotionale Bindung als zu einer Zeitung. Ich mache das jetzt seit fast zehn Jahren und wenn da Leute dabei sind, die mich schon von Anfang an verfolgen, glauben sie oft, dass sie mich auch persönlich kennen und wollen eine Umarmung. Das ist mir schon teilweise unangenehm, ich würde ja auch nicht zu Armin Wolf hingehen und ihn um eine Umarmung bitten.
profil: Kennen Sie Ihre Zielgruppe? Buchinger: Ja, die besteht zu 80% aus Frauen, viele davon im Alter von 20 bis 28. Und 60% meiner Zuschauer sind aus Deutschland. Ich bin immer wieder überrascht, dass ich über die Grenze schwappe. Ich glaube, besonders in Bayern bin ich ein riesiger Hit.
profil: Wie haben Sie es geschafft, sich eine so große Reichweite aufzubauen? War das Zufall oder steckt da eine Strategie dahinter? Buchinger: Es war schon Zufall aber ich habe auch nicht aufgegeben. Ich habe das zwei oder drei Jahre sehr erfolglos gemacht, aber ich bin hartnäckig geblieben, obwohl es anfangs niemanden interessierte. Man muss das immer füttern, und wenn man nichts macht, merkt man, dass die Abonnenten immer weniger werden.
profil: Wie viel Zeit brauchen Sie, um ihre Online-Präsenz aufrechtzuerhalten? Wie viele Stunden in der Woche arbeiten Sie? Buchinger: Ich mache ein bis zwei Videos in der Woche. Pro Video brauche ich fünf Stunden. Je nach Auftragslage mache ich aber auch andere Dinge. Aktuell muss ich zum Beispiel mein Manuskript für mein zweites Buch abgeben. Ansonsten stehen auch Termine oder Mails an, aber jetzt im Sommer ist es eher ruhig, da besteht kein großes Interesse an Kooperationen. Zu Weihnachten ist das schon etwas anderes.
profil: Können Sie davon leben? Buchinger: Ja, das ist im Moment quasi mein Hauptberuf. Ich habe pro Jahr um die 20 Kooperationen. Die Leute glauben immer, dass man durch YouTube selbst viel Geld verdienen kann, aber das sind nur 300 Euro im Monat, die aus der Werbung vor den Videos kommt. Also in meine Größenordnung macht es schon wirklich Sinn, Kooperationen einzugehen. Aber wenn du ein großer YouTuber mit 500.000 Klicks pro Video bist, dann könntest du schon 3000 bis 4000 Euro im Monat verdienen.
profil: Liefert man sich YouTube nicht auch gewissermaßen aus? Es ist ja doch eher intransparent. Buchinger: Wie viel YouTube tatsächlich von meinen Werbeeinnahmen bekommt, weiß niemand. Es ist aber schon wahrscheinlich, dass sie wesentlich mehr als ich bekommen. Manchmal ist das schon undankbar. Weil ohne den Leuten, die YouTube machen, wäre die Plattform nichts.
profil: Sie sind nicht nur auf YouTube unterwegs, Sie haben schon ein Buch geschrieben und treten mit einem Kabarettprogramm auf. Buchinger: Das Kabarett und das Buch sind altmodischere und auch ehrlichere Methoden, Geld zu verdienen. Ich versuche wirklich, mich bei Kooperationen nicht zu verbiegen, aber das ist oft nicht einfach, deshalb genieße ich es, andere Einkommensquellen zu haben, die mir mehr Spielraum lassen.
profil: Gehen Sie an Kabarett und Buch sprachlich ähnlich heran wie an Ihren YouTube-Kanal? Buchinger: Es soll schon immer nach mir klingen. Die Leute glauben oft, es ist ein Kompliment, wenn sie zu mir sagen, dass ich so schreibe wie ich spreche. Aber eigentlich ist das eine Beleidigung, ich gebe mir ja Mühe, dass es ein bisschen schöner klingt.
profil: Was bringen sogenannte YouTuber-Netzwerke? Buchinger: YouTube-Netzwerke werden auch oft als eine Plattenagentur für YouTuber bezeichnet. Die Agentur sollte mir dabei helfen, bekannter zu werden. Man lernt dort zwar Vieles, ist aber auch vertraglich gebunden. Viele meiner Kooperationen sind dann über das Netzwerk gelaufen. Manche finden das sehr angenehm, aber ich habe es lieber selber in der Hand, wenn es um Budget-Verhandlungen geht.
profil: Bei welchem Netzwerk waren Sie? Buchinger:Ich war bei Studio71, das gehört zur ProSiebenSat.1-Gruppe. Es gibt sehr viele YouTuber, die gerne in die klassischen Medien wollen, und ich habe diese Nähe zum Fernsehen schön gefunden.
