Phänomen Opernball – ein obskure Zeitreise
Der Opernball ist ein frackwürdiger One-Night-Stand zwischen gestern und vorgestern. Eine obskure Zeitreise im Dreivierteltakt. Adabeiläufigkeit als Staatsakt. Aber ein Ereignis, das unter Artenschutz gehört, ebenso wie seine staulustige Klientel.
Nirgendwo verkleidet sich dieses Land so aufwendig, um so nackt dazustehen. Hier prallen traditionsgemäß zwei Welten aufeinander: die ganze und die halbe. Die Kostümvorschriften (vornehmlich für Herren) machen alle gleich - was es sonst nur noch in der Sauna gibt. Bröckelnde Fassaden werden mit Leasing-Pletschn (Leih-Orden) verputzt. Schon Hans Weigel schüttelte (sich) dereinst: Behängt schreiten Beschränktheiten.
Zwischen Baumeister und Freimaurer besteht kaum noch ein Unterschied: Von beiden wird man in eine Loge eingeladen. In Mörtels Neu-Reich lockt freilich die Hollywood-Schaukel. Sein kaufmännisches Prinzip "Rent a star" (und sei es nur vom Wühltisch der Traumfabrik) legt diese launige Spielart der österreichischen Seele frei und ist in der Tat "die Rache des kleinen Manns an der Society" (Sven Gächter).
Wer mich sonst nicht will, den kauf' ich mir für eine Nacht - ein Geschäftsvorgang hart an der Gürtellinie. Neu ist nur, sich dabei fotografieren zu lassen. Dahinter steckt die Sehnsucht nach dem letzten Adelsprädikat der Republik (nachdem die niedrigen Autokennzeichen abgeschafft wurden und der Professorentitel inflationär grassiert): Erst wenn dich jede Omi kennt, dann bist du wirklich prominent. Trotz drohender Walzervergiftung wedle ich auch heuer wieder erregt mit den Frackschößen und rufe mir unverdrossen zu: Alles Balletti!
Der Text ist erstmals in profil 2/99 vom 11.1.1999 erschienen.