ÖSV: Anna Fenninger und die alten Herren
So ein Spektakel kann nur in Österreich stattfinden, nirgendwo sonst auf der Welt: Der Präsident des Skiverbands lädt, mitten im Sommer, zu einer Pressekonferenz in Wien ein – und schon eine Viertelstunde vor deren Beginn kann man den Ort des Geschehens vor lauter Gedränge kaum mehr betreten. Zwölf große TV-Kameras sind aufgebaut, etwa 60 Journalisten steigen sich gegenseitig auf die Füße. Als der Präsident zur Tür hereinkommt, kennen die Fotografen kein Halten mehr. Wie eine Wand bauen sie sich vor dem klein gewachsenen älteren Herrn auf, minutenlang hört man nur noch das Dauerfeuer der Kamera-Auslöser.
Am Anfang war das Klima frostig. Zum Schluss haben wir gesagt: ‚Lieben wir uns? Ja, wir lieben uns!‘
Peter Schröcksnadel, seit einem Vierteljahrhundert Präsident des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), genießt die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums sichtlich und erzählt zunächst einmal ausführlich über seinen Verein. Erst nach etwa 15 Minuten zeigt Schröcksnadel Erbarmen und widmet sich dem wirklich Wichtigen: „Die Anna und ich haben uns gestern in Innsbruck getroffen. Sie wird alle unsere Regeln akzeptieren.“ Für diverse unschöne Behauptungen auf Facebook habe sich die Sportlerin entschuldigt, erzählt Schröcksnadel. Die Versöhnung dürfte filmreif abgelaufen sein: „Am Anfang war das Klima frostig. Zum Schluss haben wir gesagt: ‚Lieben wir uns? Ja, wir lieben uns!‘“
An dieser Stelle hätte der ÖSV eventuell noch ein romantisches Violinsolo einspielen und Bühnennebel aufsteigen lassen können. Wenn das Schicksal eine so unerwartet günstige Wendung nimmt, darf man ja ruhig etwas klotzen. Beim nächsten Mal vielleicht. Ansonsten war die Inszenierung am Donnerstag vormittag vergangener Woche aber perfekt. Der Präsident wirkte hochzufrieden.
Leider können manche mit der Wahrheit nicht umgehen. Sie tun alles, um mich fertigzumachen und sind am besten Weg dazu
Anna Fenninger ist Olympiasiegerin, dreifache Weltmeisterin und hat zwei Mal den Gesamtweltcup gewonnen. Dennoch lag der Skiverband seit Monaten im Clinch mit ihr. Auslöser der jüngsten Eskalation war ein im profil erschienenes Inserat, auf dem der Autokonzern Mercedes mit Fenninger warb. Für den ÖSV galt das als schwerer Affront; schließlich ist der Mercedes-Konkurrent Audi Teamsponsor und genießt damit Exklusivität. Auf das Wutgeheul der Funktionäre antwortete Fenninger mit einem langen Eintrag auf ihrer Facebooksite, der innerhalb weniger Stunden von mehr als 100.000 Fans unterstützt wurde. Die 26-Jährige klagte in dem Text unter anderem über die Frauenfeindlichkeit des Skiverbands, über gebrochene Versprechen und Lügen. „Leider können manche mit der Wahrheit nicht umgehen. Sie tun alles, um mich fertigzumachen und sind am besten Weg dazu.“
Kurz sah es so aus, als müsse die derzeit beste Rennläuferin der Welt ihre Karriere beenden. Im skiverrückten Österreich wäre das eine nationale Katastrophe. Doch nun werden reihum Schultern geklopft, und sogar der Sportminister fühlte sich veranlasst, das Happy End zu kommentieren: „Dieser Konflikt hat ganz Österreich bewegt. Anna Fenninger ist unsere erfolgreichste Skisportlerin. Ich freue mich, dass sie dem österreichischen Sport auch zukünftig erhalten bleibt“, textete Gerald Klug.
Alles wieder gut? Na ja.
