Immerhin: Österreich musste nicht zwanghaft protestieren.
WM-Tagebuch

Österreich boykottiert Fußball-WM: Die Rache der Scheichs

Warum die rot-weiß-rote Abwesenheit in Katar gut und schlecht zugleich ist – und am Ende doch noch die Deutschen gewinnen könnten.

Drucken

Schriftgröße

Als Österreicher darf man sich derzeit einfach gut fühlen: Man boykottiert heldenhaft die WM. Genau genommen tut das die österreichische Nationalmannschaft, und die hat im vergangenen Vierteljahrhundert auch jede andere WM „boykottiert“ –  aber jetzt, wo in Katar Menschenrechte und Korruption verhandelt werden, fühlt sich das endlich einmal richtig gut an. Zum ersten Mal gibt es einen Lohn für sportliches Versagen: moralische Überlegenheit.

Ein bisschen Wehmut kommt bei aller Philanthropie trotzdem auf. Unter dem neuen Teamchef Ralf Rangnick hat Österreich zuletzt Vizeweltmeister Kroatien besiegt, gegen Weltmeister Frankreich remisiert – und am WM-Eröffnungstag (außer Konkurrenz) Europameister Italien geschlagen. Vorgänger Franco Foda ist noch an Wales gescheitert (weshalb man nun in Katar fehlt), und Wales ist seinerseits blamabel in Katar gescheitert. Ein kurzes inneres Brummen kann man dem boykottierenden Österreicher da nicht verdenken.

Möglicherweise traut sich aus politischer Korrektheit niemand so zu tricksen wie die Brasilianer.

Der geübte Landsmann weiß sich aber zu trösten. Deutschland ist immerhin auch schon wieder zu Hause – und das bereits nach der Vorrunde. Das kommt nicht ungelegen. Nur eines ist dem Österreicher lieber als der eigene Erfolg: der Misserfolg des anderen. Da ist es auch egal, ob man (wie 1978 in Córdoba) den großen Nachbarn selbst mit nach Hause nimmt oder andere die Drecksarbeit machen (in diesem Fall Spanier und Japaner).  

Die Freude darüber trübt nur ein Blick auf die eigene Misere: 1998 (also in der Urzeit des Fußballs) war Österreich zum letzten Mal bei einer WM dabei. Dabei müsste der Österreichische Fußballbund (ÖFB) den Vergleich mit der Weltspitze nicht scheuen. Die ganz große Korruption verbucht zwar weiterhin die FIFA, eine kleine Inseraten-Affäre gelingt aber auch dem ÖFB. Verbandspräsident Gerhard Milletich, ehemaliger Parndorf-Obmann und im Brotberuf Verleger, wird vorgeworfen, sein Ehrenamt ausgenützt zu haben, um Inserate für seine Magazine zu keilen. Andererseits: Kameruns Verbandspräsident und FIFA-Botschafter Samuel Eto’o hat in Doha gerade einem YouTuber gegen den Kopf getreten und wurde dabei gefilmt. Es ist nicht alles schlecht an den heimischen Funktionären.

Womöglich erweist sich der heimische „WM-Boykott“ ja wirklich als Glücksfall. So konnte der ÖFB-Präsident erst gar nicht in Versuchung geraten, bei einem Stelldichein mit dem FIFA-Boss um Inserate zu bitten. Dazu blieb dem ÖFB erspart, Protestaktionen gegen homophobe Scheichs und korrupte FIFA-Funktionäre planen zu müssen. Ein Regenbogen-Ausdruckstanz von Arnautović und Alaba hätte zwar durchaus seinen Reiz gehabt – aber auch schnell für Ärger sorgen können. Die Protest-Inszenierung des Deutschen Fußball-Bundes (elf Kicker fühlen sich von der FIFA entmündigt und halten sich aus Protest den Mund zu) wurde von der Presse und verbandsintern verrissen. Man habe sich nicht auf das Wesentliche konzentriert: den Weltmeister-Titel zu gewinnen. Der oberste DFB-Manager und Chefdramaturg Oliver Bierhoff ist bereits seinen Job los.

