Ende Legende: Die moderne Trainergeneration
Andreas Herzog, 49, macht Tempo. Elegant schiebt der Altstar seinen mittlerweile recht wuchtigen Körper am Gegenspieler vorbei, lässt den Tormann ins Leere fahren und tippt den Ball ins Tor. Bei Legendenmatches wie diesem, Ende März in Klagenfurt, spielen die Helden von einst noch, was sie jahrelang gewohnt waren: große Rollen. Die Welt hat sich verändert. Seit zehn Jahren beklagt Herzog, dass er nicht Teamchef wird. Einst wäre das für einen verdienten Spieler wie ihn ein Formalakt gewesen. Doch dann wurden ihm ein Tscheche, ein Schweizer und ein Deutscher vorgezogen. Herzogs Fazit: „Verarschen kann ich mich selber auch.“ Toni Polster wiederum ist derzeit sogar ein wenig zornig auf seinen Ex-Kollegen, den Austria-Sportchef Franz Wohlfahrt. Dieser hatte ihn bei der Trainersuche nicht einmal angerufen, sondern gleich einen Deutschen geholt – noch dazu einen, der selbst nie professionell Fußball spielte.
Das sind keine Einzelfälle. Die einstigen Nationalhelden werden immer öfter von No-Names verdrängt. Die Trainer in der Bundesliga heißen aktuell nicht Polster, Krankl, Ogris oder Herzog, sondern Rose, Letsch, Vogel und Schmidt. Einige von ihnen haben nie erfolgreich Fußball gespielt, sondern werkten als Physiotherapeuten oder Ingenieure. Bei Red Bull Salzburg stieg sogar ein Taktik-Blogger zum Co-Trainer auf. Derzeit lehren nur drei Männer in der Bundesliga, die einst im Nationalteam spielten. „Für mich ist diese Entwicklung unverständlich“, sagt Toni Polster: „Man muss sich als erfolgreicher Nationalspieler ja schon fast für seinen eigenen Erfolg entschuldigen.“
Ausgerechnet in der Trainer-Ausbildung bevorzugt der ÖFB bis heute verdiente Spieler und überschwemmt mit ihnen den kleinen Markt.
Der heimische Markt umfasst nur zehn Bundesliga-Trainerjobs, dazu noch den heiß begehrten Teamchefposten. Die Legenden waren dafür lange gesetzt. Doch aus der automatischen Vormachtstellung wurde ein Abwehrkampf gegen die Quereinsteiger. Dabei haben die Altstars bis heute keinen Grund zu jammern. Ausgerechnet in der Trainer-Ausbildung bevorzugt der ÖFB bis heute verdiente Spieler und überschwemmt mit ihnen den kleinen Markt. Doch damit soll nun Schluss sein.
Stein des Anstoßes: ein simples Selektionsverfahren bei der Aufnahme in den Fußballlehrerkurs. Wer aufgenommen werden will, wird vorab bewertet. Höchstmögliche Punktezahl: 100. Bis zu 40 Punkte gibt es für die Potenzialanalyse, 20 Punkte für ein gutes Zeugnis aus dem letzten Kurs, 20 Punkte für die bisherige Trainerlaufbahn. Und schließlich: 20 Punkte für eine erfolgreiche Spielerkarriere. Heißt konkret: Bewirbt sich ein Nationalspieler für den Trainerkurs, bekommt er mit einem Schlag Punkte gutgeschrieben, die jemand ohne Kicker-Vergangenheit kaum aufholen kann. Dabei betonen Experten immer wieder, dass Spieler und Trainer zwei gänzlich verschiedene Berufe seien. „Man muss eine Mannschaft leiten und nicht in einer Mannschaft spielen – das ist ein Riesenunterschied“, erklärte zuletzt Liverpool-Coach Jürgen Klopp.
Doch das ist im Bewusstsein vieler Vereine noch nicht recht gesickert. Lange griffen Klubpräsidenten auch des Werbewerts wegen lieber auf prominente Gesichter zurück. Während die Fußballstars oft bis in ihre späten Dreißiger auf dem Feld umherliefen, trainierten die Männer ohne Namen schon jahrelang den Nachwuchs. Trotzdem saßen die Nationalhelden früher im höchsten Trainerkurs. Als Vater des zeitgenössischen Trainertrends gilt der ehemalige Autohauschef Christian Heidel, heute Manager beim deutschen Fußballklub Schalke 04. Als Sportdirektor von Mainz 05 setzte er mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel Trainer auf die Bank, die nie große Fußballer waren. Es galt damals, Anfang der Nullerjahre, auch in Deutschland als Tabubruch, nicht etwa einen Lothar Matthäus, sondern blasse Jugendbetreuer werken zu lassen. Heute gehören Klopp und Tuchel zu den begehrtesten Koryphäen der Fußballwelt. „Es ist nicht mehr so wichtig, ob ein Trainer 300 Bundesligaspiele absolviert hat“, sagt Heidel, der in Gelsenkirchen zuletzt einen 32-jährigen Wirtschaftsingenieur auf den Cheftrainersessel hievte.
