profil-Morgenpost: Let it be
Was man nicht sagen darf, darüber muss man schweigen. Außer natürlich, man sagt es trotzdem. Wäre Ludwig Wittgenstein nicht völlig frei von metaphysischen Ambitionen vor 68 Jahren einer Krebserkrankung erlegen, er würde sich glatt im Grab umdrehen angesichts der heutzutage gängigen Streit- und Debattenkultur. Ständig fragt sich jeder laut und deutlich, was man denn eigentlich noch sagen dürfe – und schon ist es gesagt. Unlogisch ist ja gar kein Ausdruck.
Auch deshalb haben wir uns für die aktuelle Ausgabe des profil ein oder zwei Gedanken darüber gemacht, was das eigentlich ist, die politische Korrektheit: Wichtige Strategie im Kampf um die Gleichberechtigung aller Menschen? Ärgerliches Hindernis für klare Worte? Aufgelegter Elfmeter für Populisten aller Art? Nebenschauplatz oder zentrales Thema? Auch in der Redaktion von profil werden diese Fragen nicht einstimmig beantwortet. Wir finden ja, dass das ganz gut so ist. So lange wir darüber reden können.
Bei allen Fortschritten gilt es allerdings immer zu bedenken: Die Welt ist im Grunde veränderungsresistent. Auch die aktuellen Umfragewerte bilden da keine Ausnahmen. Selbst der turbulenteste August der jüngeren innenpolitischen Geschichte brachte keine wesentlichen Veränderungen: Türkis haushoch vorne, FPÖ und SPÖ quasi gleichauf sehr deutlich dahinter, Grün und Pink und Grau noch wesentlich deutlicher. SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner beschwört in diesem Zusammenhang ja gern die Relativität der Zeit: Im Wahlkampf seien fünf, sechs Wochen eine Ewigkeit (und also Zeit genug für eine sozialdemokratische Aufholjagd). Dazu noch ein kleiner Lesetipp: Angelika Hagers Interview mit dem deutschen Zeitforscher Karlheinz Geißler.
Zentraler Satz: „Wir müssen verzichten lernen, ignorieren, auslassen, übersehen. Mehr Let-it-be-Listen anstelle von To-do-Listen.“
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen einen zeit- und geistreichen Tag!
Sebastian Hofer