ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel: Der Unsichtbare
Peter Schöttel steht dort, wo er nicht mehr stehen wollte: in der Auslage. Bisher konnte der ÖFB-Sportdirektor dem Rampenlicht weitgehend ausweichen. Doch damit ist nun Schluss: Schöttel, 55, Ex-ÖFB-Teamspieler, muss schleunigst die Ärmel hochkrempeln und einen neuen, passenden Teamchef finden. Schöttel stehe nun "in der Pflicht", ließ ihm ÖFB-Präsident Gerhard Milletich jüngst ausrichten.
Die Lage ist ernst: Der ÖFB ist in Verruf geraten, eine goldene Generation (Marktwert 300 Millionen Euro) zu vergeuden. Der in der Vorwoche abgetretene Teamchef Franco Foda ließ mit mutigen Männern ängstlichen Fußball spielen. Das führte zu internen Konflikten und schlussendlich zu einem Trümmerhaufen: Österreich fährt nicht zur Weltmeisterschaft 2022, blamierte sich gegen Außenseiter, konnte in viereinhalb Jahren kein Pflichtspiel gegen einen besser klassierten Gegner gewinnen. Der Fußballbund sah untätig zu und wird nun als Dilettanten-Truppe verlacht. Mit gehöriger Verspätung soll jetzt das große Aufräumen erfolgen.
Wenn es gewünscht ist, wird es eine klare Empfehlung von mir geben."
Blöderweise steht mit Peter Schöttel ausgerechnet jener Mann in der Verantwortung, der vor viereinhalb Jahren durch Machtspiele im Verband unerwartet in sein Amt rutschte, dabei kein Konzept parat hatte, Probleme zudeckte, zwischendurch auch verbandsintern zum Rapport verdonnert wurde-und zuletzt gar vor dem Rauswurf stand. Er müsse erkennen, betonte ein hoher ÖFB-Vertreter vor der EM im profil, "dass er stärker in die Pedale treten muss".In der Branche galt Schöttel vor seinem Aufstieg in die ÖFB-Führungsriege als schwer vermittelbar. "Der Schötti ist ein lieber Kerl, aber Krieg gewinnt man keinen mit ihm",erklärte Helmut Schulte, einst Schöttels Vorgesetzter beim SK Rapid Wien, gegenüber profil.
Für den ÖFB steht viel auf dem Spiel: Das Nationalteam mit seinen internationalen Stars um Real Madrids David Alaba könnte unter moderner Führung ein Goldesel und ein weltweites Aushängeschild sein. Die Realität sieht anders aus: Vor wenigen Tagen spielte Österreich gegen Schottland in einem fast leeren Stadion. Das Nationalteam ist zum Ladenhüter geworden, während vergleichbare Nationen wie die Schweiz und Dänemark konstant Erfolge feiern. Dem Berufsbild nach müsste Schöttel der Kreativgeist des österreichischen Fußballs sein, eine Vision samt Spielstil entwerfen-und dazu den passenden Trainer finden. Das Problem: Der Mann ist kein Visionär. Kann so einer zum Retter des heimischen Kicks werden?
Am Tag nach dem Platzen der letzten WM-Träume, der 1:2-Niederlage in Wales am 24. März, sitzt der auserkorene Retter freundlich lächelnd im Wiener Mannschaftsquartier-und beklagt die Ungerechtigkeiten der Fußballwelt. Es sei "wahnsinnig schwierig" im engen Spielplan-Korsett der UEFA, "weil wir kaum Zeit zum Trainieren haben", seufzt Schöttel. Und: "Wenn Christoph Baumgartner nicht die Latte, sondern ins Tor getroffen hätte, würden wir jetzt nicht da sitzen."Eine Analyse mit Mehrwert ist das nicht. Schöttels Wehklagen betrifft Unveränderbares: Glück und Pech gehören zum Spiel, mit knappen Trainingszeiten haben alle Nationen zu schaffen. "Ich würde mir nicht sagen trauen, dass das die beste Generation ist, die wir je hatten",stellt er trocken fest. Als Erkenntnis nach einem Gespräch mit Schöttel bleibt: Dem Mann, der den österreichischen Fußball zumindest so erfolgreich wie jenen der Schweiz machen soll, fehlt offenbar selbst der Glaube daran.
