Neues aus der Väterforschung

Papa killt den Stress

Die Bedeutung des Vaters im Leben eines Kindes wurde bislang von der Wissenschaft (und oft auch von den Müttern) unterschätzt. Warum Väter bei der Stressbewältigung und Sprachentwicklung so wichtig sind und wie man Trennungen am besten lebt, erklären Experten.

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Der Vater, den Eberhard Schäfer in seinem Väterzentrum im Berliner Bezirk (mit der größten Kinderdichte der Stadt) Prenzlauer Berg gerade betreute, gehörte zu der Spezies der „besonders unglücklichen“: Sein Kind, das schon ein Jahr alt ist, hat er noch nie zu Gesicht bekommen; erst nach einem DNA-Test musste die Mutter, mit der er nur eine kurze Beziehung hatte, seine Vaterschaft anerkennen: „Bis der Mann sein Kind erstmals sehen kann, und dann auch nur in bescheidenem Umfang, werden noch einmal ein paar Monate vergehen“, ist der studierte Politologe und Therapeut Schäfer erfahrungsgemäß sicher. Rund 20 solcher Beratungen absolviert er wöchentlich in Deutschlands erstem und einzigem Väterzentrum, das er vor rund 15 Jahren gründete. Fragen von Scheidungsvätern, wie man nach der Trennung das System Doppelresidenz am besten bewältigen könne, gehören genauso zu seinem Alltag wie die Konflikte, die neue Viererkonstellationen von Elternschaft zwischen einem homosexuellen Männerpaar und zwei lesbischen Frauen mit sich bringen: „Da kann es passieren, dass alle Vereinbarungen des Co-Parenting bei ersten Reibereien plötzlich Schall und Rauch sind. Die Regenbogenfamilien, in denen alles reibungslos klappt, kommen ja selten zu mir.“ Ja, es gibt auch Väter, die niemals ein Kind mit ihrer Partnerin  wollten und plötzlich mit der Schwangerschaft konfrontiert werden: „Da muss man auch verstehen, dass die dann verstört sind. Und natürlich auch unterhaltspflichtig.“

 

Da kann es passieren, dass alle Vereinbarungen des Co-Parenting bei ersten Reibereien plötzlich Schall und Rauch sind.

Eberhard Schäfer, Therapeut und Leiter des Väterzentrums Berlin

Für Trennungsszenarien hat der Autor eines Väter-Handbuchs eine Faustregel: „Egal ob Doppelresidenz oder Nesting, wo die Kinder in einem Haushalt leben und abwechselnd von Vater und Mutter betreut werden – wichtig ist, dass beide Eltern das Konzept auch wollen und tragen können. Alles andere ist nicht gut für das Kind.“ Aber natürlich gibt es nicht nur Extremfälle, sondern auch „viele glückliche Väter“, die das Zentrum besuchen: „Die wollen sich dann austauschen, sich gegenseitig mit Tipps versorgen und ihre Vaterschaft auch ohne Begleitung der Mütter gestalten. Männer tun sich ja noch immer sehr schwer, ihre emotionalen Bedürfnisse auch zu äußern. Untereinander fällt ihnen das leichter.“

Tatsächlich erstaunt ihn selbst, dass die Forschung zur entwicklungspsychologischen Bedeutung der Väter noch so wenig in den Köpfen von Müttern und Vätern angekommen ist. Umso wichtiger sind Wissenschafterinnen wie  Lieselotte Ahnert, die sich dem Thema seit vielen Jahren widmet und kürzlich mit ihrem Buch „Auf die Väter kommt es an“ eine klare Ansage machte. Im Interview erzählt  Ahnert, die elf Jahre lang an der Universität Wien lehrte und selbst Mutter von zwei Kindern ist, warum Väter in manchen Belangen bessere Impulse geben können als Mütter, und ihren Stress reduzieren.  

