Ö3-Star Robert Kratky: "Es geht bei mir immer darum, Ängste zu überwinden"
Robert Kratky, demnächst 50, moderiert seit bald 30 Jahren den „Ö3-Wecker“. Hier spricht er über das mutmaßliche Geheimnis seines Erfolgs, sein Verständnis von Klimaaktivismus, die alternativen Realitäten von Stadt und Land – und über Todesängste in 4000 Metern Höhe.
Am Wiener Küniglberg, kurz nach acht Uhr früh. Der „Ö3-Wecker“ geht ins Finale, seit über drei Stunden bespielen Sendungshost Robert Kratky und sein Team (Co-Host Gabi Hiller, Liveregisseurin Mirjam Haider, Wettermann Daniel Schrott und Praktikantin Veronika Czerwinski) das Erwachen von zwei Millionen Menschen. Am Tag zuvor hat Ö3-Chef Georg Spatt überraschend seinen Rückzug angekündigt – vergangenen Donnerstag, zwei Tage nach dem profil-Interview, verkündete wiederum Kratky in der ORF-Sendung „Stöckl“, seinen Vertrag „in einigen Jahren“ nicht verlängern zu wollen. Im neuen Sendestudio von Ö3, das im November 2022 hierher übersiedelte, lässt man sich die internen Unsicherheiten nicht anmerken, es herrscht gute Laune, im Fünfminutentakt sagt Kratky „Guten Morgen!“ oder die Zeit an. In den Moderationspausen gehen sich viele Zigaretten aus, nach der Sendung muss Kratky in eine Redaktionssitzung, dann nimmt er an einem Besprechungstisch Platz. Blick ins Grüne, aufforderndes Nicken. Kratky ist seit 3.15 Uhr wach und zeigt keine Anzeichen von Ermüdung.
War das, was wir eben gehört haben, eine gute Sendung? Woran erkennen Sie das?
Kratky
Die Sendung, mit der ich hundertprozentig zufrieden war, hat es noch nicht gegeben. Ich habe aber gelernt, mit dieser Unzufriedenheit zu leben und trotzdem glücklich zu werden.
Der „Ö3-Wecker“ ist heuer 45 Jahre alt und immer noch eines der wichtigsten Formate im ORF. Bis zu zwei Millionen Menschen hören Ihnen täglich zu. Warum funktioniert diese Sendung so gut?
Kratky
Es ist eine gemeinschaftliche Leistung von sehr, sehr guten Radioleuten, die sehr viel Zeit in die Frage investieren: Wie können wir die Menschen in dem Land unterhalten? Ich bin hier nur der Oberkellner. Sehr viele andere kochen. Außerdem ist Tradition sicher ein Thema. Wir sind für viele Menschen Teil der österreichischen Identität. Ö3 hat eine gewisse Größe, und das gibt dir beim Aufstehen das gute Gefühl, dass du das ganze Land mitkriegst, egal wo du aufstehst. Man holt sich mit uns auch sehr viel Vertrautes nach Hause.
Wobei dieses Vertraute von einem Oberkellner serviert wird, der nicht nur Sonnenschein ausstrahlt. Der Kratky-Witz kann zubeißend sein. Wie setzt sich die Chemie im „Ö3-Wecker“-Studio zusammen?
Kratky
Das ist wie in jedem anderen Betrieb, wo mehrere Menschen zusammenarbeiten. Manchmal ist es nicht einfach, manchmal ist es ein bisschen schwierig. Manchmal bin ich mit anderen im Studio nicht ganz einer Meinung und kann es mir dann nicht verkneifen, was zu sagen. Und dann entsteht eine Situation, wo Zuhörer unter Umständen denken: Oha. Freundlich in den Tag gebracht zu werden, ist aber das oberste Gebot. Das ist die Hauptaufgabe. Der „Wecker“ ist keine Personality-Show, in der irgendein Grantler vor sich hin grantelt. Der Grund, warum Menschen einschalten, ist die Musik, der Service und dass du gut unterhalten wirst von einem Team, das du kennst und magst. Aber dieses Kennen und Mögen fußt nicht auf der Lüge, dass die Welt nur bunt und schön ist und immer die Sonne scheint.
