Millennials: Haustiere als Kinder-Ersatz
„Tiere sind die besseren Kinder. Sie schreien nicht, reden nicht zurück und sind billiger.“ So lautet ein beliebter Running-Gag unter – vorwiegend jungen – Hundebesitzern. Es ist aber kein Witz – sondern ein Satz, der den Zeitgeist trifft.
Millennials, also jene, die zwischen 1981 und 1995 geboren wurden, halten sich –rein statistisch gesehen – lieber Hunde und Katzen, als Kinder zu bekommen. Dies geht aus der jüngsten Umfrage der US-amerikanischen Konsumentenschutzplattform „Consumer Affairs“ hervor. „Die Sinnfindung vieler Millennials findet eher im Berufsleben und im Materialismus statt, nicht in der Familienplanung“, erklärt die Linzer Psychologin Sandra Wöss das Ergebnis der Studie. „Ein Kind bedeutet für viele, die Karriere auf Eis zu legen. Ein Hund lässt sich schlicht besser mit dem Beruf verbinden, da er eine Art Ablaufdatum hat.“
Die Umfrage verrät aber noch mehr: Gar 81 Prozent der Millennials gaben darin an, dass sie ihre Haustiere mehr lieben als mindestens ein (menschliches) Familienmitglied. 30 Prozent suchen körperliche Nähe lieber beim Tier, als mit dem eigenen Partner zu kuscheln.
Sogar Papst Franziskus stößt diese Entwicklung sauer auf. So kritisierte der Pontifex im vergangenen Jahr Paare, die keine oder nur ein Kind haben – dafür aber mehrere Haustiere. „Hunde und Katzen ersetzen Kinder“, ist sich das Oberhaupt der katholischen Kirche – und Vater keiner Kinder – sicher. Die Welt befände sich deshalb laut Franziskus in einem „demografischen Winter“. In Japan ist dieser „Winter“ schon länger akut. Und 2022 wurden dort erstmals mehr Haustiere registriert als Kinder geboren. Die Nachricht fiel mit dem Bekanntwerden einer neuen Berechnung zusammen, wonach das letzte japanische Kind bei gleichbleibender Entwicklung am 5. Mai 3011 geboren werden könnte.
Besorgter Pontifex
Papst Franziskus kritisiert jene Paare, die keine Kinder haben aber mehrere Haustiere.
In Österreich ist man von solchen Szenarien dann doch noch weiter entfernt. Die Zahl der registrierten Haustiere steigt allerdings stetig. Knapp 2,2 Millionen Hunde und Katzen gab es 2020 hierzulande, die meisten davon in Wien. Während der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Hunderegistrierungen um ein Viertel. Das TierQuarTier Wien bietet seit 2015 entlaufenen, ausgesetzten oder behördlich abgenommenen Haustieren ein Zuhause auf Zeit; vermittelt sie aber auch an Interessenten. „Speziell während der Pandemie achteten wir besonders darauf, ob das Interesse der Menschen an einem Haustier von Dauer ist“, erklärt Sprecherin Anna Putz. Im Coronajahr 2020 wurden im TierQuarTier über 1.300 Haustiere vermittelt, knapp fünf Prozent wurden wenig später wieder zurückgegeben. 2022 fanden sogar über 1.700 Tiere ein neues Zuhause, die Rückgabequote sank auf knapp drei Prozent.
Schmusender Therapeut
Die Anzahl der Singlehaushalte hat sich in Österreich seit den 1980er-Jahren beinahe verdoppelt. Jeder fünfte Millennial lebt laut Statistik Austria alleine. „Jeder Mensch braucht etwas, das ihm Sicherheit bietet, vor allem, wenn er alleine lebt“, erklärt die Psychologin Sandra Wöss den aktuellen Haustier-Boom. „Ein Hund wartet zu Hause voller Freude auf mich, leitet mich an, regelmäßig nach draußen zu gehen und gibt mir somit eine Aufgabe. Hunde sind keine Bedrohung, geben Geborgenheit und ich kann als Mensch über sie entscheiden und sie steuern.“
Aber Haustiere können noch mehr. Tiere, insbesondere Hunde, helfen im Rahmen von tiergestützten Therapien immer öfter bei Angst- oder Bindungsstörungen. Der Mensch baut beim Kontakt mit den Tieren das Stresshormon Cortisol ab und das Glückshormon Oxytocin wird ausgeschüttet. „Gerade in Scheidungsfamilien sind Hunde daher ideale Begleiter für Kinder, da die Vierbeiner Sicherheit bieten“, führt Wöss weiter aus.