Es existieren noch immer Väter-Typen, die sich vor allem dann um die Kinder kümmern, wenn es ihnen gerade in den Kram passt oder wenn auch Publikum dabei ist. 
Ahnert
Natürlich. Einer unserer Forschungsschwerpunkte gilt der Beziehung der Kinder zu ihren Vätern. Und ein Kind realisiert sehr schnell, ob es sich in dieser Beziehung um eine Luftblase handelt oder um echte Zuwendung. Wenn ein Kind sich die Frage stellen muss „Ist der Papa heute gut drauf? Kann er etwas mit mir anfangen, auch wenn kein Publikum da ist?“, dann ist da schon ziemlich viel faul. Solche ambivalenten Beziehungsstrukturen wirken sich verunsichernd auf das Kind aus. 
Immer wieder hört man von Vätern, die sich darüber beklagen, dass die Mütter ihnen im Umgang mit ihren Kindern zu wenig zutrauen.
Ahnert
Das ist sogar wissenschaftlich belegt. Wir nennen es „gatekeeping“. Die Mutter inszeniert sich als Torhüterin, die nur die väterliche Zuwendung zulässt, die sie für sinnvoll 
erachtet. Das ist natürlich vernünftig, wenn Väter zur Gewalttätigkeit neigen und Frauen ihre Kinder schützen müssen. Aber auch in normalen Konstellationen beobachten wir, dass Mütter ihren Partnern zu wenig zutrauen, nach dem Motto: „Lass das lieber, das kannst du nicht!“ Das ist vielfach damit zu erklären, dass die Art der Zuwendung vor allem mit weiblichen Maßstäben gemessen wird. Da wird Vätern vieles als unangemessen ausgelegt.
 Die Erforschung der Bedeutung des Vaters ist noch relativ jung, wie Sie in Ihrem Buch „Auf die Väter kommt es an“ anmerken. Warum? 
Ahnert
Die Väter kommen oft schlecht weg: Da wird kritisiert, dass sie zu wild spielen, sich selbst im Spiel  zu sehr in Szene setzen und  dann auch noch einmal selber gewinnen wollen. Dass das als Negativum gewertet wird, hat auch damit zu tun, dass Psychologie ein sehr weiblich dominiertes Fach ist. Bei der Auswertung von Videoaufnahmen, die Väter im Alltag mit ihren Kindern zeigten, haben meine Studentinnen oft aufgestöhnt, mit Bemerkungen wie „Wie unsensibel!“ oder „Das geht gar nicht!“. Ich habe dann die Auswertungen unterbrechen müssen und in Folge auch Studenten dafür eingesetzt. Und das hat sich dann sehr gelohnt, die Männer sind da anders rangegangen. Denn aus dem Blickwinkel des Kindes kann ein Vater, der herumtobt und nicht gleich tröstet, wenn etwas aus dem Ruder läuft, sehr wertvoll sein. Das ist abenteuerlich und spannend für ein Kind und muss gar nicht frustrierend sein. Das lässt das Kind Emotionen erleben, die es sonst nicht erfährt. Väter sind von daher sehr wertvoll, um Kindern bei der Stressbewältigung zu helfen.
Wertvoller als Mütter?
Ahnert 
Laut unserer wissenschaftlichen Erkenntnis haben Väter den Umgang mit Stress in der Regel besser im Griff als Mütter. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Situation in einem italienischen Familienrestaurant in Wien: Ein circa dreijähriges Kind wirft sich in einem Wutanfall auf den Boden, weil es heute sein Lieblingsdessert nicht gibt. Die anwesenden Frauen beginnen zu verhandeln, zu trösten, was das Kind, das in dem Alter sein emotionales Regelsystem noch nicht unter Kontrolle hat, noch mehr in Rage bringt. Das ganze Lokal ist mit dem tobenden Kind beschäftigt. Draußen steht der Vater, raucht seelenruhig eine 
Zigarette. Als er wieder reinkommt, nimmt er völlig ungerührt das Kind hoch, murmelt so etwas wie „Jetzt ist aber Schluss“, und siehe da: Wenig später isst das Kind ganz entspannt das Ersatzdessert, das es vorher so lautstark verweigert hatte.
Das heißt im Klartext, dass zu viel Verständnis und Empathie in solchen Situationen eher kontraproduktiv sind?
Ahnert
Das konnten wir auch bei spielerischen Experimenten in unserem Institut nachweisen. Wenn Mütter prekäre Situationen immer gleich präventiv abfangen wollen und dann zu trösten beginnen, hat das Kind keinen Raum, neue Strategien zu entwickeln. Denn schnell ist es draufgekommen, dass seine eigenen Beruhigungsstrategien, wie an seinem Daumen zu lutschen oder an einem Kleiderzipfel drehen, nicht wirkungsvoll sind. Väter warten da besser den Moment ab, wo sie an das Kind rankommen, und machen Lösungsvorschläge und unterstützen die kind-eigenen Bewältigungsversuche.
