„Die Trophäenfrau ist der Fetisch“

Barbara Vinken: „Die Trophäenfrau ist der Fetisch“

Interview. Modetheoretikerin Barbara Vinken über Trophäenfrauen und Fashion-Aristokratie

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Interview: Thomas Edlinger

profil: Kaiserin Sisi hat zuletzt gern Schwarz getragen. Ist Ihnen der Witwen-Style sympathisch?
Barbara Vinken: Sehr. Nichts ist schöner als Trauer zu tragen. Außerdem nahm sie den Schwarz-Boom schon vorweg, der später über Europa zusammenschlagen sollte. Denken Sie an Baudelaires trauertragende Passantin.

profil: Wie sieht ein gut angezogener Mann aus?
Vinken: Männer sollen, sagt der bürgerliche Code, nicht schön, reizend oder üppig, sondern korrekt gekleidet sein. Adolf Loos hat einmal definiert, dass ein gut angezogener Mann nicht ins Auge sticht, sich unauffällig in den tonangebenden Kreisen bewegen kann. Mir gefallen eher Männer, die ihre Reize ins rechte Licht rücken.

profil: Das klingt bei Loos so, als sollte die männliche Mode dem modernen Designimperativ „Form follows function“ folgen.
Vinken: Der Anzug ist die Ikone der modernen Ästhetik. Die männlichen Mode inkarniert die Werte der Bourgeoisie . Man hängt sein Fähnlein, charakterstark, nicht nach dem Wind und hat, in höherer Mission unterwegs, keinen Moment, sich mit dem frivol overflächlichen Schein abzugeben. Zeit, das zu ändern. Die Frauenmode hingegen ist ein postfeudaler Überhang. Deshalb war die Utopie der Moderne eine Modedämmerung. Dazu ist es nicht gekommen. Die postmoderne Ästhetik hat auf ganzer Linie gesiegt.

profil: Die feministische Kritik an der Mode beklagt den Zwang der Frau, für den Blick des Mannes schön zu sein.
Vinken: Ja, es gibt diesen düsteren Blick auf die Mode: die Trophäenfrau als der Fetisch, mit dem der Mann sich schmückt. Eine Art Superdildo, mit dem man spazieren geht. Man kann die Entwicklung der Mode in der Moderne aber auch als Souverän-Werden der Frau sehen. Kühn weist sie einen nicht nur schönen, sondern auch einen fähigen Körper. Deshalb werden auch so viele Militärzitate übernommen. Frauen wie Marlene Dietrich oder Angelina Jolie sind nicht Objekt des männlichen Blicks, sie stechen mit einer ostentativen Körpersprache ins Auge.

profil: Die Exzentrik der weiblichen Mode wird oft für narzisstisch gehalten. Sie drehen das Verhältnis der Geschlechter um: Nicht der große Damenauftritt sei narzisstisch, sondern das Verstecken der Männer hinter der Maske des Anzugs. Warum?
Vinken: Die männliche Uniformierung hat zwei Vorteile. Erstens ermöglicht sie die Illusion des authentischen Subjekts, das den Schmuck und die Verkleidung nicht braucht und den Geistesmenschen zeigt. Narzistisch will man ohne Rücksicht auf Verluste um seiner authentischen inneren Werte willen anerkannt werden. Zweitens gewinnt der Mann eine Form von faker Transzendenz. Der Körper wird in die Körperschaften eingeschmolzen – ehemals in den Talaren an der Uni, heutzutage in den Anzügen der Frankfurter Banker. Männer ziehen sich für das Amt an, das sie bekleiden. Der Amtskörper lebt über den individuellen Körper hinaus – alles ein Konstrukt, der Realität der eigenen Sterblichkeit ins Auge zu sehen. Schlechte Säkularisation.

profil: Wie gehen Sie als Professorin mit Ihrem Amtskörper um?
Vinken: Als Frau habe ich schlicht keinen. Und das ist gut so.

profil: Welche männliche Kleidung finden Sie gut?
Vinken: Den Hipster-Anzug mit engen Formen und nackten Fußfesseln. Darin wird der Mann zu einer Arabeske.

profil: Suchen ausgerechnet die trendigen Hipster-Outfits den Anschluss an vormoderne Mode?
Vinken: Ja. Denn der Bürger zieht sich in Opposition zum Aristokraten an. Der Aristokrat trägt Farben, Federn und Spitzen. Körperbetont zeigt er sein schlankes Bein. Ludwig XIV hatte die durchtrainierten Beine eines Balletttänzers. Die skinny Jeans der Hipster nehmen das auf.

profil: Jeans gelten als das wichtigste Unisex-Kleidungsstück der letzten 70 Jahre. Wie haben sie eine solche Karriere gemacht?
Vinken: Die Jeans erlaubten es Männern wieder, Geschlecht und Po zumindest ein bisschen zu zeigen. Frauen-Jeans hingegen waren wahnsinnig eng. In meiner Jugend setze man sich mit Jeans in eine heiße Badewanne, damit die Jeans sich dem Körper wie angegossen anpaßt.