Schöttel, 55, ist eine alterslose Erscheinung: Er ist schlank wie zu Spielerzeiten, hat ein faltenfreies, bubenhaftes Gesicht und volles Haar. Er wirkt nicht wie ein Grübler. Man kann ihn sich regelrecht vorstellen, wie er selbst nach bitteren Niederlagen süß träumt. Der großgewachsene Mann wuchs in Wien auf, maturierte, studierte kurzfristig Jus-und wurde dann zum Inbegriff eines staubtrockenen Verteidigers. Seine gesamte Spielerkarriere verbrachte er bei Rapid, ein Auslandsabenteuer strebte er nie an. Als Ex-Fußballgröße erhielt er nach dem Karriereende hohe Ämter-und überzeugte nicht. In der Funktion des Rapid-Trainers ließ Schöttel so lange erbarmungslos verteidigen, bis der eigene Anhang die Klub-Ikone vom Feld jagte. Später stieg er mit dem SV Grödig ab. Ehemalige Kollegen und Vorgesetzte bescheinigen ihm menschliche Qualitäten, trockenen Humor, aber keinen ausgeprägten Ehrgeiz. Vielerorts wird ihm eine Beamtenhaftigkeit attestiert, die Versorgungsposten zum Ziel habe, aber nicht zwingend Pokale.
Nach mehreren Stationen in der Bundesliga beklagte Schöttel vor einigen Jahren den Stress der Branche-und begann nach einem ruhigen Posten zu suchen. Schöttel lebt in zweiter Ehe in Trausdorf im Burgenland. Als für die dortige Fußballakademie ein Leiter gesucht wurde, bewarb er sich-und wurde abgelehnt. "In Kombination mit der Nähe zu Trausdorf hätte das für mich durchaus Sinn ergeben", erzählte er dem Lokalblatt BVZ. Wenig später, im Frühjahr 2017, wurde Schöttel als Trainer der ÖFB U-19-Nationalmannschaft präsentiert. Der Job sieht nur wenige Spiele pro Jahr vor und gilt in der Branche als Auffangbecken für Gescheiterte mit Ruhebedürfnis. Schöttel habe das als "langfristige Tätigkeit" gesehen, "wo du nicht permanent Angst um deinen Job haben musst" und sich "auf die in Aussicht gestellte Lebensqualität gefreut".
Kurz darauf wurde der Ruhesuchende allerdings zum Sportdirektor des größten Sportverbandes des Landes ernannt. Die Geschichte dahinter ist skurril: Ein halbes Jahr, nachdem Schöttel seine Work-Life-Balance als Nachwuchs-Trainer gefunden hatte, krachte es im föderalistisch besetzten ÖFB-Präsidium. Ehrenamtliche Funktionäre planten einen Putsch gegen den amtierenden Sportdirektor Willi Ruttensteiner, der manisch am Fortschritt werkte, ihnen aber zu mächtig geworden war.
Selbst den Teamchef hatte Ruttensteiner ausgesucht, was davor den honorigen Herren-allesamt Richter, Rechtsanwälte, Ex-Bürgermeister, Manager-vorbehalten war. Schöttel war der am schnellsten greifbare Gegenkandidat, den die Funktionäre also ins Rennen schickten. Während Ruttensteiners Präsentation allseits gelobt wurde, erklärte Schöttel, "kein detailliertes Konzept" zu haben. Am Ende stand es 8:5. Für Schöttel.
"Ruttensteiner war ein Problem für den ÖFB, weil der Schweif mit dem Hund gewedelt hat", erklärte ÖFB-Vizepräsident Johann Gartner im profil-Gespräch. "Der Willi hat geglaubt, er ist der Präsident. Wir haben dann gesagt: Hallo, wir sind auch noch da. So geht's ja nicht." Ruttensteiner habe den ÖFB "wie sein Unternehmen geführt",beklagte Gartner, "der Schöttel lässt sich auch etwas einreden."
Schöttels erste Amtshandlung illustrierte den neuen Kurs: Diplomatie statt Dominanz. Er erhielt den Auftrag, drei Teamchef-Kandidaten zur Wahl vorzulegen-und fand mit Andreas Herzog, Thorsten Fink und Franco Foda drei grundverschiedene Fußballlehrer. Einer, der bei der Teamchef-Wahl dabei war, erzählt profil: "Schöttel wurde nach seiner Präferenz gefragt. Aber er hat nur gesagt: Ich kann mit allen drei leben." Schöttel erlegte zwei Fliegen mit einer Klappe: Er entledigte sich seiner Verantwortung und überließ den Amateur-Funktionären ihr Spielzeug: die Teamchef-Kür.
In Eigenregie wurde Schöttel zum Unsichtbaren. Während sein Vorgänger alle Macht an sich riss, schob Schöttel Entscheidungen weg, installierte neue Abteilungsleiter, gab Kompetenzen ab. Im Dickicht der vielen Aufgaben versuchte er, einen Überblick zu bewahren: Als ÖFB-Sportdirektor ist er nicht bloß für das Nationalteam zuständig, sondern für die Talenteförderung, die Nachwuchsteams, die Trainerausbildung, den Frauenfußball, den Breitensport. "Ich möchte die Abteilungen selbstständig arbeiten lassen", betonte Schöttel einmal gegenüber profil. "Mein Vorgänger legte Wert darauf, die Trainerausbildung zu leiten. Das wollte ich gar nicht." In Mitarbeiterkreisen soll Schöttel höhere Beliebtheitswerte genießen als Ruttensteiner, der oft wie ein Berserker agierte. Schöttel wird zwar als schwacher Sportchef gesehen, aber als angenehmer Vorgesetzter.
Ich würde mir nicht sagen trauen, dass das die beste Generation ist, die wir je hatten."
Der Wahlburgenländer hat nichts vom verbissenen Ehrgeiz seines Vorgängers, ist nicht unnahbar, sondern führt gern Small Talk. Auch harte Fragen pariert er mit einem Schmunzeln. Als er vom Internetportal 90minuten.at als "lethargischer Sportdirektor" bezeichnet wurde, entgegnete er ohne Regung: "Ich bin halt so, wie ich bin."Manchmal gewinnt man den Eindruck: Der Mann verfügt über ein gesundes Maß an Gleichgültigkeit, was seinem Wohlbefinden sicher guttut. Jenem des ÖFB aber weniger.
Anfangs holte der neue Teamchef Sieg um Sieg-in Testspielen. Sobald es ernst wurde, nahm Foda seine Spieler an die Leine, sprach von Kontergefahr und Vorsicht. Schöttel und Foda denken ähnlich über Fußball, beide ziehen die Absicherung dem Angriff vor. Der ÖFB hatte Losglück, qualifizierte sich mit Ach und Krach für die an Teilnehmern aufgestockte Europameisterschaft. Doch die Spielweise wurde zum Problem-sie wurde unansehnlicher. Schlussendlich blieben dem Ergebnisfußball die Ergebnisse aus.
Die großen Fehler wurden offensichtlich: Schöttel hatte bei der Teamchef-Wahl nicht auf die Vorzüge seiner Spieler geachtet, die bei ihren Klubs mutig und forsch agieren-und nun von einem Vorsichtsapostel trainiert wurden. Vor der EM im vergangenen Juni eskalierte die Situation. Einige Spieler und Betreuer hatten Angst vor einer Blamage und übten (wie profil berichtete) intern Kritik. Kapitän Julian Baumgartlinger und Physiotherapeut Mike Steverding wandten sich an den damaligen ÖFB-Präsidenten Leo Windtner-und an Schöttel. Windtner kam die Idee eines Fortbildungsseminars für Foda, das kurz vor der EM in einem burgenländischen Thermenhotel stattfand. Bei der EM, so ergaben profil-Recherchen, griffen einige Spieler dem Teamchef ins Lenkrad und setzten eine mutigere Spielweise durch. Schöttel erkannte die Probleme, hörte Kritikern verständnisvoll zu, überreichte dann aber doch dem kritischen Physiotherapeuten Steverding den von Foda geforderten blauen Brief.
Einer, dem Schöttel sein Leid klagte, erzählt gegenüber profil: "Schöttel hat eine halbe Stunde nur gejammert, dass die Beziehung zwischen Teamchef und Spielern im Argen liegt. Er hat gesagt: Franco ist schwierig, kein Kommunikator, er hat seine Autorität vor der Mannschaft verloren. Schöttel hätte eingreifen müssen. Aber stattdessen sagt er im nächsten Satz, dass er dem Teamchef nun öffentlich den Rücken stärken will."
Schöttel packte die Probleme nicht an, er deckte sie zu.
