Out of Gunskirchen: Der Visionär und Bildhauer Josef Bauer
Graue Hose, grauer Pullover, graues Haar: Nichts an dem Künstler Josef Bauer wirkt auch nur ansatzweise glamourös. Gäbe es einen Wettbewerb auf dem Gebiet der Bescheidenheit, er wäre ein heißer Tipp. Im Grazer Kunstverein, wo der 79-Jährige gerade seine Ausstellung aufbaut, gibt er überaus freundlich Auskunft über sein Werk und seinen Werdegang. Ich wohne in einem kleinen Ort in Oberösterreich: Dieser Satz fällt in etwa fünf Mal im Laufe des profil-Gesprächs. Wie sich zeigen wird, ist die Bedeutung dieser Feststellung größer, als man vermuten könnte. Denn sie ist eine der Antworten auf die Frage, warum das Werk des einstigen Landwirtschaftskammerbeamten bis heute weiten Kreisen des Kunstbetriebs völlig unbekannt ist. Dabei nahm dieser unprätentiöse Mann Ideen vorweg, mit denen später andere Österreicher ohne ihn zu kennen international reüssierten.
Bereits Mitte der 1960er-Jahre lädt Bauer sein Publikum ein, mit amorphen Gebilden zu hantieren. Taktile Poesie nennt er das. Doch nicht er wird später in der Kunstszene dafür gefeiert, das Verhältnis zwischen Körper und Bildhauerei neu definiert zu haben, sondern der 13 Jahre jüngere Franz West: Dieser baut ab 1974 seine Passstücke amorphe Gebilde, die der Betrachter auch angreifen und halten soll. In den 1970er-Jahren fotografiert Bauer Frauen, die sich unter Stoffschläuchen umkleiden; für den flüchtigen Moment des Bildes erstarren sie kurz in ihrer Balance, werden zu vergänglichen Skulpturen. Jahrzehnte danach wird Erwin Wurm mit seinen One Minute Sculptures berühmt: Menschen nehmen flüchtig prekäre Positionen ein, er fotografiert sie dabei; seine 59 Stellungen, in denen er das Konzept 1992 erstmals probierte, erinnern frappant an Bauers Fotografien. Die Passstücke Wests, die One Minute Sculptures von Erwin Wurm: Das ist dieselbe künstlerische Diskussion, konstatiert Peter Assmann, Kurator einer bereits laufenden Bauer-Schau im Welser Museum Angerlehner.
Whos who in Oberösterreich
Nicht nur in der österreichischen Kunst jüngeren Datums lassen sich Parallelen zum Werk Bauers aufspüren: So holte er 1963 einen Stein aus der Traun, fotografierte ihn, goss ihn ab, zeichnete seinen Umriss und beschrieb ebendiesen Vorgang. Damit analysierte er die unterschiedliche Wahrnehmung von Dingen durch Bilder und Sprache. Wüsste man es nicht besser, man könnte Werke wie dieses für eine Arbeit des US-Konzeptualisten Joseph Kosuth halten, der längst Teil des Kunstkanons ist. Ich kannte Kosuth damals gar nicht, lächelt Bauer achselzuckend: Erst später habe ich seine Sachen in einer Zeitschrift entdeckt.
Die Liste der Einzelausstellungen des Josef Bauer, der in Gunskirchen nahe Wels lebt, liest sich wie ein Whos who der Kunstinstitutionen in Oberösterreich. Die allesamt in Wien angesiedelten Bundesmuseen blieben weitgehend säumig und das, obwohl sie auf dem Gebiet der Gegenwartskunst besonders heftig konkurrieren. Immerhin präsentierte das 21er-Haus kürzlich, als Teil der Sammlungsausstellung, eine Installation von Bauer. Kein Wunder, dass ihn auch keine große Galerie vertritt und dass Interessierte kaum Informationen über ihn finden: In den Bibliotheken lassen sich bloß wenige dünne Kataloge zu Bauers Werk aufstöbern. Wie konnte eine so visionäre Position im österreichischen Kunstgeschehen einfach übersehen werden?