Der Streit ist nicht nachvollziehbar. Und schon gar nicht, dass er über Facebook ausgetragen wird (Benni Raich)
Bei Licht betrachtet stehen beide Seiten ziemlich beschädigt da: Anna Fenninger, weil sie erst so dick aufgetragen hatte und dann klein beigeben musste wie ein beim Rauchen ertapptes Schulmädchen. Der ÖSV, weil in diesem Konflikt die weniger sympathischen Seiten von Österreichs mächtigstem Sportverein sichtbar wurden. Im ÖSV herrscht ein beinhartes Reglement, und keiner legt sich ungestraft mit dem Präsidenten an. Es war nicht schön anzusehen, mit welcher Bereitwilligkeit einige Athleten der Kollegin in den Rücken fielen. „Sie hatte die besten Möglichkeiten. Der Streit ist nicht nachvollziehbar. Und schon gar nicht, dass er über Facebook ausgetragen wird“, sagte etwa Benjamin Raich. So etwas hört Peter Schröcksnadel natürlich gerne. Dafür kriegt der brave Benni sicher ein paar Pluspunkte.
Will er die Österreicherin in sein Heimatland locken? Anna für Deutschland? Das wäre ein Schock für unsere Skination (Kronen Zeitung)
Einmal mehr erwies es sich auch als problematisch, dass der ÖSV sowohl mit dem ORF als auch mit der „Kronen Zeitung“ so eng verbandelt ist. Die reichweitenstärksten Medien des Landes sind zugleich Werbepartner des Skiverbands. Entspannte Berichterstattung wird da natürlich schwierig. Die „Krone“ behalf sich, indem alle mit der Causa betrauten Redakteure über Fenningers Manager Klaus Kärcher herfielen. Das war praktisch; der Mann hat hierzulande ja keine Fans. „Wenn ihr schwäbischer Manager nicht jenseits von Gut und Böse ist (was ich aber keinesfalls ausschließen würde), plant er mit dieser Aktion etwas: Will er die Österreicherin in sein Heimatland locken? Anna für Deutschland? Das wäre ein Schock für unsere Skination“, fantasierte ein „Krone“-Kommentator noch am Mittwoch. Exklusivinformationen bekam das Blatt allerdings nicht. Bis zu Schröcksnadels großem Auftritt rechnete die „Krone“ fix mit Fenningers Karriereende im ÖSV.
Wer in diesem Konflikt wann worüber gelogen hat, wird sich nicht mehr klären lassen. Ein anderer Vorwurf aus Fenningers Facebook-Abrechnung ist aber recht leicht zu verifizieren. Die Wertschätzung des Skiverbands gegenüber Frauen erinnere an frühere Zeiten, hatte die Sportlerin geschrieben. „Füge ich mich dem System? Sollte ich akzeptieren, dass ich als Frau immer zurückstecken muss?“
Männerbund
Der ÖSV ist tatsächlich eine Art Männerbund. Unter den 17 Mitgliedern der Präsidentenkonferenz gibt es nur eine Frau, unter den elf sportlichen Leitern ebenfalls. In die Gremien des Internationalen Skiverbands (FIS) entsendet der ÖSV 41 Männer und drei Frauen. Die Mitarbeiterliste des Verbandsbüros weist ein paar Frauen mehr auf – allerdings fast ausschließlich in den Sekretariaten und in der Buchhaltung. In einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ bestätigte der ehemalige Skirennläufer Kilian Albrecht Fenningers Einschätzung. Der ÖSV lebe noch im letzten Jahrhundert, sagte Albrecht. „Frauen kommen nur gelegen, wenn die Herren grad mal nicht so gut sind und sie die Medaillenbilanz auffetten können.“
Peter Schröcksnadel rühmt sich zwar damit, dass er zu Amtsbeginn mit einer Intervention bei den Skifirmen höchstpersönlich den Damenrennsport gerettet habe. In Gleichbehandlungsagenden ist der 73-Jährige aber eventuell nicht auf dem neuesten Stand. Angesprochen auf Fenningers Kritik, konterte der Präsident mit privaten Forschungsergebnissen zur seltsamen Spezies Frau. Es sei immer eine kritische Geschichte, wenn ein Mann ein Damenteam trainiere, dozierte Schröcksnadel. Männer und Frauen sprächen nämlich leider nicht dieselbe Sprache. „Wenn ich im Auto sitze und ich muss aufs Klo, dann sag ich: ‚Bleib stehen, ich muss aufs Häusl.‘ Eine Frau wird sagen: ‚Schatzi, magst nicht stehenbleiben und einen Kaffee trinken?‘“ Während der Präsident so munter dahinplauderte, saß ÖSV-Generalsekretär Klaus Leistner, auch schon ein älterer Herr, daneben und grinste. Unter Männern kann das Leben so einfach und lustig sein.
