Nicholas Ofczarek: "Ich war regelrecht in Schockstarre"
INTERVIEW: ANGELIKA HAGER
profil: Die nahezu erotische Beziehung zwischen Kunst und Macht ist das Thema der Burg-Premiere "Mephisto". Waren Sie schon einmal zu einem Abendessen mit Sebastian Kurz eingeladen? Ofczarek: Nein. Gibt es solche Essen?
profil: Und wie! Da wurden schon einige Künstler durchgeschleust. Ofczarek: Ich halte mich von solchen Veranstaltungen prinzipiell fern. Mir liegt diese Art von Spielen nicht. Es gibt Kollegen, denen geben solche Dinge Energie, mich schwächen sie nur. Ich habe auch in meiner "Jedermann"-Zeit nur ein Mal den Bieranstich über mich ergehen lassen. Wenn ich allerdings auf ein Fußballmatch wie Red Bull Salzburg gegen Rapid eingeladen werde, bin ich gern dabei.
profil: Und zu wem halten Sie da? Ofczarek: Natürlich Rapid.
profil: Die Figur des Hendrik Höfgen, die Klaus Mann nach Gustav Gründgens modellierte, ist "eingesperrt in seinen Ehrgeiz". Er arrangiert sich mit der Diktatur. Ofczarek: Weil er ein deutscher Schauspieler ist, der die deutsche Sprache braucht. Und weil er der Meinung ist, dass er auf der Bühne mehr subversiven Widerstand leisten kann, als wenn er als Märtyrer an die Côte d'Azur geht. Dieser Typ ist ein Teufel, aber ein nicht wirklich greifbarer.
profil: Ähnlich wie Paula Wessely hat er sich mit dem NS-Regime arrangiert, aber auch bedrohten Kollegen zu helfen versucht. Können Sie diese ambivalente Haltung nachvollziehen? Ofczarek: Das wäre schlecht, wenn ich das nicht könnte. Der Typ ist verführerisch und abstoßend zugleich, und dieses Changieren gilt es zu zeigen. Schließlich bin ich ja als Schauspieler auch der Anwalt meiner Figuren. Aber es ist nicht meine Aufgabe, eine klare Antwort auf alle offenen Fragen in diesem Stück zu geben. Sonst habt ihr da unten ja nichts mehr zu tun und zu denken.
Es ist schwierig, eine klare Haltung zu haben. Links, rechts - das ist doch alles in Auflösung begriffen.
profil: Was wären Sie für ein Typ Schauspieler unter einer solchen Diktatur gewesen: Emigrant, Mitläufer, skrupelloser Karrierist? Ofczarek: Das ist schwer zu beantworten. Ich hätte es wahrscheinlich nicht gemacht.
profil: Was nicht gemacht? Ofczarek: Dem System gedient - wie es mein Großvater getan hat, der ein glühender Nazi war und nach dem Krieg im Innenministerium als Portier gesessen ist, inzwischen als glühender Kreisky-Fan, wie so viele. Irgendwie, fürchte ich, leben unsere Vorfahren ja auch in uns weiter.
profil: Wie würden Sie sich heute politisch positionieren? Ofczarek: Es ist schwierig, eine klare Haltung zu haben. Links, rechts - das ist doch alles in Auflösung begriffen. Alle früheren Selbstverständlichkeiten zerbröseln. Andererseits finde ich gut, dass dadurch wieder neu über Positionen und Haltungen diskutiert wird.
profil: Im Gegensatz zu anderen Künstlern sind Sie eher zurückhaltend, was politische Äußerungen betrifft. Ofczarek: Ich bin nicht unpolitisch, aber ich schaue mir alles lieber aus der Distanz an. Ich gehöre nun einmal nicht zu denen, die sofort zu allem eine Meinung haben. Bei der ersten schwarz-blauen Regierung gab es gleich einige Kollegen, die lautstark das Land verlassen wollten. Und heute sitzen sie noch immer hier. Aber eines ist sicher: Ein reaktionäres, rechtslastiges System hat selten einen Staat weitergebracht.
profil: Waren Sie 2015 am West- oder Hauptbahnhof, um die Flüchtlinge zu begrüßen? Ofczarek: Nein. Es gab ja einige aus meiner Branche, die dort nur für zehn Minuten hingefahren sind, um sich bei der Übergabe einer Decke, die ihnen von jemandem in die Hand gedrückt wurde, fotografieren zu lassen. Das fand ich ziemlich abstoßend. Davon abgesehen: Mir war schnell klar, dass diese Welcome-Flüchtlingspolitik ohne Einschränkungen so nicht gut gehen kann, das führt ins Chaos - allerdings auch der jetzige Zugang, die Grenzen zuzusperren, eine Armee aufzustellen und gleichzeitig Entwicklungs-und Sozialhilfe zu kürzen. Das ist doch nur ein politisches Taktieren um Wählerstimmen, keine Realpolitik, die sich mit den tatsächlichen Problemen auseinandersetzt und eine Vision für das Land hat.
In meiner Branche können sich Nichtkönner und Hochstapler unentdeckt und hochbezahlt relativ lange festsetzen.
profil: Im Roman "Mephisto" gibt es gegen Ende eine Szene, in der Höfgen, eingekesselt von seinen diabolischen Gönnern, den Satz sagt: "Was wollt ihr denn alle von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler!" Darf man überhaupt von Künstlern mehr politische Verantwortung verlangen als von einem, sagen wir, Installateur? Ofczarek: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur sicher, dass ein Installateur mehr können muss als ein Schauspieler. In meinem Beruf muss man ja relativ wenig können.
profil: Ist diese Ansage nicht ein wenig kokett? Ofczarek: Nein, gar nicht. Das ist meine Überzeugung. In meiner Branche können sich Nichtkönner und Hochstapler unentdeckt und hochbezahlt relativ lange festsetzen. Es gibt ja auch immer mehr Narzissten auf der Welt.
profil: Ist ein gewisser Narzissmus nicht auch die Voraussetzung dafür, sich auf eine Bühne zu stellen? Ofczarek: Ich gehe sicher nicht aus Narzissmus da rauf.
profil: Sondern? Ofczarek: Wenn ich das nur wüsste! Vielleicht aus einer Art Überlebensmechanismus, vielleicht aus Unsicherheit. Als ich in den Beruf eingestiegen bin, wusste ich nichts, außer dass ich spielen wollte und es sich gut anfühlte, wer anderer sein zu können.
profil: Und die Unsicherheit? Ist sie heute noch da, obwohl Sie einer der Mittelstürmer des Burgtheaters sind? Ofczarek: Auch ein Mittelstürmer ist nur ein Mensch.
profil: Bei einem Interview, das wir vor einigen Jahren miteinander führten, sagten Sie, dass Sie manchmal auf der Straßenbahnfahrt zur Vorstellung an Angstzuständen leiden. Hat sich das gebessert? Ofczarek: Ja. Was aber bleibt, sind die Irrwege im Probenraum. Die meiste Zeit in meinem Beruf verbringe ich ja nicht auf der Bühne, sondern dort. Nur wenn es dich mehrfach auf die Goschn haut, lernst du dabei auch gehen. Diese Lernprozesse kosten ganz schön viel Kraft.
profil: Sie sprachen damals auch von einem Schwebezustand, der sich in einer Rolle oft erst nach vielen Aufführungen einstellt und sich dann wieder verflüchtigt. Können Sie dieses Gefühl beschreiben? Ofczarek: Es ist ein dissoziierter Zustand - halb bin ich in mir, halb bin ich weg von mir. Ich erreiche ihn inzwischen etwas öfter. Das hängt natürlich auch sehr stark von den Kollegen ab. August Diehl ist zum Beispiel einer, mit dem man in solche Zustände kommen kann. Ich halte ihn für den größten Schauspieler unserer Generation.
profil: Ein Etikett, das auch Ihnen oft umgehängt wird. Ofczarek: Ich hatte ganz ehrlich sogar ein bisschen Spundus, mit Diehl auf der Bühne zu stehen (Anm.: "Diese Geschichte von Ihnen", Regie: Andrea Breth). Und erstaunlicherweise ging es ihm genauso. Wir sind dann einmal miteinander essen gegangen und haben geredet. Der soziale Umgang, das Miteinander tragen einen auch in einen höheren Freiheitsgrad. Kommunikation ist alles.
profil: Haben Sie viele Freunde unter Schauspielern? Ofczarek: Notgedrungen, schließlich kommt man aus dem Haus hier kaum raus und sieht streckenweise seine eigene Familie weniger als die Kollegen.