Warum dominiert in der Populärpsychologie noch immer die Mutter als die alleinige Person, bei der ein Kind das bekommt, was es emotional braucht?
Ahnert 
Weil noch immer in den Köpfen der Menschen die Formel gilt: Der Mann sorgt für die Familie, die Frau wirkt in der Familie. Der Vater ist damit auch heute noch am klassischen Ernährermodell orientiert, erscheint weniger emotional und sensibel als die Mutter, die sich in das Kind besser einfühlen kann. Zusätzlich fehlt vielen Männern in der Artikulation ihrer Bedürfnisse – auch wenn es um ihre Vaterschaft geht – das Ausdrucksrepertoire. Sie können nicht darüber sprechen. Trotz Kommunikationsmängeln bekommen Kinder jedoch von ihren Vätern deswegen so wertvolle Entwicklungsimpulse, weil sie das Kind dazu treiben, auf ihre kargen Fragen zu antworten und sich zu erklären. Väter triggern dadurch die Mitteilungsfreude ihrer Kinder und forcieren ihre Sprachfertigkeiten. Mütter sind so tief in der Welt ihrer Kinder, dass sie schon wissen, was gemeint ist, ehe das Kind überhaupt noch den Mund aufmacht. 
Zwar stagnieren wegen der wirtschaftlichen Anspannung die Scheidungsraten zurzeit, aber die funktionierende Familie ist eher das Ideal als die Regel. Laut einer Studie verlieren in Deutschland 30 Prozent der Trennungsväter innerhalb von drei Jahren den Kontakt zu ihren Kindern. 
Ahnert
Aus unseren Studien wissen wir, dass diese Trennungsväter nicht selten ein Trauma erleben, auch wenn sie später eine Zweitfamilie gründen und dort eine erfüllte Vaterschaft leben. Plötzlich wurden sie abgeschnitten von einem Beziehungsnetz, das ihnen einmal viel bedeutet hat, haben also keinen Anker mehr. Das äußert sich dann oft in psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Ermüdung im Alltag. Ein Phänomen, von dem übrigens auch Väter aus Familien erzählen, in denen sie eine gemeinsame, engagierte Elternschaft leben und mit ihren Partnerinnen gleich ausgeprägte Berufsinteressen verfolgen. Gesundheitlich wirkt sich ein solches emanzipatorisches Konzept, wie wir es auf unserer Wunschliste hatten, offensichtlich nicht gut auf die Männer aus.  Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden da recht deutlich.
Multitasking ist eben sehr anstrengend. Was halten Sie von der Doppelresidenz, bei der Trennungskinder regelmäßig zwischen den Wohnungen von Vater und Mutter pendeln?
Ahnert
Für Väter, die an der Entwicklung ihrer Kinder so oft wie nur möglich teilhaben wollen, ist sie sicherlich von Vorteil. Die Doppelresidenz hat zudem für Männer den finanziellen Vorteil, dass sie für das Kind keinen Unterhalt zahlen müssen.
In Streitfällen wird zu mehr als 90 Prozent das Sorgerecht den Müttern zuerkannt.
Ahnert
Die derzeitige Rechtssprechung ist in Deutschland und Österreich mit Sicherheit nicht sonderlich väterfreundlich. Aber ich bin überzeugt, dass manche Kinder bei ihren Vätern durchaus auch besser aufgehoben wären, weil manche Mütter eben nicht die vorrangigen Bindungspersonen verkörpern. Leider ist für Väter das alleinige Sorgerecht für ein Kind mit einem unglaublich mühseligen Kampf verbunden. Ich würde wirklich begrüßen, dass zunehmend mehr Rechtspsychologen in solche Entscheidungsprozesse eingebunden werden, um Bindungs- und Beziehungsbeurteilungen zu berücksichtigen Aber noch wird hier viel zu sehr nach Schema F gehandelt.
Wer leidet mehr unter der Absenz eines Vaters – Töchter oder Söhne?
Ahnert
Da gibt es keine Unterschiede. Wie wertvoll ein Vater im Leben eines Kindes ist, hängt nicht vom Geschlecht des Kindes ab. Es geht doch vor allem darum: Lebt der Vater kindorientiert, sprich: passt er sich an die Bedürfnisse des Kindes an und nicht das Kind an seine Bedürfnisse. Das gilt im Übrigen genauso für die Mutter. Kinder brauchen zuwendungsorientierte Erwachsene, die sie in ihrer Entwicklung begleiten. Wenn sie das nicht tun, hat auch ihre Absenz kaum eine Auswirkung.
Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort