Muttertag: "Die ideale Mutter ist eine Utopie"

Was Christine Nöstlinger, Alice Schwarzer und andere kluge Frauen zum Thema Mutterliebe, Kindererziehung und Überforderung in profil-Interviews sagten. Ein Best-of-Clever zum Muttertag.

Drucken

Schriftgröße

JANE GOODALL, britische Wissenschaftlerin, sie revolutionierte durch ihr Leben mit Schimpansen die Verhaltensforschung, Mutter eines Sohns.

WARUM SOLLTEN KINDER MIT ZWEI NICHT IN FREMDBETREUUNG?

"Ich bin eine vehemente Gegnerin von Kinderkrippen und Krabbelstuben. Kinder sollten nicht in ihren ersten zwei Jahren in solche Institutionen abgeschoben werden. Dort wechselt das Personal ständig, und die Leute sind oft nicht gut ausgebildet. Ich habe jedoch nie gesagt, dass Frauen wegen ihrer Mutterschaft den Beruf aufgeben sollen.Das Wichtigste ist Kontinuität. Als Bezugspersonen können Tanten, Nannies, Großmütter, auch angemietete, dienen. Es gibt genug alte Menschen, die dringend Aufgaben und Sinnstiftung in ihrem Leben brauchen. Sie dürfen in dieser Phase, in der das Urvertrauen des Kindes gebildet wird, nur nicht ausgewechselt werden. Nachweislich haben Kinder mit früh wechselnden Bezugspersonen später größere Schwierigkeiten, konstante Beziehungen zu führen. Jeden Morgen, wenn die Mutter zur Arbeit geht, sollte dieselbe Person bei der Tür hereinkommen."

WIE HAT SIE AFFEN UND KIND VEREINBART?

"Ich brachte mit 33 Jahren meinen Sohn Hugo zur Welt. Hugo „Grub“, sein Spitzname bedeutet Buschbaby, war von Anfang an mit in Tansania. Am Vormittag ging ich zu meinen Schimpansen, da war er mit seiner afrikanischen Nanny. Den Nachmittag habe ich mit ihm verbracht. Das war klar geregelt. Später haben wir es mit Hauslehrern probiert. Das lief nicht so gut. Dann habe ich ihn nach England zu meiner wunderbaren Mutter geschickt. Dort besuchte er dann eine normale Schule. Das lief leider auch nicht so gut. Mein damaliger Ehemann Hugo van Lawick (Fotograf für „National Geographic“, Anm.), konnte zumindest Windeln wechseln, was damals schon progressiv war. Menschen- und Schimpansenväter teilen sich eine Urangst: Sie können nie ganz sicher sein, dass das Kind auch von ihnen stammt. Deswegen können sie zu einem Kind auch nie diese emotionale Bindung entwickeln, die eine Mutter hat. Bei den Schimpansen ist der Vater überhaupt nicht wichtig. Die Männchen passen auf das gesamte Rudel auf, kontrollieren die Grenzen, erweitern sie auch und schnappen sich Weibchen aus dem Nachbarrevier."

ORNA DONATH, israelische Soziologin, die die Debatte #regrettingmotherhood# intierte:

Bereuen Alleinerzieherinnen mehr, als Mütter, die in einer Beziehung sind?

"Ich kann und will Unzufriedenheit nicht messen oder vergleichen. Was ich aber sehr wohl weiß, ist, dass es Mütter gibt, die auch trotz eines sehr engagierten Vaters an ihrer Seite, bereuen."

Die jüdische Mutter, die ihre Kinder nicht loslassen kann,ist fixer Bestandteil vieler jüdischen Witze. Existiert sie?

"Jede Gesellschaft und Kultur hat ihre Form von „jewish mother”. Denken Sie nur an die Helicopter-Mütter, die wollen auch die Leben ihrer Kinder unter totaler Kontrolle haben."

Beobachten Sie einen Backlash - in der Form, dass Frauen wieder verstärkt in Traditionskonzepten Mutter sein wollen?

"Meine utopische Sehnsucht ist, dass Mütter, die kein Berufsleben haben, nicht als Backlash-Phänomen betrachtet werden. Sie sollten das Recht haben, „nur “ Mütter sein zu dürfen, wenn sie das so wollen und sie es sich leisten können. Ich wünsche mir, dass diese Frauen von der Gesellschaft nicht als Enttäuschung abgetan werden. Mein großes Ziel ist, dass Frauen die Besitzerinnen ihres Körpers, ihrer Leben, Gedanken und Gefühle sind."

CHRISTINE NÖSTLINGER, Schriftstellerin, Mutter zweier Töchter. Sie verfasste an die 150 Kinder- und Jugendbücher, die in 20 Sprachen übersetzt wurden.

ÜBER DAS MATRIACHAT IM HAUSE NÖSTLINGER:

„Mein zweiter Mann (Anm.: der Journalist Ernst Nöstlinger) hat sich gerne als der Hüter der Kinder aufgespielt, die vor mir beschützt gehörten, aber wenn die Scheiße am Dampfen war, hat er nur gefragt: „Christerl, was wirst du jetzt machen?“ Er hat die Rolle des guten Onkels in der Familie übernommen. Meinen ersten Mann hat sein Kind überhaupt nicht interessiert. Aber der hatte generell ein großes Problem mit Nähe.

