Gerichtsurteil

Nach der Wahl: Einblicke ins Wiener „Kanzleramt“

Fiakergulasch, Beef Tatar und Backfleisch: Das Kanzlermenü im „Kanzleramt“ kommt auch gut ohne Burger aus.

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„Einmal die Kanzlerin bitte“: Die Bestellung erwischt den ansonsten sehr firmen Herrn Kellner auf dem falschen Fuß, richtig durchgesetzt hat sich der Gedanke an eine Regierungschefin hier wohl noch nicht. Hier, das ist das Restaurant Kanzleramt in der Wiener Schauflergasse, keine hundert Meter vom gleichnamigen Regierungsgebäude entfernt, in dem Brigitte Bierlein anno 2019 interimistisch amtierte. Eine Legislaturperiode später führt der Begriff „Kanzlerin“ hier zu einer kurzen Karten-Schummel-Aktion von Service-Seite her.

Diese „Kanzlerin“ also ist ein alkoholfreies Mischgetränk, bestehend aus der Aperol-Alternative „Undone Not Italian“ und Ginger Ale. Die Ingwer-Limo ist heute aber leider nicht vorrätig, also muss eine Alternative her, wir versuchen es mit einem „Unton“. Der hat dasselbe Ausgangsmaterial wie die „Kanzlerin“, wird aber mit Tonic Water gemixt.

Hier, im historischen Teil des ersten Wiener Gemeindebezirks, zwischen Michaelerplatz, Hofburg und Ballhausplatz, geht es sonst aber recht stimmig zu: In dem von Sylvia Eccli geführten Lokal sitzt man auf old-schooligen, aber gepflegten Möbeln. Grün bezogene Sitzgelegenheiten mischen sich mit den braunen Tischen, viel los ist an diesem Mittwochabend leider nicht. Die Hochwasserkatastrophe und der Wahlkampf halten das Publikum wahrscheinlich eher fern. Kulinarisch setzt man hier auf das, was landläufig als „klassische Wiener Küche“ bezeichnet wird – und legt laut eigenen Angaben auch Wert auf regionale Zutaten. Es gibt sogar ein Lokal-Motto, das haarscharf an der ganz großen Dichtkunst vorbeischrammt: „Nur das Beste für unsere Gäste.“

Deshalb hackt man das Beef Tatar im Kanzleramt auch von Hand – die Fleischwolf-Variante ist halt wirklich nicht satisfaktionsfähig. Das Fleisch selbst stammt vom Simmentaler Fleckvieh, aber um das mit den eigenen Geschmacksknospen zu bestätigen, muss man schon ein richtiger Profi sein, da schenke ich lieber der Karte Glauben. Kurze Nervosität macht sich beim Anblick der Garnitur breit: Könnte es sich um einen nicht angemachten Salat à la Wirtshausgarnitur der 1990er-Jahre handeln? Zum Glück nicht, Essig und Öl sind anwesend. Mitsamt dem Zwiebelconfit kippt der Teller in die süße Richtung, unterm Strich bleibt ein Beef Tatar, das – zum Ambiente passend – wegführt vom immer noch grassierenden Avocadocreme-Topping. An der „Kräftigen Rindssuppe mit Grießschnitte und Wurzelgemüse“ ist sicher keine Consommé double verloren gegangen, ein bisschen mehr Kraft hätte sie schon vertragen.

Das Alt-Wiener Fiakergulasch (Bild ganz oben) mit Spiegelei und Serviettenknödeln bietet nicht viel Raum, um aus dem Konzept auszuscheren – und es zeigt eine deko-technische Verwandtschaft mit dem Beef Tatar. Das Gurkerl ist tatsächlich in beiden Fällen Pflicht, das Zwiebelconfit wäre zum Gulasch nicht zwingend notwendig gewesen. Trotzdem überwiegt der positive Eindruck: Der Dotter des Spiegeleis bleibt nicht stehen, als er vom Messer geküsst wird. Das Fleisch ist sehr zart und von einer Qualität, die keine Flachsen macht. Auch das Alt-Wiener Backfleisch, hier von der Beiried, ist einwandfrei, aber der mit selbstgemachter Mayonnaise abgemachte und mit fein gehackten Zwiebeln ausgestattete Erdäpfelsalat lässt das Gericht in Summe schon sehr mächtig erscheinen (was insofern ja auch wieder ganz gut hierher passt).

Auch bei den Desserts ist man klassisch unterwegs, es wird der handgezogene Apfelstrudel. Der kommt nicht nur warm aus der Küche, sondern sogar heiß aus dem Ofen. Schlagobers dazu, Mandelsplitter drübergestreut – eine ideale Koalition, wenn Sie mich fragen.

Zum Endergebnis: Wer innovativ und fancy speisen will, ist hier im Kanzleramt sicher falsch. Wer aber nicht viel so Wert auf Getue legt, sondern solide Küche mit gutem Service im gepflegten Wiener-Ambiente bevorzugt, kann hier ruhigen Gewissens vorbeischauen. Weil: Im Kanzleramt weiß man ziemlich genau, was man ist – und besinnt sich auch darauf. Vielleicht wäre das ja ein geeignetes, wenn auch wenig lyrisches, Motto für so manche Partei.

Stimmung: Nur das Beste für die Gäste!
Empfehlung: Kehren Sie ein
Preisverhältnis: Vorspeisen zwischen 5 und 16 Euro, Hauptspeisen zwischen 17 und 35 Euro, Desserts zwischen 3 und 6 Euro

Kanzleramt, Schauflergasse 6, 1010 Wien, kanzleramt.wien

Stephan   Graschitz

Stephan Graschitz

ist als Chef vom Dienst bei profil tätig.