"Niemand ist scheinheiliger als ich"
INTERVIEW: INGRID BRODNIG
profil: Herr Kobek, Ihr Roman trägt den Titel "Ich hasse dieses Internet“. Was brachte Sie zu diesem Bekenntnis? Jarett Kobek: Ich lebte ein paar Jahre lang in San Francisco. Die Stadt veränderte sich zunehmend. Ich würde sogar sagen: Sie starb langsam. Der Grund des Übels war der Einfluss der Unternehmen aus dem Silicon Valley - Google, Facebook, Twitter, auch kleinere Betriebe. Plötzlich standen Familien auf der Straße, die jahrzehntelang in einem Appartement gelebt hatten. In die neu geschaffenen Luxus-Mietwohnungen zogen dann Mitarbeiter dieser Unternehmen ein. Gleichzeitig gab es die weitverbreitete Rhetorik, wonach Unternehmen wie Twitter oder Facebook auf der ganzen Welt unterdrückte Menschen befreien würden. Denken Sie nur an den Arabischen Frühling: So wie die US-Medien darüber berichteten, war das eine große Werbeveranstaltung für Facebook. Ich empfand das als großen Widerspruch, wie diese Unternehmen sich selbst verkaufen - und wie die Realität vor meiner Haustür aussah.
profil: Ist es wirklich die Schuld der großen Unternehmen, dass ihre Mitarbeiter viel Geld für teure Wohnungen haben? Die Politik könnte ja stärker eingreifen und den Mieterschutz stärken. Kobek: Stimmt. Natürlich kann man fragen: Warum gibt es keine funktionierende Stadtregierung? Dazu muss man sagen, dass die Bay Area rund um San Francisco für ihre Korruption bekannt ist. Das Problem ist generell: Der unverhältnismäßige Reichtum dieser Internetdienste hat den Wohnungsmarkt zu einem puren Rechenspiel gemacht. Die Ärmeren können nicht mitbieten.
profil: Aber hassen Sie denn wirklich das ganze Internet - oder eher einzelne Unternehmen? Kobek: Darüber habe ich mir lange den Kopf zerbrochen. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo man das nicht mehr unterscheiden kann: Google, Facebook kontrollieren das Internet. Sie treiben sogar Projekte an, bei denen es buchstäblich um die Kontrolle des Internet geht. Vor ein paar Wochen ist ja eine SpaceX-Rakete in Flammen aufgegangen, die für Facebook einen Satelliten in die Umlaufbahn bringen hätte sollen. Dieser Satellit hätte dann Internet auf die Erde gesendet - nach Afrika. Gibt es dann überhaupt noch einen Unterschied zwischen Facebook und dem Internet? Wenn Facebook den Zugang zum Internet für einen großen Teil eines Kontinents kontrolliert, kann ich diesen Unterschied nicht mehr erkennen.
profil: Ihr Roman kritisiert vor allem, dass wir als Facebook-Nutzer zwar Inhalte für die Site erstellen und sie zu Leben erwecken - aber einzig und allein Facebook daran verdient. Kobek: Wir erleben gerade den größten Diebstahl von intellektuellem Eigentum, den es jemals gab. Wir werden alle zu Kreativschaffenden für eine Handvoll Menschen, die damit äußerst reich werden. Mein Buch zieht Parallelen zur Comic-Branche. Dort gibt es eine lange Tradition der Ausbeutung von Autoren, die ungeheuren kulturellen Wert geschaffen haben, aber total über den Tisch gezogen wurden.
profil: Sie erzählen zum Beispiel von dem Comic-Zeichner Jack Kirby, der Figuren wie "Captain America“ erfunden hat, mit denen das Verlagshaus Marvel reich wurde - nur Kirby nicht. Kobek: Genau. Solche Geschäftspraktiken hat das Internet - speziell die sozialen Medien - metastasenartig verbreitet. Jeder von uns ist davon betroffen. Und die Leute, die noch nicht betroffen sind, denen will Facebook einen Satelliten schicken.
Je nachdem, was man beruflich macht, kann es desaströs sein, nicht auf Facebook zu sein.
profil: Aber es wird ja niemand gezwungen, Facebook zu nutzen. Kobek: Auf den ersten Blick scheint es so. Jedoch ist ein Verzicht auf Facebook in vielen Branchen wie ein Gang ins Exil. Ein Vergleich: Einige unfreundliche Menschen witzeln gerne darüber, dass mein Buch ausgerechnet auf Amazon erhältlich ist. Da zeigt sich deren Ahnungslosigkeit: Wenn du dein Buch nicht auf Amazon verkaufst, bist du nicht Teil des Spiels. Mit Facebook ist das ähnlich: Je nachdem, was man beruflich macht, kann es desaströs sein, nicht auf Facebook zu sein.
profil: Sind Sie auf Facebook? Kobek: Ich habe einen Account, aber ich schreibe dort nur einer Handvoll Bekannter in Europa, die kein E-Mail nutzen. Ich finde die Site zutiefst ablenkend. Und außerdem wurde sie ein bedrohlicher Raum.
profil: Ihr Roman dreht sich um Figuren, die online Hass erleben, etwa prominente Frauen oder Transsexuelle. Kobek: In den letzten sechs, sieben Jahren wurden viele Menschen online regelrecht mundtot gemacht - nicht nur Frauen oder Menschen aus ohnehin schon gefährdeten Gruppen. Ich kenne auch Männer, die merkten: Man kann nicht mehr seine Meinung sagen.
profil: Sie kritisieren, dass häufig selbst schlimmste Drohungen im Namen der Meinungsfreiheit verteidigt werden. Kobek: Als Schriftsteller ist mir die Redefreiheit naturgemäß ungeheuer wichtig. Nur schwingt bei der Meinungsfreiheit eigentlich schon die Idee mit, dass es auch eine gewisse Verantwortung gibt für das, was man sagt. Facebook und Twitter haben eine moralische Verantwortung für das, was auf ihrer Site veröffentlicht wird. Nur spiegeln das nicht die amerikanischen Gesetze wider: Da steht die juristische Verantwortung in keinerlei Relation zur moralischen.
profil: Trotz solcher berechtigter Kritik: Handelt es sich hier wirklich um Hass - ist unsere Beziehung zum Netz nicht eher eine Hassliebe? Kobek: Der Titel des Buchs soll auch eher an einen 15-Jährigen erinnern, der die Nase rümpft und in einem Moment des Ekels sagt: "Ich hasse dieses Internet.“ Aber eines hat mich bei meinen Lesungen in den USA schon überrascht: Wie tief die negativen Gefühle bei vielen sitzen. Viele Menschen fühlen sich verwundet durch das, was ihnen online passiert ist. Ich hätte gedacht, dass die Beziehung vieler Menschen zum Internet aus 70 Prozent Liebe und 30 Prozent Hass besteht. Mein Eindruck nach vielen Gesprächen ist: Es sind eher 60 Prozent Hass und 40 Prozent Liebe.
Vielleicht ist Technikfeindlichkeit ja auch die logische Abwehrhaltung auf das 21. Jahrhundert.
profil: Ist der Hass in den deutschsprachigen Ländern besonders groß? Uns wird von Amerikanern ja gerne Technikfeindlichkeit vorgeworfen - und teilweise wohl zu Recht. Kobek: Dafür habe ich noch zu wenige Erfahrungen. Aber eines fiel mir schon auf: Wie irrsinnig groß das Interesse an meinem Buch im deutschen Sprachraum ist. Vielleicht ist Technikfeindlichkeit ja auch die logische Abwehrhaltung auf das 21. Jahrhundert.
profil: Wobei Sie ja vom Internet profitieren: Sie haben Ihr Buch online selbst herausgebracht. Ohne das Netz wäre Ihr Roman vielleicht nie so erfolgreich geworden. Ist das nicht die Ironie der Geschichte? Kobek: Sie haben vollkommen recht: Niemand ist scheinheiliger als ich. Sicher beinhaltet das Ganze ein Element der Doppelmoral. Als Schriftsteller kann man einer von zwei Typen sein. Der eine Typ freut sich, wenn 200 Leute sein Buch lesen und es gut finden. Der andere Typ will so viele Menschen wie möglich erreichen. Wenn Sie Letzteres wollen, kommen Sie um das Internet nicht herum. Ich will so ein Schriftsteller sein - und dafür muss ich das Ding nutzen, das ich verdamme.
Jarett Kobek wird von Schriftstellern wie Jonathan Lethem als potenzieller "amerikanischer Houellebecq“ bezeichnet. Sein Roman "Ich hasse dieses Internet“ ist eine Abrechnung mit den Technikunternehmen im Silicon Valley. Die "New York Times“ nennt das Buch eine "grobkörnige politische und kulturelle Tirade, einen langanhaltenden Aufschrei über Macht und Moral in einer neuen globalen Ära“. Kobeks Stil ist bissig und schnell. Die vielen gedanklichen Abzweigungen des Romans erinnern an eine etwas verworrene Google-Suche, die dann aber doch immer zu einer beeindruckenden Erkenntnis führt. Kobek ist Amerikaner mit türkischen Wurzeln, er lebt heute nicht mehr in San Francisco, aber weiterhin im US-Staat Kalifornien. Sein Buch erscheint auf Deutsch im S. Fischer Verlag (20,60 Euro, 368 Seiten).