ÖFB-Team: Keine Visionen in Sicht
von Gerald Gossmann
Eigentlich ist alles gut. Das österreichische Nationalteam hat sich für die Europameisterschaft qualifiziert und Franco Foda darf sich über den besten Punkteschnitt aller bisherigen Teamchefs freuen. Die nicht gerade mit Fußballerfolgen verwöhnte Fußballnation Österreich darf da wohl nicht unbescheiden sein. Doch ein genauer Blick auf die Statistik lässt immer mehr Zweifel aufkommen, ob sich aus den schönen Zahlen tatsächlich eine gute Entwicklung ablesen lässt.
Denn: die gute Statistik verdankt Foda auch den Freundschaftsspielen zu Beginn seiner Amtszeit: aus sieben Spielen holte Foda damals sechs Siege (darunter gegen Deutschland, Russland und Uruguay).
Seitdem liest sich das Zahlenmaterial holpriger, obwohl die Gegner in den Pflichtspielen einfacher wurden.
In der ersten Gruppenphase unter Foda, der UEFA Nations League, holte Österreich gegen Bosnien und Herzegowina nur einen von sechs möglichen Punkten, erreichte von drei Teams nur den zweiten Platz vor Nordirland. In der darauffolgenden EM-Qualifikation zog Fodas Team ein Glückslos: Österreich traf als Weltranglisten-23. auf Polen (20.), Slowenien (63.), Nordmazedonien (71.), Israel (92.) und Lettland (131.). Gegen das auf Augenhöhe liegende Polen erspielte Österreich bloß einen von sechs möglichen Punkten. Dazu patzte man gegen Israel und Lettland. Erreicht wurde das Minimalziel: Platz zwei. Gegen ein höher klassiertes Team konnte Foda bis heute kein Pflichtspiel gewinnen.
In Pflichtspielen liest sich die Bilanz auch wegen der einfachen Auslosung durchwachsen: Neun Siege, zwei Remis, fünf Niederlagen. Entwickelt sich Österreichs Nationalteam tatsächlich gut?
Foda verfügt über ein Starensemble, wie kein Teamchef vor ihm. Fast alle Spieler laufen bei Topklubs in Weltligen auf und tragen klingende Namen wie Alaba, Arnautovic, Sabitzer oder Lazaro. Und auch die zweite und dritte Reihe besteht aus hochwertigen Legionären, die zu Leistungsträger bei ihren Klubs zählen. Dazu wurden die meisten Spieler in ihren Vereinen auf giftigen Ramba-Zamba-Fußball getrimmt. Nun scheint es, als ob sie Foda an die Leine nehmen würde und die goldene Generation in ihrer Entwicklung bremst. Er könne hier nicht wie im Verein spielen, erklärte Teamspieler Stefan Lainer vergangenes Jahr: „Damit würde der Trainer wohl nicht einverstanden sein, weil hier ein anderer Fußball gespielt wird.“ Während im Klub Pressing angesagt sei, müsse man sich im Team „in der ein oder anderen Situation zurücknehmen und den Laden dicht halten“. Und Teamspieler Michael Gregoritsch äußerte nach dem jüngsten 2:1 gegen Norwegen sein Unverständnis, warum man nach dem 2:0 nicht einfach weiter nach vorne spielte, sondern sich zurückzog und damit den Gegner zurück ins Spiel kommen ließ. Den Erfolg führte er auf „eine gut eingespielte Mannschaft“ zurück, die sich seit „Ewigkeiten kennt, wo viele schon bei Red Bull zusammengespielt haben“. Daher, so Gregoritsch, würden „einfach die Automatismen sehr gut funktionieren“.
"Selten standen so viele Spieler zur Verfügung, die derart schablonenhaft eine bestimmte Philosophie eingeimpft bekommen haben."
Nun führen natürlich viele Strategien zum Erfolg. Eine defensive Ausrichtung kann genauso zielführend sein wie Powerfußball der Marke Red Bull. Doch in Österreich bietet sich eine Spielanlage an: Nachdem ein Gros der Mannschaft Pressing-Fußball verinnerlicht hat, hätte der Verband alle Personalentscheidungen auf den vorhandenen Spielerkader hin ausrichten müssen. ÖFB-Präsident Leo Windtner betonte aber vor einem Jahr in einem profil-Interview: „Allen bei uns war bewusst, dass Franco Foda ein absolut konsequenter Teamchef werden wird, der eine gute Expertise mitbringt. Die Details, welches System gespielt werden soll, sind nicht zwingend im Vorfeld zu fixieren. Es geht darum, ob er geeignet ist.“ Sprich: Der Verband hat die Kompatibilität von Spielern und Trainer nicht ausreichend berücksichtigt.