Diesen Eindruck hatte man, gerade in den vergangenen zwei bis drei Jahren, ohnehin nur selten. Wie geht der „Ö3-Wecker“ mit den Dauerkrisen der Gegenwart um?
Kratky
So zu tun, als gäbe es keine Probleme, wäre fatal. Aber gerade darum braucht es abseits der Nachrichten positive Energie. Ich versuche, auch den Herausforderungen unserer Zeit stets mit einem Lächeln zu begegnen, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Und man muss sich auch anschauen, wie das Leben wirklich ist, außerhalb der Social-Media-Blasen, vor allem auch außerhalb der großen Ballungszentren, wo die Lebensrealität oft eine völlig andere ist als da, wo die meisten Medien gemacht werden. Ich habe es da insofern leichter, als ich vor elf Jahren nach Krems gezogen bin und in Wien nur noch meine Arbeitszeit verbringe.
Was hat Sie ins Pendlertum getrieben?
Kratky
So sehr ich Wien schätze: Ich habe noch nie so viel über Österreich gelernt wie durch meine Übersiedlung in eine kleinere Stadt. Weil das so viel mehr mit unserem Land zu tun hat, unseren Hörerinnen und Hörern. Das war für mich ein echter Turbo, was meine Kreativität betrifft. Weil hier einfach eine andere Realität herrscht. Deswegen fühlen sich auch so viele unverstanden, zwei Kilometer außerhalb der Grenzen unserer Städte, in denen die meisten Medien und auch die Bundespolitik entstehen.
Viele Menschen hören den „Ö3-Wecker“ im Auto. Wie geht die Sendung mit den Aktionen der Letzten Generation um, die große Teile Ihres Stammpublikums doch grandios provozieren?
Kratky
Wir sind über die Jahrzehnte eine sehr bunte und diverse Truppe geworden, und jede Diskussion verläuft halt genauso bunt. Ich halte vom Kampf um das Erreichen der Klimaziele sehr viel, von der Art und Weise dieser speziellen Gruppe von Klimaaktivisten aber, ehrlich gesagt, gar nichts. Wenn es nach mir ginge, dann würden wir maximal die Verkehrsbehinderung durchsagen, aber nicht deren Ursache, weil wir damit denen in die Hände spielen, die mit dieser Aufmerksamkeit spekulieren. Aber ich bin nun mal nicht für den redaktionellen Inhalt verantwortlich. Und das ist auch gut so. In dieser Frage wurde ich überstimmt, mit der einfachen Argumentation, dass wir schon aus journalistischer Sorgfaltspflicht den Grund für eine Verkehrsbehinderung dazusagen.
Gibt es Themen, die im „Ö3-Wecker“ tabu sind?
Kratky
Es ist nicht unsere Aufgabe, irgendein Thema auszulassen, aus Angst, es könnte unter Umständen die Laune verderben. Du kannst in einer vierstündigen Sendung nicht zu jedem Zeitpunkt den Trichter so weit öffnen, dass alle Aspekte eines Tages Platz finden. Die Überlegung ist darum: Wir sind eine Frühsendung, Aufstehen ist schwer genug, manche von unseren Hörern stehen vielleicht seit einer Dreiviertelstunde im Stau. Also was mute ich denen zu? Ich kann den Krieg in der Ukraine nicht beenden. Ich kann die Probleme der österreichischen Innenpolitik nicht ändern oder die Teuerung abschaffen. Aber ich kann sehr bewusst, ohne dass wir so tun, als gäbe es das alles gar nicht, meinen Fokus auf ein anderes Thema lenken, auf etwas Gemeinschaftsstiftendes. Es ist unsere Verantwortung, auch dem Schönen im Leben seinen Platz einzuräumen.
Müssen Sie sich dabei oft zusammenreißen?
Kratky
Unsere Aufgabe ist klar. Wir sollen Musik liefern, informieren, unterhalten, den Menschen eine gute Zeit bereiten. Wir sind unpolitisch. Das ist nicht einfach, wenn du ein politisch interessierter Mensch bist. Das Schwierigste ist für mich darum seit jeher, in der Früh keine Dinge zu sagen, die gegen das Rundfunkgesetz verstoßen. Wir bemühen uns jeden Tag aufs Neue, den richtigen Ton zu treffen, aber rein prinzipiell ist unsere Kernaufgabe, gute Unterhaltung und objektive journalistische Leistung für jeden Menschen im Land anzubieten.
