Gesellschaft

„Muschi, Muschi. Warum darf man das nicht mehr sagen?“

Gérard Depardieu, 76, inszenierte sich bei seinem Pariser Prozess wegen sexueller Übergriffe als Märtyrer, erkannte aber auch, „dass meine Zeit vorbei ist“. Die Staatsanwaltschaft fordert 18 Monate Bewährungsstrafe und 20.000 Euro.

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In einem unachtsamen Moment scheint Gérard Depardieu am ersten Tag seines Prozesses, am Montag, dem 24. März, vergessen zu haben, dass er für seinen Einzug in die Medien-Manege die Rolle des Invaliden gewählt hat. Denn ein paar Schritte kann er dann doch offensichtlich schmerzfrei und ohne die Hilfe seines wie immer perfekt pomadisierten Anwalts Maître Jérémie Assous absolvieren. „Schämen Sie sich?“ oder „Wie geht es Ihnen, Monsieur Depardieu?“ rufen ein paar Journalisten. Der um mehr als 20 Kilo leichtere und sichtlich angeschlagene Depardieu ignoriert die erste Frage und antwortet dann ungewohnt handzahm: „Danke der Nachfrage. Ich habe Schmerzen im Knie.“

Vor dem Pariser Gerichtsgebäude haben sich, wie schon bei dem Prozessauftakt im Oktober, zahlreiche Demonstrantinnen versammelt, die Schilder mit Depardieu-Zitaten wie „Gefällt dir das, meine Schlampe?“ oder Parolen wie „130 Kilo hundertprozentiges Schweinefleisch“ tragen. Erstmals war es in der langen Geschichte der sexuellen und verbalen Entgleisungen des französischen Superstars zu einer tatsächlichen Anklage gekommen. Vorangegangene Versuche von anderen Frauen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, waren aus Mangel an Beweisen oder wegen abgelaufener Verjährungsfristen abgeschmettert worden.

Auf der Klägerinnen-Seite stehen zwei Filmschaffende: die Setdesignerin Amélie Kyndt, 54 Jahre, und eine anonym verbleiben wollende Regieassistentin, 33, die in den Medien unter dem Pseudonym „Sarah“ rangiert. Sie verklagten Depardieu wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und verbaler Obszönitäten, die im Zuge der Dreharbeiten zu der Simenon-Verfilmung „Les volets verts“ (auf Deutsch: Die grünen Fensterläden) in der Regie von Jean Becker im Jahr 2021 stattgefunden haben sollen. Im Höchstfall drohen Depardieu fünf Jahre Haft. Aber, so sind sich die französischen Leitmedien nahezu einig, das wird in der Causa Depardieu nicht der einzige Prozess bleiben. Ermutigt durch die couragierten Klägerinnen und im #MeToo-Aufwind werden möglicherweise auch andere den Mut finden, ihre Traumata mit dem Star publik zu machen. Schon 2018 hatte ihn die Schauspielerin Charlotte Arnould wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt, bislang ohne weitere Konsequenzen.

Angelika Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort