Netz des Vertrauens
Wir leben in post-faktischen Zeiten, so liest man. Die Leute glauben, was sie glauben wollen; davon profitieren Populisten von Strache bis Trump. Schuld daran ist angeblich das Internet. Nirgendwo verwandeln sich bösartige Lügen so schnell in „gefühlte“ Wahrheit – man denke an den angeblichen Lungenkrebs von Alexander Van der Bellen. Nun könnte man glauben, digitale Kommunikation befördere zwangsläufig die Verbreitung von Unwahrheit. Schließlich schaut man einander in E-Mails oder auf Facebook & Co. nicht in die Augen; und in vielen Netzforen bleibt man sowieso anonym.
Aber so einfach ist die Sache nicht. Tatsächlich lügen Menschen etwa in Mails viel weniger als im direkten Kontakt, sagt der Stanford-Psychologe Jeff Hancock in der Zeitschrift „Psychologie heute“. Einer der Gründe ist, dass man E-Mails speichern und weiterleiten kann; das macht Lügen riskant. Und manche Plattformen wie das Karrierenetzwerk LinkedIn erziehen die Nutzer geradezu zu Ehrlichkeit – einfach deshalb, weil jeder potenzielle Lügner damit rechnen muss, auf Kollegen zu treffen, die über seinen wahren Berufsweg Bescheid wissen. Das schafft Vertrauen in die Angaben der Mitglieder. Darin liegt vielleicht eine Chance, der Verbreitung von Lügen im Netz entgegenzuwirken.
Was wir brauchen, das sind soziale Technologien, die Wahrheit fördern, indem sie Lügen bestrafen. Wir brauchen vertrauenswürdige Netzplattformen, auf denen sich der Nutzer bis zu einem gewissen Grad darauf verlassen kann, dass er nicht manipuliert oder hinters Licht geführt wird. Demokratische Politik muss an Wahrheit interessiert sein; insofern sollte sie dazu beitragen, dass solche Plattformen entstehen. Und auch Facebook & Co. sollten daran interessiert sein: Ein Netz, in dem nur noch gelogen wird, kann wahrlich niemand wollen.
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