WIE SOLL MAN KINDER ERZIEHEN?

„Gar nicht. Ich habe mich nur manchmal zur Wehr gesetzt. Es sind dabei zwei herrliche Weiber entstanden. Als ich mit 21 die Barbara bekommen hatte, hat mich viel eher beschäftigt, wie ich noch etwas erleben kann. Unsere älteste, die Barbara, hat meinen Mann und mich später links überholt. Für die waren wir Büttel der Bourgeoisie. Natürlich war man insgeheim stolz, eine so linke Tochter zu haben. Die jüngere, die Christine, hingegen war eher romantisch veranlagt. Die hat das alles nicht interessiert. Sie las Hesse und malte ihr Zimmer mit hellblauen Wölkchen aus. Man muss Kinder einfach lassen. ”

ÜBER DIE NEUE ELTERNHYSTERIE:

„Ich wundere mich, wie überfordert manche Eltern von einem einzigen Kind sind. Allein schon dieses Theater im Kindergarten! Vier Wochen lang muss die Mutter eine Stunde täglich mitgehen, dann zwei Wochen in der Garderobe sitzen, damit sie hineinspringen kann, und wenn einmal der Vater statt ihr kommt, gibt es eine Rüge von der Kindergärtnerin, dass die Bezugsperson immer dieselbe sein sollte.Das hat wahrscheinlich mit den heute vergleichsweise alten Eltern zu tun. Ich finde es doch eigenartig, wenn Frauen erst mit 40, 41 ihr erstes Kind bekommen. Das ist natürlich auch charakteristisch für eine gewisse Einkommensschicht."

ELISABETH BADINTER, französische Philosophin, Autorin, Schülerin Simone de Beauvoirs und dreifache Mutter:

ÜBER IHR PERSÖNLICHES DOPPELBELASTUNGS-MANAGEMENT:

"Als Universitätsprofessorin für Philosophie habe ich meine Stundenpläne an jene meiner Kinder angepasst. Und was werfen sie mir heute, über 40 Jahre später, vor? „Immer wenn wir nach Hause gekommen sind, warst du schon da!“ Es liegt im Wesen der Mütter, dass sie immer zu viel sind – entweder zu viel da oder zu viel weg. Ich war mit Sicherheit eine mittelmäßige Mutter. Ich habe mich oft geirrt, wollte natürlich, dass meine Kinder glücklich sind, habe ihnen aber nicht meinen Hedonismus gänzlich geopfert. Mein Mann war so nett und ist manchmal am Wochenende mit den Kindern verreist, damit ich mich ausruhen konnte."

BRAUCHT DAS KIND DIE MUTTER IM ERSTEN JAHR BESONDERS?

"Sigmund Freud und die Psychoanalyse erklärten die Mutter zur Hauptverantwortlichen für das Glück ihres Kindes – und schlossen sie damit aus der Erwerbstätigkeit aus. Es ist belegbar, dass es unter den Kindern, die Vollzeitmütter hatten, nicht weniger Neurotiker, Versager, Unglückliche und Kriminelle gibt. Das sieht man auch in Deutschland, wo die Frau in ihrer Funktion als Mutter viel präsenter war und ist als bei uns. Und ich möchte nicht wissen, was später mit diesen Knaben passiert, die noch als Kleinkind von ihren Müttern die Brust bekommen haben. Die ideale Mutter mit dem perfekten Kind – das ist eine gesellschaftliche Utopie, von der wir uns verabschieden müssen."

ALICE SCHWARZER, deutsche Autorin, Herausgeberin & Journalistin, Pionierin des deutschsprachigen Feminismus:

ÜBER DEN TYP SONNTAGSMUTTER:

„Ich hatte schon Namen und Pläne für ein Kind, denn in meiner Generation war es eigentlich ganz selbstverständlich, Mutter zu werden. Doch als sie sah, unter welchen Bedingungen Frauen Mütter werden, entschloss ich mich zu einer Existenz als Sonntagsmutter."

ÜBER VERLORENE ILLUSIONEN:

„Anfang der Siebziger kam die Frauenbewegung, die redete Tacheles und gab die Losung aus: Wir wollen alles! Okay - aber wir können nur dann die Hälfte der Welt und des Himmels erobern, wenn die Männer die Hälfte des Hauses übernehmen. Und das ist bisher leider nicht geschehen - was ich, unter uns gesagt, auch verstehen kann: Wer gibt seine Privilegien schon freiwillig ab? Man schafft 5000 Jahre Patriarchat nicht in 30 Jahren ab. Darüber haben die jüngeren Frauen sich leider Illusionen gemacht, und jetzt sitzen sie wieder in der Falle: in der Falle der 80-Stunden-Woche. Wir haben es jetzt mit einer dauererschöpften Generation zu tun.”

LESEN SIE DIE AKTUELLE COVERGESCHICHTE IN DER PRINTAUSGABE ZUM THEMA: „MAMA NICHT LIEB” – ANGELIKA HAGER ÜBER DAS IDEOLOGISCHE TRETMINENFELD MUTTERLIEBE UND WIE MAN ALS MUTTER RICHTIG VERSAGT. UND IN ÖSTERREICH ÜBERLEBT.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort