Ökonomin Katharina Mader: "Der Gender Pay Gap ist ein Mutterschafts-Gap"

Ökonomin Katharina Mader: "Der Gender Pay Gap ist ein Mutterschafts-Gap"

Die Ökonomin Katharina Mader über vermeintliche Wahlfreiheiten bei der Kinderbetreuung und Karrierefrauen, die besonders viel im Haushalt arbeiten.

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Interview: Sebastian Hofer

profil: Warum ist Kinderkriegen für Frauen mit deutlich größeren Problemen verbunden als für Männer? Mader: Weil sie immer noch vor ökonomischen Hürden und gesellschaftlichen Barrieren stehen. Die Kombination aus beiden Faktoren ist länder- und kulturspezifisch unterschiedlich ausgeprägt. In Österreich wiegen beide Probleme schwer. profil: Wir brauchen uns also nichts auf unsere Fortschrittlichkeit einzubilden? Mader: Wir sind nach wie vor sehr konservativ geprägt. Die Idee von der idealen Mutter wurzelt tief und bestimmt den Alltag, etwa durch die weit verbreitete Ansicht, wie lange ein Kind bei der Mutter zu sein hat. Gleichzeitig sind unsere Karenzmodelle heute zwar besser denn je, aber in ihrer Bandbreite problematisch. profil: Ist die Flexibilität beim Kindergeld denn nicht positiv? Mader: Die Wahlfreiheit ist nur eine scheinbare; tatsächlich sind die verschiedenen Modelle klar schichtspezifisch zugeschnitten. Und die Frage nach dem Danach bleibt offen. Außerhalb von Wien gibt es keine flächendeckende Ganztagesbetreuung für Kleinkinder. Dann bringt auch das fortschrittlichste einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld gleichstellungstechnisch nicht viel: Irgendjemand muss die Kinder ja abholen.

profil: Wie könnte eine bessere Lösung aussehen? Mader: Island und Schweden haben eine hohe Einkommensabhängigkeit beim Karenzgeld und gleichzeitig eine stärkere Verpflichtung zur Aufteilung der Karenzzeit zwischen den Eltern. Das verringert den Wettbewerbsnachteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Auch Männer tragen das Karriererisiko einer Elternschaft. profil: Welches Risiko? Mader: Die Tatsache, dass Frauen möglicherweise Mütter werden könnten, bedeutet für viele Arbeitgeber, dass sie schon bei der Einstellung geringer eingestuft werden. Dass Männer wesentlich häufiger ihren Arbeitsplatz wechseln, wird nicht adäquat eingepreist. Der Gender Pay Gap ist im Wesentlichen auch ein Mutterschafts-Gap. profil: Österreich hat eine sehr hohe Frauenerwerbsquote, wobei es sich überwiegend um Teilzeitjobs handelt. Ist das prinzipiell problematisch? Mader: Es ist zumindest ein zweischneidiges Schwert. Teilzeitbeschäftigung war eine feministische Errungenschaft. Damit lassen sich Familie und Erwerbsarbeit verbinden. Aber es sind immer noch fast ausschließlich Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Es gibt frauenspezifische Sektoren, die de facto nur Teilzeitjobs anbieten. Die Wahlfreiheit stellt auch hier keine echte Freiheit dar. Und die Folgen im Alter sind massiv: Der unbereinigte Gender Pay Gap liegt in Österreich bei 20 Prozent, der Pensions-Gap beträgt 40 Prozent.

profil: Wie kann man die Situation verbessern? Mader: Durch flächendeckende Kinderbetreuung für Kleinkinder und Nachmittagsbetreuung in der Schule – und durch eine Debatte über den Wert unbezahlter Familienarbeit. profil: Schlagen Sie gerade eine Herdprämie vor? Mader: Nein, Familienförderung muss mit gleichstellungspolitischen Maßnahmen verknüpft werden. Mit einer reinen Bezahlung von Familienarbeit werden die klassischen Rollen nur zementiert. In internationalen Studien sehen wir erstaunlicherweise eine U-Kurve in der Verteilung der unbezahlten Arbeit: Frauen, die einen sehr niedrigen Anteil zum Haushaltseinkommen beisteuern, übernehmen sehr viel unbezahlte Arbeit. Gleichzeitig leisten auch Frauen, die einen Großteil des Haushaltseinkommens tragen, einen Großteil der unbezahlten Arbeit. profil: Wie kann man das erklären? Mader: Jedenfalls nicht ökonomisch. Das ist eine Frage der Psychologie oder der Soziologie. Wir haben es mit Rollen- Überkompensation zu tun: Männer, die nicht die Rolle des Ernährers übernehmen können, verweigern die Familienarbeit, um wenigstens diesen Teil der männlichen Rolle zu erfüllen. Bei Frauen, die ihrer klassischen Rolle entkommen, verhält es sich umgekehrt. Die Kultur wiegt manchmal schwerer als die Ökonomie.

Zur Person

Katharina Mader, 37. Die studierte Volkswirtin ist als Assistenzprofessorin am Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuni Wien tätig. Forschungsschwerpunkte: feministische und politische Ökonomie, Care-Ökonomie, Ökonomie des öffentlichen Sektors. 2017 wurde sie für ihre Forschung über unbezahlte Arbeit mit dem Wiener Frauenpreis ausgezeichnet. Mader ist Mutter zweier Kinder und derzeit in Karenz.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.