profil: Gibt es eine Art YouTube-Politik, nach der entschieden wird, welche Inhalte gefördert werden und welche nicht? Buchinger: Ja, das gibt es, und sie haben in letzter Zeit auch einige Dinge geändert, in Sachen Sexismus ist schon viel passiert. Es gab außerdem vor einem Jahr einen Aufschrei, dass Videos mit LGBTQ-Inhalt nur mehr ab 18 verfügbar waren. Ich finde es aber besonders im jungen Alter wichtig, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
Aber sind die Leute nicht selbst schuld, wenn sie sich ihre Nachrichten aus einem YouTube-Video holen? Ich persönlich glaube nichts, was ich auf YouTube höre.
profil: Finden Sie es nicht gefährlich, dass auf YouTube jeder einfach so Content veröffentlichen kann? Buchinger: Ja, und es öffnet natürlich die Tür für Fake News. Aber sind die Leute nicht selbst schuld, wenn sie sich ihre Nachrichten aus einem YouTube-Video holen? Ich persönlich glaube nichts, was ich auf YouTube höre. Wenn jemand Fakten bringt, frage ich nach einer Quelle und ich hoffe, dass dafür ein Bewusstsein entsteht.
profil: Wäre es nicht möglich, gewisse Richtlinien einzuführen? Buchinger: Es ist bereits gefinkelter, als man denkt. Es gibt einen Bildsensor, der Dinge wie Hakenkreuze erkennt. Auch Audiosensoren gibt es. YouTube wird eher von der Community reguliert. Wenn wirklich etwas nicht passt, wird das sofort jemand melden und dann muss es überprüft werden.
profil: Wird man als YouTuber von den klassischen Medien belächelt? Buchinger: Du wirst lange Zeit nicht ernst genommen. Aber sobald mein erstes Buch draußen war, waren die klassischen Medien ein bisschen netter und versuchen jetzt, sich ein bisschen anzukuscheln. Das finde ich auch in Ordnung, man muss mit der Zeit gehen.
profil: Haben Sie schon einmal einen Shitstorm erlebt? Buchinger: Wenn ich über Feminismus spreche oder Sexismus thematisiere, gibt es immer Twitter-Trolle oder Mitglieder der Antifeminismus-Community, die sagen „Was für ein verweichlichter Mann, der gerne eine Frau sein will“. Auch mit Hate-Kommentaren habe ich umzugehen gelernt. Ich bin in meinen Videos ja nicht zu hundert Prozent ich. Das ist alles überspitzt und überzogen. Wenn jemand kommentiert, er findet mich schlecht, dann trifft mich das nicht persönlich, weil es ja um meine Persona im Internet geht.
profil: Sie trennen also, wie Sie sich auf YouTube geben und wie Sie privat sind. Buchinger: Ja, ich entscheide ja auch, was ich veröffentliche. Und ich fühle mich nicht so, als würde ich zu viel preisgeben. Und natürlich wollen die Leute diesen Voyeurismus auch. Vielleicht sollte ich doch mehr preisgeben. profil: Haben Sie Verständnis dafür, wenn Eltern ihren Kindern den YouTube-Konsum verbieten? Buchinger: Zum Teil, aber ich glaube, dass die Eltern die falsche Herangehensweise haben. Sie sollen es nicht verbieten, sondern eher versuchen, es zu verstehen. Das wäre dasselbe, wie wenn man das Lesen verbieten würde. Du kannst einen brutalen Thriller lesen oder ein Buch, das bildet, und genauso kannst du ein YouTube-Video anschauen, das dir nur Blödes beibringt, du kannst aber auch sinnvolle Videos konsumieren. Ich glaube, dass das Verständnis nicht da ist, weil man nur von sexistischen, dummen YouTubern hört. Ich kann nachvollziehen, dass man das Kind davon fernhalten will, aber ich glaube, man muss verstehen, dass es nicht nur das ist.
profil: Wird YouTube in 30 Jahren noch relevant sein? Buchinger: Vielleicht nicht, weil ja jetzt auch Facebook und Instagram ihre eigenen Videodienste anbieten. Wenn es irgendwann eine attraktivere Alternative zu YouTube gäbe, würde ich auch dort hingehen.
Michael Buchinger, 25, kommt aus dem Burgenland und hat in Wien English and American Studies studiert. Seit 2009 betreibt er seinen YouTube-Kanal, der über 150.000 Abonnenten hat. Buchinger schreibt außerdem Kolumnen für die Magazine "Fauxfox", "Vangardist" und "Miss", hat ein Buch veröffentlicht und tritt mit einem Kabarettprogramm auf.