Es muss doch ein Unterschied sein, ob einer bei Casino Baden gespielt hat oder 50 Mal im Nationalteam (Toni Polster)
Mit reichlich Verspätung schwappte der Trend auch nach Österreich. Ralf Rangnick, lange Kreativdirektor bei Red Bull Salzburg und selbst nie Profi, holte 2012 Roger Schmidt als Trainer, der als Aktiver nur in der dritten Liga gespielt hatte. Heute werkt mit Rene Maric ein 26-jähriger ehemaliger Taktikblogger als Co-Trainer in Salzburg. Seine Bewerbung: Maric schrieb dem damaligen Salzburger Nachwuchstrainer Marco Rose, ob er mit ihm über Taktik philosophieren wolle. Kurz darauf war er dessen Assistent. Seitdem beobachtet Maric Gegner, entwirft Trainingsmodelle und sorgt für taktische Feinheiten. Die beiden gewannen die Youth League, sozusagen die Champions League der Jugendmannschaften. Als Rose zum Trainer der Profis aufstieg, nahm er Maric mit. Auch die Konkurrenz blickt interessiert nach Salzburg. Austria Wien verpflichtete zuletzt den ehemaligen Salzburger Nachwuchscoach Thomas Letsch. Ähnliches spielt sich bei Sturm Graz ab. Dessen neuer Trainer: Heiko Vogel, Deutscher, Taktikfreak, kein Profifußballer.
Nun will endlich auch der ÖFB auf den Trend reagieren. Peter Schöttel, Rapid-Legende und Sportdirektor des ÖFB, sitzt in einem Besprechungszimmer des Ernst-Happel-Stadions und verkündet, was lange tabu war: „Wir wollen die Spielerkarriere nicht mehr so hoch bewerten, sondern verstärkt die bisherige Trainerlaufbahn. Uns geht es darum, die besten Trainer nach oben zu bringen und nicht die besten Kicker unter den Trainern.“ Toni Polster, seit Jahren Coach des Viertligisten Wiener Viktoria, kann darüber nur den Kopf schütteln. „Es muss doch ein Unterschied sein, ob einer bei Casino Baden gespielt hat oder 50 Mal im Nationalteam. Ich meine: Das ist ja selbst einem Schwachsinnigen einleuchtend, oder?“
De facto hat die jahrelange Bevorzugung auch dem Ansehen der Legenden geschadet.
Der Leiter der ÖFB-Trainerausbildung, Dominik Thalhammer, hat nie für das Nationalteam gespielt. Noch schlimmer: Über die dritte Liga kam der 47-Jährige nicht hinaus. Als Frauen-Teamchef war er zuletzt für die Wahl zum Welttrainer nominiert. „Bewerber ohne Profikarriere sollen gewisse Nachteile aufholen können“, betont er: „Nicht so wie in der Vergangenheit, wo dieser Rückstand nur schwer aufholbar war.“
De facto hat die jahrelange Bevorzugung auch dem Ansehen der Legenden geschadet. Viele waren zwar erfolgreiche Trainer: Prohaska, Hickersberger, Pacult, Schachner, Weber, Jara – sie alle haben Titel gewonnen. Stöger, Hasenhüttl und Hütter arbeiten derzeit erfolgreich im Ausland. Trotzdem gelten heimische Altstars vielen als Nutznießer eines Versorgungsposten-Systems. Noch immer sind die Helden von einst eng mit Klubvertretern vernetzt. Bei der Austria empfahl Vereinsikone Herbert Prohaska seinen Ex-Kollegen Franz Wohlfahrt als Sportchef. Die Rapid-Klubführung lässt sich neuerdings vom bald 70-jährigen Josef Hickersberger beraten. Und auch die Reform der Aufnahmekriterien für die Trainerausbildung muss erst von den alteingesessenen ÖFB-Gremien abgesegnet werden.
Der nächste Fixpunkt der Legenden: 14. August, eine Fan-Schifffahrt über die Donau. Andreas Herzog und Toni Polster hätten Zeit.