„Plötzlich bauen sich meterhohe Wellen vor dir auf“
profil: Herr Zajac, coronabedingt mussten die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben werden. Wie bereitet man sich auf ungewisse Wettkämpfe vor?
Zajac: Gefühlt waren Barbara und ich in einem ewigen Trainingslager. Als Sportler willst du nicht die ganze Zeit bei deinen Hausaufgaben sitzen – man will zur Schularbeit gehen und die Benotung bekommen, sich mit anderen Sportlern vergleichen und messen. Sportpsychologen raten in solchen Situationen: Solange ein Turnier nicht abgesagt ist, findet es statt.
profil: Wie haben Sie während der Pandemie trainiert?
Zajac: In der ersten Phase waren wir viel am Attersee. Das war schön, aber ein österreichischer See bietet ganz andere Bedingungen als ein Meer. Süßwasser fühlt sich ganz anders an als Salzwasser, es fehlt der Meereswind, man bekommt nur unberechenbare Fallwinde von den Bergen. Hinzu kam, dass wir während der Pandemie nicht mal legal eine Unterkunft beziehen konnten. Im hiesigen Yachtclub wurden wir abgeschottet, und es war schwierig, nach einem harten Trainingstag noch eine warme Mahlzeit zu bekommen.
profil: In den letzten Monaten konnten Sie zumindest in Italien trainieren. Fehlen Ihnen bei den Spielen in Japan nicht die Revierkenntnisse?
Zajac: Das ist ein großes Thema. Wir mussten heuer ständig zwischen Sardinien und Sizilien pendeln. Manchmal waren die Wellen und der Wind zu extrem, dann wieder ganz weg. In Japan sind die Wellen eine besondere Herausforderung, da wir genau in der Hurricane- und Taifunsaison segeln. Da bauen sich plötzlich meterhohe Wellen vor dir auf.
profil: Im Training messen Barbara Matz und Sie sich mit der Konkurrenz. Läuft man da nicht Gefahr, bereits in der Vorbereitung die ganzen Tricks zu verraten?
Zajac: Segeln ist nicht die Formel 1. Kein Messgerät kann dir am Ende des Trainingstages sagen, ob du schnell oder langsam warst. Wir müssen das am Wasser überprüfen, das ist eine ständige Kompromisslösung zwischen Geben und Nehmen.
profil: Je näher der Wettkampf rückt, umso verschlossener wird man?
Zajac: Spielchen sollte man mit Trainingspartnern nicht spielen. Das kann sich später rächen. Es hilft auch
nicht, sich die ganze Zeit langsamer zu machen. Die Kunst ist, die Konkurrenz stark zu machen, um im entscheidenden Moment noch besser zu sein.
profil: 2016 haben Sie mit Ihrer damaligen Segelpartnerin Tanja Frank die Bronzemedaille gewonnen. War damit nicht alles erreicht?
Zajac: Es war nicht klar, ob ich nach den Spielen von Rio weitermache oder mir mit Anfang 30 doch einen seriösen Job suche. Segeln heißt für mich: 250 Tage im Jahr im Ausland zu sein und bereits im September nicht mehr zu wissen, wie man das restliche Jahr finanziell überstehen soll.
profil: In Japan treten Sie mit Barbara Matz an. Was lernt man vom Segeln über Beziehungen?
Zajac: Im Boot kleben wir aneinander. Man kann sich auch nicht aus dem Weg gehen. Egal wie gut die Chemie ist, zu Spannungen kommt es immer. Man darf nicht vergessen: Ein Sportlerleben ist sehr emotional, man verliert vielleicht öfter, als man gewinnt. Man darf nur nie das gemeinsame Ziel aus den Augen verlieren.
profil: Wie geht man beim Segeln mit den Fehlern der Partnerin oder des Partners um?
Zajac: Wenn sich Barbara über einen Fehler ärgert, weiß ich, dass es ihr nicht egal ist. Dann muss ich mich selbst nicht mehr ärgern. Umgekehrt ist das gleich. Das Problem ist: Im Segeln weißt du oft erst hinterher, was das Problem war.
profil: Angestellt sind Sie beim Bundesheer. Wäre professionelles Segeln in Österreich sonst überhaupt möglich?
Zajac: Definitiv nicht. Die Aufnahme ins Heeressportzentrum war eine K.o.-Entscheidung während der Matura, ich musste unbedingt die Ergebnisse schaffen. Segeln ist ein enormer Aufwand, ein 20-Stunden-Job geht sich nebenbei nicht aus. Vom Bundesheer bekomme ich um die 1200 Euro, das reicht fürs Wohnen, für Essen und die Handyrechnung. Der Rest läuft über private Sponsoren.
profil: Was müsste sich in einer Sportnation wie Österreich ändern, um eine Sportart wie Segeln mehr Menschen zugänglich zu machen?
Zajac: Sportnation Österreich?
profil: Ein Fehler?
Zajac: So eine riesige Sportnation sind wir nicht. Man muss sich nur ansehen, wie viele Kinder Sport betreiben, in wie vielen Schulen Turnstunden wegfallen, wie schwierig der Zugang zu gewissen Sportarten ist. Viele Eltern können gewisse Trainings ihren Kindern gar nicht ermöglichen. Oft fehlt ein öffentlicher Zugang zu Sportstätten, zu Wasser und zu Segelmöglichkeiten. Das Paradoxe ist: Das Segeln gilt als elitär, dabei sind die Menschen, die diesen Sport ausüben, gar nicht so.
profil: In Japan repräsentieren Sie und Ihre Segelpartnerin Österreich auch als Fackelträger, Aufmerksamkeit bekommt Ihre Sportart aber kaum. Ärgert Sie das?
Zajac: Botschafter sind wir das ganze Jahr. Die Menschen wundern sich öfter, dass wir Österreicher überhaupt segeln können und so große Nationen wie Spanien, USA, England oder Australien schlagen. Österreich ist eben nicht nur Jodeln, Schnitzel und Berge. Natürlich fehlt uns in der Heimat noch der Fame, und viele haben hier ein falsches Bild vom Segeln. Die denken an ältere Herren, die am See herumschippern und ein Bierchen trinken.
Japanische Geisterspiele
Mit den FahnenträgerInnen Barbara Matz und Thomas Zajac treten insgesamt 75 österreichische Athletinnen und Athleten (davon 51 DebütantInnen) vom 23. Juli bis 8. August bei den Olympischen Spielen in Tokio an. Für Österreich ist es das größte Team seit Sydney 2000 (mit 94 TeilnehmerInnen), das in 20 der insgesamt 33 Sportarten – so viele gab es noch nie bei Sommerspielen – vertreten sein wird. Zu den größten heimischen Medaillenhoffnungen zählen Lukas Weißhaidinger (Diskus) und Jakob Schubert (Klettern), aber auch im Judo, Triathlon, Schwimmen, Rudern, Kanu, Mountainbike und eben Segeln werden den ÖsterreicherInnen Medaillen zugetraut. Mit Klettern, Karate und Skateboard schaffte man es sogar in drei der fünf neuen Sportarten an den Start. Die Spiele, die wegen der Corona-Pandemie bereits um ein Jahr verschoben werden mussten, werden heuer ohne ZuseherInnen stattfinden.