Über die Kernaufgaben des ORF wird ja gerade gestritten. Die Zeitungsverleger sind der Ansicht, die öffentlich-rechtliche Übermacht gefährde die Medienvielfalt im Land. Verstehen Sie diese Position?
Kratky
Es ist Teil meiner beruflichen DNA, Positionen zu verstehen.
Sie geben dieses Interview aus Anlass Ihres 50. Geburtstags. Welchen Einfluss hat Ihr Alter auf Ihre Rolle als Morgenshow-Host?
Kratky
Nichts geht über Lebenserfahrung, auch und vor allem als Anchor einer Radioshow, die so viele Generationen eint. Und sie macht mich hoffentlich stetig besser. Aber dafür muss man auch geistig beweglich bleiben und von den Jungen lernen. Ich wurde in den Achtzigern sozialisiert und bin zum Teil geprägt von Dingen, die sich längst überholt haben. Erst kürzlich hat mich eine junge Redakteurin sehr, sehr deutlich daran erinnert, dass zum Beispiel mein Umgangston für das Arbeitsklima am Sender wahnsinnig wichtig ist. Die brutale Härte meiner beruflichen Lehrjahre für die neuen Generationen zu erhalten, ist garantiert der falsche Weg, auch wenn heute wie damals das Medienbusiness kein Kindergeburtstag ist.
Wo ist das Problem?
Kratky
Ich hatte im Beruf sehr fordernde Anfangsjahre. Heute ist es vielfach anders, sehr viel fairer und rücksichtsvoller. Und ja, das ist für mich manchmal auch schwierig. Vielleicht stammt das aus einem gewissen Neid, dass man sich denkt: Bei mir war das viel härter. Es ist sehr schwer für mich, zu akzeptieren, dass wir es heute mit einer Generation zu tun haben, die die Arbeitswelt anders sieht.
Sind Sie denn ein beharrlicher Dinosaurier?
Kratky
Ich bin beharrlich in meiner Begeisterung und ich brenne halt wahnsinnig für das, was ich mache. Das hat früher sehr oft entschuldigt, wenn mal hinter den Kulissen die Fetzen geflogen sind. Was auch nach wie vor passieren kann, aber doch auf Basis einer neuen Gesprächskultur. Es ist ein Spagat zwischen einem besseren persönlichen Umgang miteinander und einem Bewahren bestimmter Qualitäten aus der alten Arbeitswelt.
Welche wären das?
Kratky
Dass man zum Beispiel nicht ständig auf die Uhr schaut, wenn Einsatz gefragt ist. Denn an eine Sache glaube ich hundertprozentig: Wenn du eine besondere Karriere machen möchtest, wenn du besonders viel Geld verdienen oder besonders viel Anerkennung bekommen möchtest, dann wirst du deiner Arbeit oder deiner Ausbildung den Großteil deiner Zeit einräumen müssen. Aber man muss auch akzeptieren lernen, dass nicht alle leben, um zu arbeiten, sondern auch arbeiten, um zu leben.
Das Schwierigste ist für mich, in der Früh keine Dinge zu sagen, die gegen das Rundfunkgesetz verstoßen.
Und abseits der Arbeitswelt: Empfinden Sie sich denn als zeitgemäßer Mensch?
Kratky
Ich bemühe mich nach Kräften darum, aber wir leben in einer ungeduldigen Welt. Abseits der Arbeit bemerke ich oft, wie toxisch viele Menschen schon auf Kleinigkeiten reagieren. Gerade erst musste ich mich gegen einige sehr wütende Instagram-Messages verteidigen, weil jemand gesehen hatte, dass ich meine Frühstücksjause in Alufolie eingewickelt habe. Also, ganz ehrlich: Ich lasse mir als 50-jähriger Mann nicht von wildfremden Menschen eine Goschen anhängen, weil ich mein Weckerl in Alufolie wickle.
Aber wenn Ihnen jemand mit lieben Grüßen ein Bienenwachstuch schickt, dann würden Sie es schon verwenden?