Dabei könnte Österreich ein Alleinstellungsmerkmal haben: Selten standen so viele Spieler zur Verfügung, die derart schablonenhaft eine bestimmte Philosophie eingeimpft bekommen haben. Teamchef Foda und Sportdirektor Peter Schöttel waren jedoch nie als Experten für Power-Fußball bekannt. Auch in Gesprächen betont Foda zwar gerne, wie offensiv er denke und wie weit vorne er attackieren möchte, relativiert dann aber in jedem zweiten Satz und streicht hervor, dass man dem Gegner auch nicht ins offene Messer laufen dürfe. Die Experten auf diesem Gebiet trainieren anderswo. Red Bull Salzburg hat jahrelang einen nach dem anderen herausgefischt: Zumeist waren es unbekannte Männer, die sich erst beim heimischen Spitzenreiter einen Namen machen konnten. Roger Schmidt, Adi Hütter, Marco Rose, Jesse Marsch – allesamt damals preislich leistbare Männer, die dem ÖFB kein Riesenloch in die Geldbörse gerissen hätten.
Foda hat oberflächlich betrachtet mit dem Nationalteam Erfolg und er versucht sich mit seiner Spielweise an die Gegebenheiten anzupassen – auch wenn er schwer aus seiner Haut kann und immer wieder seinem vorsichtigen Naturell folgt, auf Sicherheitsfußball setzt und am Ende mögliche Siege noch in Gefahr bringt, indem er zu früh auf Defensive umschaltet.
"Der Verband muss sich die Frage stellen, ob er das Beste aus den Möglichkeiten herausholt."
Was eine wenig akribische Personalwahl verursachen kann, zeigte sich zuletzt beim renommierten FC Bayern München. Dort war ein Spiegelbild der ÖFB-Situation sozusagen vor der Haustür zu beobachten. Mit Niko Kovac werkte dort ein Trainer, der mit seinen Spielern offensichtlich nicht zusammenpasste. Kovac ließ zwar auch offensiv spielen, aber nach Führungstreffern ordnete er immer wieder Rückzugsgefechte an. Die Logik dahinter: Wer führt sollte den Gegner kommen lassen anstatt weiter anzugreifen. Alles andere würde nur dem Gegner zu gezielten Konterattacken verhelfen. Immer öfter erwies Kovac seiner Mannschaft damit einen Bärendienst und nahm sie regelrecht aus dem Spiel. Die Stars der Bayern wurden in Gazetten geschmäht, von einem schlecht zusammengestellten Kader war die Rede und davon, dass die Abgänge der Leistungsträger Ribery und Robben nicht ersetzt werden konnten. Trotz gewonnener Meisterschaft wurde Niko Kovac nach einem 1:5 gegen Eintracht Frankfurt entlassen. Der relativ unbekannte Hansi Flick, bislang bloß Assistenztrainer, übernahm. Flick ließ Pressingfußball spielen, die Mannschaft stürmte fortan und zog sich auch nach einem 1:0, 2:0 oder 3:0 nicht zurück. Der FC Bayern spielte wie verwandelt. Der neue Trainer Flick holte 33 Siege – in 36 Spielen. Und: Er gewann nicht nur die Meisterschaft und den Pokal – sondern auch die Champions League. Sein Vorgänger Niko Kovac war ein Jahr zuvor noch mit einer Ultradefensivvariante früh im europäischen Königswettbewerb gescheitert.
Selten wurde im Fußballgeschäft so deutlich, was die Person des Trainers bewirken kann. Das österreichische Nationalteam befindet sich in einer ähnlichen Situation, ist auf jeder Position zweifach mit Topspielern besetzt, die in Deutschland hohes Tempo gehen, Pressingfußball spielen und für hohe Aufgaben gerüstet sind. Österreichs Fußballteam (derzeit 26. der Weltrangliste) tritt derzeit in der UEFA Nations League gegen Norwegen (44.), Rumänien (37.) und Nordirland (36.) an. Eine machbare Aufgabe. Österreich weist den klar besten Kader auf. Und die beste Weltranglistenplatzierung. Von einer Favoritenrolle möchte Trainer Foda aber nicht sprechen. Es sei eine ausgeglichene Gruppe, betont er immer wieder. Nach der jüngsten 2:3-Heimniederlage gegen Rumänien erklärte er: „Es ist nicht so, dass wir den Anspruch stellen, jedes Spiel zu gewinnen.“ Der rumänische Teamchef Mirel Radoi dagegen wiederholte nach dem Sieg: „Ich bleibe dabei, Österreich hat den weitaus besten Kader in der Gruppe“. Doch eine klare Entwicklung bleibt aus.
Der Verband muss sich die Frage stellen, ob er das Beste aus den Möglichkeiten herausholt. Und ob die auf Pressing-Fußball getrimmten Spieler nicht auch einen Experten für diese Art von Fußball zur Seite gestellt bekommen sollten. Bislang wirkt alles nach einem großen Kompromiss. Der ÖFB darf den Erfolg nicht an veralteten Erfolgskennzahlen messen: Mittlerweile nehmen 24 von 55 Verbänden an der Europameisterschaft teil – also beinahe die Hälfte. Man muss definieren, ob die bloße Qualifikation mit einem derart hochkarätigen Kader das Ende der Fahnenstange darstellen soll. Oder erst den Anfang.