Paul Gludovatz: "Für einen Opa war ich zu streng"

Paul Gludovatz, 70, war fast drei Jahrzehnte lang Nachwuchstrainer im ÖFB. Sein größter Erfolg war die U20-WM 2007, bei der die Österreicher bis ins Halbfinale kamen.

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profil: Viele Fans der Nationalmannschaft sind seit dem Testspiel gegen die Niederlande (Anm.: Dieses Interview erschien noch vor Österreichs EM-Start, in der profil-Ausgabe vom 13.6.) verunsichert. Wie gut oder schlecht ist das Team wirklich? Paul Gludovatz: Ich würde das Match gegen die Niederlande nicht ernst nehmen. Einige im Team waren nach der langen Saison total überspielt, andere waren davor lange verletzt und noch nicht richtig in Form. Wir haben auch taktisch den Fehler gemacht, dass wir zu offensiv gegen einen starken Gegner angetreten sind. Für mich war Alaba mitverantwortlich, dass wir Gegentreffer bekommen haben, weil er defensiv null gemacht hat. Prödl und Dragovic waren arme Hunde.

profil: Wahrscheinlich war bei den Spielern auch die Angst da, sich so kurz vor der Euro noch zu verletzen. Gludovatz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer deshalb nicht richtig hingeht. Die sind wie große Kinder, wenn ihnen der Ball hingeworfen wird. Aber ich bin überzeugt: Bis Dienstag wird sich das Ungleichgewicht in der Mannschaft legen, und wir werden gegen Ungarn ein ganz anderes Gesicht zeigen. Da wird dieses Werkl wieder laufen. Meine Prognose ist, dass wir auf jeden Fall über die Gruppenphase hinauskommen.

profil: Sie waren viele Jahre lang Nachwuchstrainer im ÖFB. Wie viele Spieler aus dem aktuellen Kader haben Sie schon als Jugendliche betreut? Gludovatz: Ich war beim vorletzten Teamcamp in Stegersbach auf Besuch. Da sind mir 18 von 23 um den Hals gefallen. Das wird ungefähr hinkommen.

profil: Waren Sie eine Vaterfigur? Gludovatz: Altersmäßig wäre ich eher der Opa gewesen. Aber nein, dafür war ich zu streng - besonders zu den guten Spielern. Sagt jedenfalls meine Frau. Wenn ich gesehen habe, dass aus einem wirklich etwas werden kann, hab ich ihn noch ein bisschen mehr gequält. David Alaba ist mir schon mit 15 nachgelaufen, weil er nicht linker Verteidiger spielen wollte. "Trainer, Trainer, ich will alles spielen", hat er gesagt. Mit Aleksandar Dragovic konnte ich mich auf Serbisch unterhalten, das hat ihn schwer beeindruckt. Und den Rambo (gemeint ist Torhüter Ramazan Özcan, Anm.) haben wir bei einem Ländermatch einmal spielen lassen, obwohl er noch gar nicht die österreichische Staatsbürgerschaft hatte. Der gegnerische Trainer hatte nichts dagegen.

Ich glaube, es ist nicht vorhersehbar, warum aus dem einen etwas wird und aus dem anderen nicht.

profil: Ihr größter Erfolg beim ÖFB war der vierte Platz bei der U20-WM 2007 in Kanada. Nur ein paar der Spieler von damals schafften es ins aktuelle Nationalteam. Was kann in dem Alter noch schiefgehen? Gludovatz: Da kann noch sehr viel schiefgehen. Der Jimmy Hoffer zum Beispiel war ein super Spieler, wahnsinnig schnell. Er hatte immer die ganze Familie dabei, Oma, Mama, Geschwister. Das war sein Wohlfühlbereich. Und dann wird er von seinem Berater als dritter Stürmer nach Neapel verscherbelt. Ich hab sofort gewusst, dass der Bub dort keine Chance hat - allein und ohne ein Wort Italienisch. Da bist du bloß noch eine Ware. Es kann aber auch gut ausgehen, wie der Wechsel von Junuzovic nach Bremen zeigte. Ich glaube, es ist nicht vorhersehbar, warum aus dem einen etwas wird und aus dem anderen nicht. Deshalb ist es ja so wichtig, dass die Buben daneben auch noch ein berufliches Standbein haben.

profil: Weil sie sonst unter Umständen ohne Job dastehen? Gludovatz: Genau. Ich trainiere immer wieder für das AMS vertragslose Fußballer und kenne mich aus. Es wird ständig nur über die Großverdiener geredet. In Wirklichkeit können die meisten später nicht von dem Geld leben, das sie als Fußballer verdient haben. Und dann bist du 34, hast vielleicht sogar Matura, aber nie was anderes gemacht als gekickt. Da hast du keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.

profil: Viele Experten sagen, die professionelle Nachwuchsarbeit in den Akademien sei ein Grund dafür, dass der österreichische Fußball plötzlich so gut ist. Vor allem Frank Stronach hat auf dieses Ausbildungssystem gesetzt. Müssen wir ihm nachträglich doch noch dankbar sein? Gludovatz: Ja, eindeutig. Ich hab das damals selber für übertrieben gehalten, was in Hollabrunn gemacht wurde. Markus Suttner zum Beispiel hat zehn Minuten entfernt von der Akademie gewohnt. Trotzdem musste er im Internat bleiben. Das war die Regel. Da wurde zu festgesetzten Zeiten trainiert, es wurde genau darauf geschaut, was und wie viel die Buben essen und wann sie lernen. Stronach wollte das so, und ein geordnetes System ist auch richtig. Quereinsteiger gibt es heute kaum mehr. Christian Fuchs war noch einer. Der ist aber überhaupt eine Ausnahme und hat etwas erreicht, was man ihm nie zugetraut hätte. Er hat eine tolle Karriere, obwohl er kein begnadeter Fußballer ist. Für Martin Stranzl (ein ehemaliger Nationalspieler, Anm.) gilt das Gleiche. Dem hab ich früher zweimal in der Woche die Pulsuhr umgebunden und gesagt: 'So, jetzt renn.' Und er ist gerannt, so ehrgeizig, wie er war.

profil: Wie hält man einen Haufen junger Männer wochenlang in einem Trainingscamp bei Laune? Wie haben Sie als Trainer den Lagerkoller verhindert? Gludovatz: Ich hab sie in Kulturstätten geschleppt. Stellen Sie sich das vor: 15-und 16-jährige Burschen in einer gotischen Kirche. Na ja, mittlerweile haben sie es verdaut und werfen mir das nicht mehr vor.

Rosemarie Schwaiger