profil: Besuchen Sie noch eine Psychotherapie? Ofczarek: Immer wieder. Denn auf keinen Fall darf man die Bühne als psychotherapeutischen Ort missbrauchen.
profil: Sind die Depressionen weg? Ofczarek: Es waren keine Depressionen, sondern depressive Verstimmungen. Aber im Moment geht es mir gut.
profil: Wie ist die Probenstimmung bei "Mephisto"? Ofczarek: Anfangs etwas gedämpft, weil vier der Kollegen unter der kommenden Intendanz nicht verlängert werden. Das macht dann schon sehr traurig. Bastian Kraft ist ein guter, sehr visueller Regisseur. An den Bruchstellen und der Aufrauung des Abends werden wir noch einiges gemeinsam zu arbeiten haben. Dazu kommt ein extrem hoher technischer Aufwand. Aber Bastian Kraft weiß, wie man sich den Bühnenarbeitern gegenüber verhält. Da habe ich schon ganz anderes erlebt. Er bedankt sich bei ihnen, kennt ihre Vornamen, und sie fühlen sich gemeint.
Es herrscht in unserer Branche noch immer ein feudalistisches System, das mir, gelinde gesagt, schwer auf den Keks geht.
profil: Ein paar Kisten Bier helfen manchmal auch als Stimmungsaufheller. Ofczarek: Die neue Währung heißt Red Bull, denn Alkohol ist inzwischen verboten. Aber viel wichtiger sind Empathie, Wertschätzung, Respekt. Ich bin seit 24 Jahren am Burgtheater und habe oft erlebt, dass ein Intendant oder Regisseur den Raum betritt und den Garderobier oder die Maskenfrau nicht einmal registriert, geschweige denn grüßt. Ich finde einen solchen Umgang miteinander entsetzlich.
profil: Im Zuge der #metoo-Debatte wurde auch das Theater als Ort des Machtmissbrauchs und der Menschenverachtung bloßgelegt. Ofczarek: Es herrscht in unserer Branche noch immer ein feudalistisches System, das mir, gelinde gesagt, schwer auf den Keks geht.
profil: Doch die großen Despoten des Theaters sterben doch nach und nach aus. Ofczarek: Ich beobachte bei denen auch zunehmend eine gewisse Altersmilde. Doch es gibt noch die Generation, die von den Despoten gut gelernt hat.
profil: Das sind sozusagen die Zöglinge der strengen Hand? Ofczarek: Gegen eine strenge Hand ist ja nichts einzuwenden. Ich habe auch kein Problem mit Hierarchien. Was ich mir aber wünsche, sind Respekt und ein Gefühl von Verantwortung, auch im sozialen Sinn. Prinzipiell arbeite ich viel lieber mit Frauen.
profil: Weil da diese Wer-hat-hier-den-längsten-Spiele wegfallen? Ofczarek: Genau deswegen.
profil: Der designierte Burgtheater-Direktor Martin Kušej hat Gerüchten zufolge zwischen 19 und 26 Ensemblemitglieder nicht verlängert, darunter Christiane von Poelnitz, Aenne Schwarz, Fabian Krüger und Sven Dolinski, um nur einige zu nennen. Ofczarek: Die genaue Anzahl kenne ich nicht, aber natürlich macht mich das alles sehr traurig. Wir haben ja alle miteinander auch eine schwierige Zeit durchgemacht. Ich zweifle daran, dass solche Maßnahmen im Vorfeld sonderlich vertrauensbildend sind. Das nährt Ängste, das Gefühl der Verunsicherung und schwächt die Institution, noch ehe das Neue überhaupt begonnen hat. Aber möglicherweise denkt man, dass es eines harten Schnitts bedarf, damit etwas Neues entstehen kann.
profil: Es geht dabei ja nicht nur um künstlerische Umstrukturierungen, sondern auch um die von Ihnen vorher erwähnte soziale Verantwortung. Einige der Gekündigten sind seit mehr als 20 Jahren am Burgtheater. Ofczarek: Ich fürchte, man darf nicht Theaterdirektor werden, wenn man sich nicht traut, etwas zu verändern. Ich zweifle auch daran, dass es Martin Kušej oder irgendjemand anderem Spaß macht, Verträge nicht zu verlängern. Ich würde diesen Job nicht geschenkt wollen. Da machst du ja immer was falsch.