Das Preisgeld bei den Damenrennen ist niedriger, und die Sponsoren zahlen weniger
Fakt ist, dass Frauen im Skisport deutlich weniger verdienen als Männer. Das sei aber nicht die Schuld des ÖSV, sagt Johann Hosp, Vater und Manager der vor Kurzem zurückgetrenen Nicole Hosp. „Das Preisgeld bei den Damenrennen ist niedriger, und die Sponsoren zahlen weniger.“ Dass um Marcel Hirscher, den Superstar des Herrenteams, auch vonseiten des Verbands mehr Aufwand betrieben wird, leugnet nicht einmal der Präsident. Fenninger sei aber „nicht viel schlechter gestellt“, behauptet er.
Toni Innauer war Skispringer und später sehr erfolgreich als Direktor des Bereichs Sprunglauf und Nordische Kombination tätig. Er kennt die Gepflogenheiten also gut. „Der Spitzensport allgemein ist ein Macho-Betrieb“, findet er. Auch in der öffentlichen Darstellung von Sport gehe es ja meistens um Kraft und Überlegenheitsposen – „eben um diese ganze Testosterongeschichte“. Ungleichheiten seien nicht so einfach zu beseitigen. So würde sich der ÖSV nach Innauers Meinung sicher nicht weigern, auch einmal eine Trainerin zu beschäftigen. „Aber es gibt einfach keine Frauen in diesem Job. Und den meisten Läuferinnen ist es auch lieber, wenn sie von einem Mann trainiert werden. Eine Frau hätte es von Anfang an viel schwerer, sich durchzusetzen.“
Es sind aber beileibe nicht immer nur Frauen, die sich im ÖSV ungerecht behandelt fühlen. Den bisher mit Abstand größten Knatsch gab es vor 18 Jahren mit dem Skispringer Andreas Goldberger. Auslöser war zwar der (angeblich einmalige) Koks-Konsum des jungen Mannes. Doch gestört hat den Skiverband damals auch die Tatsache, dass Goldberger einen eigenen Manager beschäftigte, der den Funktionären ins Handwerk pfuschte. Die Auseinandersetzung eskalierte derartig, dass Goldberger vorübergehend die serbische Staatsbürgerschaft annahm, weil der ÖSV ihn nicht mehr springen lassen wollte. Irgendwann einigte man sich, mit wortreicher Unterstützung durch den damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, doch noch und Goldi konnte den serbischen Pass wieder zurückgeben.
Der Skiverband lässt jeden jungen Sportler einen Athletenvertrag unterschreiben, der die Rechte und Pflichten bis zum Karriereende regelt. Das System ist perfekt für den Nachwuchs, weil die jungen Talente sich praktisch um nichts mehr kümmern müssen und der ÖSV alles bezahlt. Wird aus dem Talent ein Seriensieger, beginnen die Probleme. „Natürlich gibt es Manager, die für den Sportler individuell mehr Geld herausholen können als der ÖSV“, sagt Toni Innauer. Beide Seiten müssten da eben mit Augenmaß arbeiten. „Aber die wichtigste Frage ist, wie der Skiverband mit den Leuten umgeht, solange sie noch nicht ganz oben sind, oder wenn es zwischendurch einmal schlechter läuft. Mit Sicherheit haben sich bei Anna Fenninger in der Vergangenheit ein paar Kränkungen angesammelt.“ Die Dominanz des Präsidenten habe für den ÖSV zwei Seiten, meint Innauer. „Es wurde Großartiges geschaffen. Aber in seinem Windschatten residiert eine Golden-Boys-Connection schon zu lange und blockiert die überfällige Verjüngung.“
Klaus Kärcher, Fenningers Manager, hat mittlerweile klargestellt, dass er weiter für die Skifahrerin arbeiten wird. Peter Schröcksnadel will den Deutschen aber nicht mehr sehen und nie mehr etwas mit ihm zu tun haben. Eine Fortsetzung des Kleinkriegs ist also wahrscheinlich.