profil: Gibt es dann so etwas wie Unisex-Mode?
Vinken: Wishful thinking. Gab es nie. Zwar hat Coco Chanel gesagt, dass sie in ihrem ganzen Leben nichts anderes getan habe als die männliche Mode in die weibliche zu übertragen. Tatsächlich hat sie das bestimmende Prinzip der Männermode, das Verschleifen nämlich der Körperumrisse und das Einschmilzen in einen Kollektivkörper, nicht übernommen. Vielmehr wird die erotische männliche Zone – Beine und Po – in die Damenmode übertragen. Die sogenannte Unisex-Mode betreibt die Hypererotisierung der Frau und verschärft damit den Gegensatz moderner Mode, die markierte Sexualität mit weiblich und unmarkierte mit männlich gleichzusetzt.

profil: Gibt es nicht auch Importe weiblicher Formen in die Männermode, etwa die Männerröcke?
Vinken: Diese Röcke kommen alle aus der männlichen Kriegertradition. Die japanischen Krieger und natürlich die jakobinitischen Schotten trugen Röcke. Aber im heutigen Kontext gelten sie als weiblich, setzen sich deshalb nicht durch, werden nur als Gag auf Modeschauen eingesetzt.

profil: Man könnte meinen, modern und modisch sei praktisch das Gleiche. Sie behaupten in Ihrem neuen Buch, die Mode sei das Andere der Moderne. Wie das?
Vinken: Für viele Kommentatoren gibt es nur eine moderne Mode – die männliche. Aber die Männermode ist eigentlich gar nicht modisch, sondern der Mode gegenüber indifferent. In ihrer Verpflichtung auf „Less is more“ und ihrer Zurückweisung des Ornamentalen hat sie sich die weibliche Mode als eine Art orientalische Kolonie in ihrem Inneren gehalten, eingeschlossen ausgeschlossen Die Frauenmode ist bis heute anachronistisch. Sie macht Anleihen aus allen Erdteilen und allen Epochen.

profil: Das heißt, sie war schon postmodern, ehe es das Wort gab?
Vinken: Ja. Denn ihre Zitate sind oft trashig und entstellend. Sie sollen ja nicht so aussehen, als sei ich wirklich eine russische Prinzessin am Zarenhof. Seit dem Beginn der Moderne begleitet der Schatten der Postmoderne die Mode.

profil: Die Kleidung von Angela Merkel kritischer beäugt als jene ihrer Amtsvorgänger. Ist die Bundeskanzlerin modisch modern?
Vinken: Das protestantische Deutschland ist der Mode gegenüber extrem intolerant, will ihr in der Öffentlichkeit keinen Platz einräumen. Merkel hat Weiblichkeit in Pragmatik aufgelöst. So ist es ihr gelungen, sich dieses deutsche Problem vom Leib zu halten.

profil: Wie selbstkritisch kann Mode heute sein?
Vinken: Coco Chanel hat nicht nur durch Übertragung einer militaristischen Uniform das Chanel-Kostüm erfunden, sondern auch Baumwolljersey, das Material der Matrosen, in die Haute Couture integriert. Das ist eine Dissonanz, eine Überschreitung von Klassen- und Repräsentationsgrenzen, eine Kollision von Chic und Arm. Schon in den 1980er-Jahren reflektierten Avantgarde-Modemacher die Zeit selbst, verpflichteten sich nicht mehr auf das Neue und den schnellen Wechsel. Die Kleider zeigten den Verschleiß, eine Idee, der nun über die Recycling-Mode in den Mainstream einsickert. Rei Kawakubo hat für Comme des Garcons Kinderkleider in Erwachsenenkostüme eingenäht, der Designer Martin Margiela hat alte, am Flohmarkt gefundene Kleider nachgeschneidert und seinen Produkten so die Vergänglichkeit eingeschrieben.

profil: Die Läden großer Ketten sind von Designern, aber auch von Straßentrends inspiriert. Ist die Mode demokratischer geworden?
Vinken: Ja, und gut so. Die Kehrseite von billiger, zugänglicher Mode und globalisierter Produktion ist aber, dass wir Europäer die Ausbeutung in die sogenannte Dritte Welt ausgelagert haben. Wir genießen die Privilegien, die früher der Adel hatte.

Infobox

Fleischbeschau
Die Moderne kehrte die Geschlechterverhältnisse um: War bis zur Französischen Revolution der Mann das schöne Geschlecht, die Beine in sexy Strümpfe gezwängt und eine protzige „Schamkapsel“ um die Mitte, verbannte der nüchterne Anzug die Herren in die Ecke des Anti-Modischen. Es entstand ein Paradoxon, an dem sich jegliche Frauenmode nach wie vor abarbeiten muss: „Vergeistigt die männliche Mode den Leib, dann ist die weibliche eine einzige Fleischbeschau.“ Entlang dieses Grabens erzählt Barbara Vinken in „Angezogen“ so eloquent wie kurzweilig ihre Version einer Geschichte der Mode der Neuzeit. Freilich ist für Vinken, die einen reichlich bourgeoisen und heteronormativen Blick auf die Modewelt legt, „Funktionskleidung“ in seiner „ätzend öden Pseudofunktionalität“ ein Albtraum, HipHop-Fashion ebenso uninteressant wie Streetwear, Unisex ein Konstrukt, das nicht funktioniert, und Paris noch immer das Zentrum der Welt. Karin Cerny

Barbara Vinken: Angezogen. Das Geheimnis der Mode.
Klett-Cotta. 255 S., EUR 20,50