Es kann ruhig einmal kleschen. Solange man sich auf Augenhöhe begegnet, ist das für mich kein Problem.
profil: Als Mittelstürmer und nach 24 Dienstjahren sind Sie ohnehin praktisch unkündbar. Ofzarek: Es gibt andere Methoden, um jemand fertigzumachen. Man könnte mich kaltstellen. Aber das wäre mir inzwischen auch egal, dann habe ich einfach mehr Zeit für anderes.
profil: Spielen Sie manchmal mit dem Gedanken, aus dem Ensemble auszusteigen? Ofczarek: Der Gedanke kam mir immer wieder. Vor allem familiäre Gründe haben mich davon immer abgehalten. Ich bin ein Kind von Sängern, wir mussten alle vier Jahre umziehen. Dieses Gefühl, immer wieder aus der vertrauten Umgebung herausgerissen zu werden, wollte ich meiner Tochter ersparen. Und oft, wenn man wieder einmal so weit war, kam etwas sehr Schönes, mit dem man dann wieder geködert wurde.
profil: Martin Kušej, der im Herbst 2019 das Burgtheater übernimmt, eilt der Ruf eines Cholerikers voraus. Ofczarek: Das stört mich nicht, das empfinde ich nicht als Gefahr. Es kann ruhig einmal kleschen. Solange man sich auf Augenhöhe begegnet, ist das für mich kein Problem. Ich bin ja unter Claus Peymann ans Burgtheater gekommen. Der war ja in dieser Hinsicht auch eine, sagen wir, schillernde Persönlichkeit, aber wenigstens nicht nachtragend.
profil: Wie reagieren Sie, wenn Sie sich bei einem Regisseur nicht gut aufgehoben fühlen? Ofczarek: Früher haltlos bis zur Selbstzerstörung und auch darüber hinaus. Ich hätte mich mit mir nicht anlegen wollen. Ich habe es früher als existenzgefährdend empfunden, wenn ich mich allein gelassen fühlte, und habe dann gern mit dem Vorschlaghammer reingehaut. Aber das hat sich sehr geändert, inzwischen rede ich einfach mit den Leuten, aber immer in einem Vier-Augen-Gespräch, nie vor den anderen, damit keiner Angst haben muss, sein Gesicht zu verlieren.
profil: Im System Hartmann waren solche Gespräche anscheinend nicht möglich. War das eine harte Schlacht? Ofczarek: Es war mehr ein Untergrundkampf, man war ständig mit Diskreditierungen und Manipulationen durch Macht konfrontiert.
profil: Sie waren einer von 60 Burgtheater-Mitarbeitern, die sich in einem offenen Brief Anfang dieses Jahres über die in den Hartmann-Jahren herrschende Vergiftung der Arbeitsatmosphäre äußerten. Ofczarek: Ich habe diesen Brief ohne zu zögern unterzeichnet. Ich war gerade in Deutschland, und er musste mir am Telefon vorgelesen werden. Später hat mich gewundert, wer diesen Brief aller nicht unterschrieben hat. Wir sind mit der Aufarbeitung dieser Zeit noch nicht fertig und müssen alles daransetzen, dass solche Vergiftungserscheinungen nie wieder auftreten können.
profil: Warum hat es über vier Jahre gedauert, bis das Ensemble den Mut fand, an die Öffentlichkeit zu gehen? Ofczarek: Weil wir alle nicht miteinander geredet haben. Man hat gedacht, man ist vielleicht deppert und steht ganz allein mit seinen Empfindungen da. Man konnte diese Zustände, die hier am Haus herrschten, nicht fassen. Ich war regelrecht in Schockstarre. Bis heute beschäftigt es mich, dass Menschen, die von Steuergeldern bezahlt werden und eigentlich in dienenden Funktionen sind, ein solches Verhalten an den Tag legen.
profil: Hat die #metoo-Debatte das Theater atmosphärisch verändert? Ofczarek: Ja, und das ist auch gut so. So wurden unser aller Sinne wieder geschärft. Ich frage jetzt bei den Proben auch immer wieder die Kolleginnen: "Ist es okay, wenn ich dich jetzt so angreife?" Weil ich der Meinung bin, dass eine Frau an manchen Tagen sensibler auf Berührungen reagiert als an anderen. Die sehen mich dann oft ganz erstaunt an und fragen: "Was ist denn bitte jetzt los mit dir?"