Haustiere – vor allem Hunde – helfen auch beim Kontaktaufbau. „Ist der putzig!“ „Was ist das denn für eine Rasse?“ „Darf ich ihn mal streicheln?“ Sätze wie diese gehören für Hundebesitzer zum Standardrepertoire. „Besonders kontaktscheue Menschen werden durch das Gassi-Gehen aus ihrer Komfortzone geholt. Man kommt mit Fremden leichter ins Gespräch, das hilft gegen die Vereinsamung vor allem im urbanen Raum“, erklärt die Psychologin.
Den tierischen Therapeuten lässt man sich dafür auch etwas kosten. Hundehotels, Katzenpensionen, Tier-Boutiquen oder eigene Tagesstätten sind gefragter denn je, vor allem im städtischen Raum. In manchen „Hundekindergärten“ wartet man wochenlang auf freie Plätze. Ein Tag im Haustierhort kostet rund 50 Euro; Futter, Spaziergänge und eine eigene Kuscheldecke sind meist inklusive.
Österreichs Herrchen und Frauchen geben laut Statistik Austria im Schnitt knapp 80 Euro im Monat für ihre Haustiere aus. Die Zahl jener, die monatlich mehr als 100 Euro für ihre Tiere ausgeben, hat sich in der letzten Dekade sogar vervierfacht. Das meiste wird dabei für Futter, tierärztliche Behandlungen und Spielzeuge ausgegeben. Letzteres wird von der Wiener Hundetrainerin Conny Sporrer auch kritisch gesehen: „Wir kaufen handgenähte, teure Spielzeuge für unsere Hunde und drapieren sie im Körbchen. Aber in Wahrheit sind diese Dinge aus Hundesicht einfach nur Beute, keine Kuscheltiere.“ An den Bedürfnissen eines Hundes gehe dies völlig vorbei.
(Tier-)Liebe als Laster
„Großzügige Betüdelei ist absolut falsch“, erläutert Sporrer einen grundlegenden Erziehungsfehler. „Der Hund sieht seinen Menschen dann eher als unreifen Welpen an und nicht als souveräne Führungskraft. Das sorgt oft für Probleme im Alltag, weil der Hund sich für vieles verantwortlich fühlt.“ Bei Hunden seien klare Grenzen und Regeln wichtig, damit sie wissen, wer im Haushalt die Entscheidungen treffe.
Früher wurden Hunde gezüchtet, um gewisse Aufgaben zu erfüllen; um zu wachen, zu hüten oder zu jagen. Heute sind sie in den meisten Fällen nur mehr Familienhund, Accessoire für Social-Media-Postings, oft einfach nur Kuscheltier. Die angezüchteten Aufgaben, wie zum Beispiel bei Hirten- oder Jagdhunden, schlummern trotzdem weiter in ihnen. „Das große Problem liegt darin, dass diese Hunde dann falsch oder gar nicht beschäftigt werden“, warnt die Hundetrainerin. Das heiße nicht, dass man einem Hütehund eine eigene Schafherde besorgen muss, „aber es braucht das Bewusstsein in der Erziehung, dass es sich dabei oft um Hochleistungshunde handelt, die geistig und körperlich beschäftigt werden müssen.“
Hotel statt Hof
Die Hundetrainerin sieht einen wichtigen Grund für den Haustierboom bei Millennials vor allem in einer gesellschaftlichen Entwicklung. „Hunde wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu vollwertigen Familienmitgliedern. Aber auch die Gesellschaft öffnete sich.“ So können Hunde inzwischen problemlos in viele Restaurants, Hotels oder Büros mitgenommen werden, und auch im urbanen Raum wurde für Hunde mehr Platz und Akzeptanz geschaffen. Allein in Wien gibt es über 200 Hundeparks mit einer Gesamtfläche von einer Million Quadratmetern.
Millennials stehen statistisch gesehen gesellschaftlichen Veränderungen offener gegenüber als andere Generationen, deshalb ist wohl auch ihre Akzeptanz für Tiere im urbanen Raum größer. Und sollte sich die Gruppe der heute 28- bis 41-Jährigen doch noch irgendwann den Kinderwunsch erfüllen, haben sie sich mit ihren Haustieren zumindest ein paar rudimentäre elterliche Fähigkeiten angeeignet – und können dann aus erster Hand urteilen, ob Hunde tatsächlich die besseren Kinder sind.