Im Pariser Gerichtssaal wurde ein eigens konstruierter Holzkubus für den Angeklagten aufgestellt, der dem an Diabetes, Herzproblemen und Angststörungen leidenden Filmstar (aus diesen medizinischen Gründen war er dem ersten Prozesstermin im Oktober fern geblieben) das Sitzen erleichtern soll. Von dort aus erklärte er am Mittwochabend nach neunstündiger Verhandlung dem Richter, dass er „die Frauen liebe und die Weiblichkeit verehre“. Von dort aus polterte er auch mit Rechtfertigungstiraden wie: „Glauben Sie tatsächlich, dass ich mich wie einer dieser Grabscher, die sich an Frauen in der U-Bahn reiben, benehmen muss?“ Zusatz: „Schließlich bin ich nicht Émile Louis.“ Eine denkwürdige Ergänzung, die tief blicken lässt, denn Louis ist ein inzwischen verstorbener Busfahrer, der verdächtigt wurde, aber nie überführt werden konnte, sieben junge Frauen ermordet zu haben.
Obszönes Geschwafel
Dass Depardieu, der in den letzten Jahrzehnten nicht nur wegen sexueller Aggressionen und Übergriffe, sondern auch wegen Urinieren in Flugzeuggängen, Steuerhinterziehung, Bruderküssen mit Putin und Führerscheinabnahmen wegen Trunkenheit Schlagzeilen gemacht hat, wenig Einsicht zeigt und die Zeichen der Zeit negiert, bezeugen seine Aussagen am vergangenen Mittwoch und Donnerstag. Einmal brüllt er den Vorsitzenden Richter sogar an: „Muschi. Muschi. Muschi. Warum darf man das eigentlich nicht mehr sagen?“ Dann renkt er wieder ein: „Ich glaube, meine Zeit ist abgelaufen, ich bin ein aus der Zeit gefallener Mann.“ Oder: „Ich gebe zu, dass meine Worte oft etwas hart gewählt sind.“ Klapse auf diverse Hintern seien doch bitte nicht als sexuell übergriffig zu werten: „Ich mache das auch, um die Stimmung zu lockern.“
„Ich bin heute Morgen nicht aufgewacht und habe mir gedacht, heute werde ich Depardieu fertigmachen“, erklärt Amélie Kyndt vor der Saaltür einem TV-Journalisten: „Das ist für mich alles andere als amüsant. Aber es muss etwas getan werden.“
„Wir mussten uns von morgens bis abends Schweinereien anhören“, berichtet die Schauspielerin Anouk Grinberg, die ebenfalls in dem Film mitwirkte und im Zuge des Prozesses auch in den Zeugenstand gerufen wurde: „Angeblich gab es eine Referentin auf dem Set, die dafür abgestellt war, sexuelle Angriffe zu verhindern. Nur: Ich habe die nie gesehen, wenn er von Pussys und Schwänzen schwafelte. Sie hat sich bei uns auch nie vorgestellt.“
Kein Mensch habe es bis jetzt gewagt, „das heilige Monster Depardieu“ infrage zu stellen. „Der Mann wurde von der gesamten Branche gedeckt.“ Es sei in der französischen Filmindustrie ein offenes Geheimnis, dass man mit Depardieu auch „einen offensiven sexuellen Gewalttäter“ engagiere. Grinberg hoffe sehr, dass diese Schonfrist endlich zu einem Ende kommen werde. „Er hatte alle Rechte, er konnte sich alles erlauben“, so die langjährige Chefreporterin von „Le Monde“ Raphaëlle Bacqué, Autorin des Buchs „Une affaire très française“, einer Täterchronik über Depardieu: „Er segelte unter der Flagge des Genies, alle Skandale wurden erstickt, alle Vorfälle unter dem Nimbus eines Kavalierdelikts verharmlost.“
Justiz der Privilegierten
Die Starmacht des ehemaligen Strichers und Sohnes von Analphabeten, der mit mehr als 200 Filmen zu einer Art französischem Nationalheiligtum avancierte, machte ihn jahrzehntelang unberührbar; mit Depardieu auf der Besetzungsliste flossen die Geldmittel der Investoren garantiert in die Taschen der Produzenten.
Die restlichen Prozesstage der vergangenen Woche humpelte Depardieu wieder, die Hand auf der Schulter seines muskelgestählten baumlangen Bodyguards, in den Saal, wo ein Prozess ausgetragen wurde, der vielen als der eigentliche Auftakt der #MeToo-Bewegung in Frankreich gilt. „Endlich ist Frankreich aufgewacht“, lobte Nicole Kidman aus Übersee und tadelte gleichzeitig die mehrjährige Verspätung, denn bislang haben sämtliche ins Visier geratene Täter wie die Regisseure Roman Polański, Jacques Doillon, André Techiné oder Benoît Jacquot in Frankreich die Missbrauchsvorwürfe unbeschadet überstanden.
Ob dem Mann, „der nicht einmal mehr gehen kann“ (so Depardieu über sich selbst), eine prominente Fürsprecherin wie Fanny Ardant bei der Staatsanwaltschaft geholfen hat? Im Styling einer französischen Pensionatsvorsteherin in schwarzem Samt und weißem Krägelchen hatte die französische Starschauspielerin, die auch in der Simenon-Verfilmung mitspielte, mit flammenden Worten ihren Kollegen und Freund verteidigt: „Ja, Gérard hat eine große Klappe. Ja, er sagt manchmal Grobheiten. Aber Gérard hat immer auch gegeben wie ein Vulkan. Er ist Künstler und kein Diener. Und ich weiß aus eigener Erfahrung: Man kann nein zu Gérard sagen, und er akzeptiert das auch.“ Nun, ganz offensichtlich nicht bei allen. Die Strafforderung der Staatsanwaltschaft fiel allerdings erstaunlich mild aus: 18 Monate bedingte Haftstrafe, 20.000 Euro Strafe, verpflichtende Psychotherapie. Das endgültige Urteil wird in ein paar Monaten erwartet. Die Opferanwältin Carine Durrieu-Diebolt erklärte resigniert: „Das hier ist die Justiz der Privilegierten, bei der man das Gericht ermüdet …“