Kratky
Es geht mir um den gegenseitigen Respekt. Wenn ich als 50-jähriger Dinosaurier die Angewohnheit habe, Alufolie zu verwenden, ist das eine Gewohnheit und keine böse Absicht. Wie sehr das manche Menschen aufregt, verstehe ich nicht. Ich bin sehr harmoniebedürftig und habe es nicht gerne, wenn mich jemand hasst. Aber ich muss sagen, bei einigen wenigen ist es mir auch wurscht.
Sie haben sich zuletzt auf Instagram auch verletzlich gezeigt …
Kratky
Eigentlich nicht. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen.
Sagen wir: Sie haben sich verletzt gezeigt.
Kratky
Ich bin so verletzt wie jeder andere Mensch auch. Ich habe am Tag der psychischen Gesundheit im Oktober ein Video aufgenommen und darüber gesprochen, dass ich selbst ein Burnout hatte, dass ich in ärztlicher Behandlung war und teilweise noch bin und dass ich manchmal mit schweren Depressionen zu kämpfen hab. Jahrzehntelanges Aufstehen um 3.00 Uhr ist nicht unbedingt förderlich für das allgemeine Wohlbefinden. Ich habe meinen Krug so lange zum Brunnen getragen, bis er tatsächlich gebrochen ist. Oder zumindest schwer angeknackst. Aber so geht es vielen Menschen. Ich bin ein ganz normaler Typ, eigentlich. Insofern war ich überrascht, wie stark die Reaktionen waren.
Sie haben ehrlich nicht damit gerechnet?
Kratky
Null. Ich wollte ja eben zeigen, wie normal das ist. Es gibt nach wie vor Tabuthemen, bei denen wir einfach nie gelernt haben, wirklich offen zu reden. Vor allem, wenn etwas nicht dem Bild entspricht, das wir gerne von uns hätten. Und das macht die heutige Zeit nicht einfacher, in der jeder durch Social Media die Möglichkeit hat, ein besseres Alias von sich herzustellen. Womit die Depression dann eh vorprogrammiert ist: Vollkommen egal, was du kreierst, du wirst diesem Idealbild nie entsprechen. Ich weiß, wovon ich spreche: Je älter ich werde, desto länger bearbeite ich meine Fotos.
Viele dieser Fotos zeigen Sie beim Fallschirmspringen. Was passiert, wenn man aus einem Flugzeug springt?
Kratky
Am Anfang ist es wie sterben. Du kannst deinen Körper nicht betrügen. Egal wie cool du im Kopf bist, dein Körper sagt: Pardon, entschuldige die Störung, aber du stürzt gerade aus 4000 Metern auf den Erdboden. Aus einem Flugzeug. Und das Flugzeug ist gerade davongeflogen. Ich springe deshalb auch am allerliebsten rückwärts ab. Ich möchte sehen, wie der Flieger verschwindet. Dieses Endgültige eines verschwindenden Flugzeugs, in dem du fünf Sekunden vorher noch dringesessen bist, hat etwas sehr Heilsames.
Inwiefern?
Kratky
Ich war nie ein besonders mutiger Mann. Ich kann das Gefühl heute noch abrufen, wie ich als Bub in Salzburg an der Bushaltestelle stehe und mich nicht einsteigen trau, weil ich so ein beschissenes Gewand anhabe. Wir waren nicht arm, aber es ging sich halt nichts Tolleres aus. Ich habe mich sehr oft geniert und wurde in der Schule getögelt ohne Ende. Heute würde man sagen: gemobbt. Daher stammt das Grundgefühl, dass es in meinem Leben immer darum geht, Ängste zu überwinden. Aber warum viele von denen, die einen Fallschirmkurs anfangen, frühzeitig aufgeben, ist mir mittlerweile auch klar. Das ist einfach die schiere Todesangst. Aber dann ist der Knopf aufgegangen, und jetzt ist da ein Gefühl von riesiger Freude: ein Loslassen von allem, was dich auf der Erde bewegt, deprimiert oder beschäftigt. Die Tür öffnet sich, das Kommando „Exit“ kommt, und du weißt, dass es nur noch eines gibt: dich und den Himmel. In der Luft zu hängen kann einen ganz schön erden.