Netflix-Hit "You": Sympathischer Stalker?

Buchhändler Joe tut in "You" alles, um Autorin Beck in eine Beziehung mit ihm zu manipulieren.

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"Du wirst mich lieben" - der Untertitel der neuen Netflix-Serie "You" ist als Drohung zu verstehen. Was als harmlose romantische Komödie beginnt, wächst sich schnell zu einem überraschenden Psychothriller aus. Am Anfang ist alles noch ganz harmlos und klischeehaft: Ein braunäugiger Buchhändler trifft eine Jung-Autorin mit schwieriger Kindheit, oberflächlichen Freunden und einer komplizierten Beziehung - und verliebt sich prompt unsterblich. Doch Joe Goldberg (Penn Badgley aus "Gossip Girl") ist nicht bereit, sein Schicksal mit Beck (Elizabeth Lail) dem Zufall zu überlassen.

Dass über das Internet schnell alles über eine Person herauszufinden ist, ist in "You" eher eine Fußnote und so findet sich Joe ganz schnell vor Becks Apartment ein, um sie zu beobachten. Als er auch noch ihr Smartphone stehlen kann, ist die Überwachung komplett. Joe liest mit – und weiß so zu jeder Zeit, wie es um seine Liebeschancen bei Beck steht. Als sie wieder mit ihrem On-Off-Freund Benji (Lou Taylor Pucci) zusammenzukommen droht, findet sich dieser schwer verletzt in Joes Safe für seltene Erstausgaben wieder. Nur Becks beste Freundin Peach (Shay Mitchell) misstraut Joe von Beginn an, was sie schließlich auch zur Zielscheibe macht.

"You" fasziniert durch Widersprüche, der größte davon ist wohl Joe selbst: Die Serie wird von ihm erzählt und während seine Handlungen für Empörung sorgen, schafft er es gleichzeitig den Zusehern einzureden, Beck tatsächlich zu lieben. Im einen Moment repariert er mit seinem Gummihammer Bücher, um im nächsten damit Menschen brutal niederzuschlagen und schließlich Becks Bett damit aufzubauen. Richtig und falsch verschwimmen in "You" auf beängstigende Weise. Genau dieser Widerspruch macht Joe jedoch auch unglaubwürdig: Ein Psychopath, der so von einer Frau besessen ist, dass er Menschen für sie verletzen oder gar töten würde, der ihren freien Willen einfach nicht akzeptieren kann und dennoch ihr gegenüber der perfekte Freund sein will?

Macht sich "You" der Romantisierung von Verbrechen schuldig? Dass Joe nicht angehimmelt werden sollte, machten Netflix und Badgley selbst über Twitter klar. Und dennoch ertappen sich viele Fans dabei, ihn gerne mit Beck sehen zu wollen. Ist das die Freiheit der Unterhaltung, dass man auch Menschen, die sich falsch verhalten, gut finden darf, solange sie nicht real sind? Oder ist die Serie Teil jener toxischen Kultur, die unsere Gesellschaft für Frauen unsicher macht? Zumindest eine Diskussion darüber hat "You" ausgelöst.

Anm.: Die Autorin hat "You" bisher bis Folge 4 gesehen.