Auch er selbst steht in der Kritik. Bei einer Präsidiumssitzung im Februar 2021 forderte ihn der oberösterreichische Landespräsident und Rechtsanwalt Gerhard Götschhofer auf, endlich ein Konzept zu präsentieren. Als Schöttel zum fast einstündigen Referat ausrückte, gab es keine Nachfrage. Ein hoher ÖFB-Angestellter betont gegenüber profil, dass es schwierig für die Männer im Präsidium sei, ohne Fachkenntnis "die Personalie Schöttel zu evaluieren".
Nach dem peinlichen Abschneiden in der WM-Qualifikationsgruppe F hinter Dänemark, Schottland und Israel wurde im ÖFB Schöttels Rauswurf überlegt. Sein unbefristeter Vertrag hätte das durchaus ermöglicht. Dann aber säßen ausschließlich Amateurfunktionäre an den Schalthebeln. Und die machen traditionell keine gute Figur: ÖFB-Präsident Gerhard Milletich, 66, Verlagschef aus dem Burgenland und seit Oktober in Amt und Würden, wirkt rhetorisch und inhaltlich überfordert. Als ehemaliger Obmann des SC/ESV Parndorf wisse er, "wie der Hase läuft", erklärte er beim Amtsantritt der "Kronen-Zeitung". Unter seinen Kollegen hat er Feinde, die nur darauf warten, dass der Präsident in Fettnäpfchen tritt. Hahnenkämpfe sind programmiert. Zuletzt ging Milletich auf die Suche nach Souffleuren, um nicht ausschließlich von Schöttels Expertise abhängig zu sein. Ein Treffen mit dem Ex-ÖFB-Trainerausbildner Thomas Janeschitz bestätigte er dem "Kurier". Dieser habe ihm gesagt, "dass er frei und zu haben ist, falls ich ihn brauche. Wofür auch immer." Wenig später hielt der Präsident entschlossen fest: "Eine Baustelle Schöttel mache ich jetzt sicher nicht auf."
Brachliegende Baustellen sind im ÖFB keine Seltenheit: Foda wurde trotz interner Bedenken in das WM-Entscheidungsspiel gegen Wales geschickt. Nun wird Schöttel der große Umbruch anvertraut, obwohl ihm das offenbar niemand zutraut. Sicherheitshalber wurde dem Sportchef geraten, Experten einzubeziehen. Auf profil-Nachfrage erklärt Schöttel: "Ich bin in engem Kontakt mit Leuten, denen ich vertraue und die mich unterstützen."
Mit 15 Teamchef-Kandidaten will Schöttel sprechen. Die Landesfürsten wollen Ende April zur Wahl schreiten. Ex-Dortmund-Trainer Peter Stöger gilt als Favorit auf den Posten. Doch ähnlich wie Foda verfolge dieser einen "eher defensiven" Spielstil, der wohl "nicht zu diesen Spielern" passe, warf Ex-Teamspieler Florian Klein ein. Längst müsste Klarheit herrschen, welcher Spielstil verfolgt werden soll. Doch Schöttel klagt: "Die Mannschaft ist nicht einfach zu führen." Es gäbe Pressing-Monster in der Truppe, aber auch Ballverliebte, was ihm die Festlegung einer Spielweise erschwere. Schöttel erntete rasch Widerspruch. Teamspieler Stefan Lainer betonte auf profil-Nachfrage: "Das ist ja lächerlich, es daran festzumachen, dass da zwei Gruppen wären. Das eine schließt das andere nicht aus."
Schöttel darf sich nicht mehr verstecken, fordern viele im ÖFB. Doch er könnte erneut ein Schlupfloch finden. "Drei oder fünf Kandidaten" wolle er den Entscheidungsträgern vorschlagen. "Und wenn es gewünscht ist, wird es eine klare Empfehlung von mir geben."
Der oberösterreichische Landespräsident Götschhofer, der einst nicht für Schöttel stimmte, forderte zuletzt, dass dieser "die Aufgabe perfekt erledigen" und für "eine Aufbruchsstimmung" sorgen solle. Doch so weit will der Sportdirektor nicht gehen, stattdessen betont er präventiv: Es werde für jeden neuen Teamchef "wahnsinnig schwierig werden, weil er kaum Zeit zum Trainieren hat".
Eines muss man Peter Schöttel lassen: Er verspricht nicht zu viel.