Dabei haben es die Deutschen mit ihren Protest-Bemühungen nur gut gemeint: Sie wollten aufzeigen, dass Katar und die FIFA Menschenrechte und Moral mit Füßen treten. Mit sich selbst sind sie da weniger streng: Seit Tagen wird der Kopf des Bundestrainers Hansi Flick gefordert. Dieser sei zu freundlich, schreie niemanden an. Deutsche, die vor Kurzem noch rückständige Kataris bekehren wollten, sehnen nun einen Diktator herbei. Die deutsch-koreanische Regisseurin Cho Sung-hyung hat vor zehn Jahren einen Film über die DFB-Frauenmannschaft gedreht. Der DFB funktioniere wie ein „totalitäres System“, sagte sie nun, er missbrauche sein Fußballteam „für scheinheilige gesellschaftlich relevante Veranstaltungen“. Fazit: Sie arbeite „lieber in Nordkorea als mit dem DFB“. 

Das ist dann wohl doch etwas übertrieben. Menschenrechte stehen in der Bundesrepublik über allem. Außer natürlich, „die Mannschaft“ scheidet in der Vorrunde aus. Da blicken Fernsehmoderatorinnen schnell grimmiger drein als die gemeinhin recht freundlich lächelnden Scheichs. 

Vielleicht ist das Lächeln der Scheichs aber nur Fassade – und sie hecken im Hinterzimmer teuflische Pläne aus. Es war schon bemerkenswert, dass ausgerechnet im nicht gerade für seine Frauenrechte bekannten Emirat erstmals eine Frau ein WM-Spiel leiten durfte – und zwar das für Deutschland alles entscheidende Duell gegen Costa Rica. Möglicherweise war das die subtile Rache der Scheichs (in Kooperation mit der FIFA), nach dem Motto: Da habt ihr euren Feminismus. Jetzt pfeift euer Endspiel nicht einer der besten Schiedsrichter der Welt, sondern die Quotenfrau. Das mit der Quotenfrau hat übrigens ein Fachmann (aus der nicht unter Patriarchatsverdacht stehenden Schweiz) ins Spiel gebracht. In Europa gebe es „30 Schiedsrichter, die viel stärker sind“, kritisierte der Ex-FIFA-Schiedsrichter Urs Meier. Wer nehme denn da „die Nummer 31 oder 32 mit, wenn ich nur zwölf europäische Schiedsrichter nominieren darf“. Das klang etwas verbittert (Verlust der Männerdomäne und so), aber auch nicht ganz unwissenschaftlich. Allerdings gilt die Französin Stéphanie Frappart als beste Schiedsrichterin der Welt. 

Nachdem das letzte heikle Thema der WM in Katar (nämlich eine Frau unter Männern) damit endlich abgehakt ist, können sich Männer und Frauen nun dem Sport widmen. Die letzten Entscheidungsspiele stehen an – und im Achtelfinale hat Brasilien (neben Portugal, den „Brasilianern Europas“) den besten Eindruck hinterlassen. Der Rest spielte brav, kämpfte anständig, es war spannend, aber Fußballzauber blieb die Ausnahme. Ein Grund dafür könnte die um sich greifende Vorsicht vor kultureller Aneignung sein, die derzeit so verpönt ist wie sonst nur ein Scheich ohne Regenbogenhut. Möglicherweise traut sich aus politischer Korrektheit niemand so zu tricksen wie die Brasilianer. 

Aber diese WM ist unberechenbar geworden. Zum Bösewicht des Fußballfestes wären am Ende fast die Brasilianer geworden. Der Grund: Sie tanzten nach jedem Tor. Das klingt harmlos. Aber: Fußballlegende Roy Keane fand die Tanzerei „dem Gegner gegenüber sehr respektlos“. Es wäre also fast zum Problemfall geworden, dass die Brasilianer – nach eigener Aussage – zehn weitere Tänze einstudiert (aber gegen Kroation dann ohnehin nichts mehr zu tanzen) hatten.

Und auch Österreich muss sich sorgen. Der DFB soll nach der Blamage von Katar Interesse an ÖFB-Teamchef Rangnick zeigen, der hierzulande als Retter in letzter Not gefeiert wird. „Nehmen uns die Deutschen unseren Teamchef weg?“, titelte die „Krone“. Möglicherweise ja – als Nachfolger von DFB-Manager Bierhoff. Weggefährten beschreiben Rangnick nicht nur als kompetent, sondern durchaus auch als herrisch – sogar geschrien soll er schon einmal haben. Damit würde er perfekt ins Anforderungsprofil des DFB passen. Und für den Österreicher würde das wieder einmal eine alte Fußballweisheit bestätigen: Am Ende gewinnen immer die Deutschen.

Gerald Gossmann

Gerald Gossmann

Freier Journalist. Schreibt seit 2015 für profil kritisch und hintergründig über Fußball.