Nun ist es keineswegs so, dass Bauer zeit seines Lebens ignoriert wurde. 1978 stellte er in der renommierten Galerie nächst St. Stephan aus. Museumsleute in Linz und Graz schätzten, was er produzierte. Sein künstlerisches Umfeld bestand aus den Dichtern der Wiener Gruppe, dem renommierten deutschen Künstler Hans-Peter Feldmann, Künstlern und Literaten rund um den Schriftsteller Heimrad Bäcker. 1993 hätte Bauer tatsächlich zum Sprung in den internationalen Kunstzirkus ansetzen können: Damals waren seine Arbeiten in der Ausstellung Das offene Bild in Leipzig und Münster zu sehen, gemeinsam mit jenen von Joseph Beuys und Yves Klein. Bauer, mit einem Hauch von Selbstironie: Da dachte ich, jetzt bin ich wer und komme groß raus. Und dann war ich wieder in Gunskirchen. Vielleicht, so überlegt er, habe er tatsächlich zu wenig unternommen in Sachen Karriere. Aber ich war am Land zufrieden und habe lieber Apfelbäume gezüchtet.
Dennoch hat Bauer eine kleine Fangemeinde. Sie besteht einerseits aus Kunstvermittlern, die wie Assmann einen Bezug zu Oberösterreich haben: Martin Hochleitner führt heute das Salzburg Museum und zeigte 2004 als Direktor der Linzer Landesgalerie ebendort Bauers Werk. Berthold Ecker, gebürtiger Oberösterreicher und Leiter der Kunstsammlung der Stadt Wien, kaufte für diese einige zentrale Arbeiten Bauers an. Der Künstler Andreas Reiter Raabe platzierte sie immer wieder in seinem Ausstellungsraum Gesso in Wien-Donaustadt; auch aktuell sind dort zwei Fotografien zu sehen. Andererseits entdecken zunehmend Kuratoren mit internationalem Hintergrund den Vergessenen die einstige 21er-Haus-Kuratorin Bettina Steinbrügge etwa, die demnächst den Hamburger Kunstverein führen wird, und der Niederländer Krist Gruijthuijsen, der seine aktuelle Grazer Schau ausrichtet.
Über die Gründe für Bauers Unterbewertung sind sich die meisten seiner Anhänger einig: Die Bescheidenheit des Künstlers habe sich als nicht gerade karriereförderlich erwiesen, ebenso wenig seine Verankerung auf dem Land. So erzählt Bauers Schicksal auch einiges über den hiesigen Kunstbetrieb. Gruijthuijsen sagt etwa: In Wien beschäftigt man sich zu wenig mit dem Geschehen in den Bundesländern. Darüber hinaus bringe der Museumsbetrieb kaum Interesse für Entdeckungen auf, findet Reiter Raabe. Auch Hochleitner kritisiert: Es wird immer mehr auf einzelne große Namen geschielt. Und Steinbrügge meint: Auch Museumssammlungen, die Kunstgeschichte manifestieren, orientieren sich am Zeitgeist und sammeln dementsprechend. Daher gehen manche Strömungen verloren.
Bauers angemessene Wiederentdeckung dürfte noch ein Weilchen auf sich warten lassen. Gibt es denn größere Projekte im nächsten Jahr? Bauer schüttelt den Kopf. Irgendwo in Ottakring werden im Jänner in einem kleinen Raum ein paar Sachen von mir gezeigt. Verschmitzt setzt er nach: Ich bin halt immer so an der Peripherie. Er wirkt nicht so, als würde er sich darüber besonders grämen.
Aktuelle Bauer-Ausstellungen
Grazer Kunstverein, Palais Trauttmannsdorff, Burggasse 4, 8010 Graz: Josef Bauer. Werke 1965Heute. Bis 23.2.2014. www.grazerkunstverein.org
Museum Angerlehner, Ascheter Straße 54, 4600 Thalheim bei Wels: Josef Bauer. Bis 26.1.2014. www.museum-angerlehner.at
Gesso, Donaufelderstraße 73, 5.04 B, 1210 Wien: Artists Using Photography. Bis 20.12.2013. Mi, Do 1619 und nach Vereinbarung, Kontakt: [email protected]